Gewalt in Syrien: Waffen schweigen, Armee bleibt
Nach Ablauf der Frist für eine Waffenruhe kommt es nur noch vereinzelt zu Gewalt. Die Opposition bleibt skeptisch. Denn für einen Abzug gibt es zunächst keine Anzeichen.
BERLIN taz | Nach wie vor flammt hier und dort in Syrien die Gewalt auf. Rings um die Stadt Hama soll die Armee vereinzelt mit schwerer Artillerie auf Dörfer geschossen haben. In der Altstadt von Homs war Angaben von Oppositionellen zufolge Maschinengewehrfeuer zu hören; im nördlichen Idlib wurden zwei Explosionen gemeldet, deren Ursache zunächst unklar blieb. Doch allgemein ist die Gewalt um Punkt sechs Uhr früh drastisch zurückgegangen.
Bis zum Nachmittag wurden acht Menschen getötet. Das Assad-Regime hatte dem Sondergesandten der UNO und der Arabischen Liga Kofi Annan am Vortag schriftlich zugesichert, „alle militärischen Kämpfe auf dem gesamten syrischen Territorium einzustellen“. Allerdings behalte man sich vor, auf Angriffe „terroristischer Gruppen angemessen zu reagieren“, heißt es in dem Schreiben.
Auch die Kämpfer der „Freien Armee Syriens“ sagten zu, die Waffenruhe einzuhalten. Die Rebellen fühlten sich dem Friedensplan Annans verpflichtet, sagte Oberst Riad al-Asaad dem arabischen Nachrichtensender al-Dschasira. Doch die Protestbewegung bleibt skeptisch. Die Oppositionellen haben erhebliche Zweifel daran, dass die Führung in Damaskus sich tatsächlich nach Annans Vorgaben richten wird.
Der Sechs-Punkte-Plan sieht neben der Waffenruhe unter anderem die Zulassung von humanitären Hilfslieferungen, ein Ende der willkürlichen Verhaftungen und einen politischen Dialog zwischen Regime und Opposition vor. Nach wie vor aber gibt es nirgends in Syrien Anzeichen für einen Abzug des Militärs aus den Wohngebieten, der gemäß Annans Plan bereits am Dienstag hätte beginnen sollte.
Übergriff auf die Türkei
Unmittelbar vor dem Ablauf der Frist für die Waffenruhe hatte das syrische Militär die Angriffe in den Protesthochburgen noch einmal massiv intensiviert. Dabei haben die Gefechte in dieser Woche erstmals auf die Türkei übergegriffen. Syrische Truppen hatten über die Grenze gefeuert und dabei vier Menschen verletzt. Seither hat der Streit zwischen Istanbul und Damaskus deutlich schärfere Töne angenommen.
Die Türkei sehe die Nato in der Pflicht, die Grenze des Landes nach Syrien abzusichern, sagte Ministerpräsident Tayyip Erdogan nach Angaben türkischer Medien: „Ein Land hat auf Basis des Völkerrechts Rechte gegen Grenzverletzungen.“ Dabei berief sich Erdogan auf Artikel fünf des Nato-Vertrags, wonach der Angriff auf ein Nato-Mitglied als Angriff auf alle Bündnismitglieder gewertet wird und den Einsatz von Waffengewalt legitimiert.
In Syrien gingen unterdessen Berichten zufolge die Verhaftungswellen unvermindert weiter, in den Vororten von Damaskus wie auch in Hama. „Die Menschen in Syrien sind frustriert, denn wir sehen Panzer, Checkpoints, an denen Milizionäre ihre Waffen zur Schau tragen. Sie trennen die Viertel voneinander, sie nehmen Leute fest, sie machen uns Angst“, sagt Manhal Abu Bakr, ein Aktivist in Hama. „Deswegen haben wir kein Vertrauen in diese Waffenruhe.“
Augenzeugen in mehreren Städten berichten zudem, dass die Armee versuche, ihre Panzer zu verstecken, in Gräben oder hinter Erdwällen und Mauern aus Sandsäcken. Videos im Internet belegen diese Aussagen. Mousab Alhamadee, ein Aktivist, der in dem Örtchen Apamea nördlich von Hama lebt, schildert, dass die Truppen tiefe Gräben in den Hügel einer dortigen historischen Festung geschlagen haben, um ihre Panzer zu verbergen. „Von dort aus haben sie am Morgen die Siedlungen der Ghad-Ebene mit schwerer Artillerie beschossen“, sagt er. „Also haben sie den Waffenstillstand gebrochen.“
In vielen anderen Städten aber schwiegen die Waffen. „Im Moment ist alles friedlich“, sagt Ahmed, ein Anwohner eines Dorfes in der Region Jebel Azzawieh nahe der türkischen Grenze. „Wir hoffen, dass das so bleibt. Allerdings ist das schwer vorstellbar. Denn wenn die Armee aufhört zu schießen, dann wird es bald überall in Syrien riesige Demonstrationen geben.“ In Daraa im Süden, in Hama im Zentrum des Landes sowie in Idlib im Norden zogen bereits am Donnerstagvormittag Tausende zu neuen Protesten auf die Straßen.
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