Gewalt im Irak: "Helfer liefen aus Angst davon"
Ein Doppelanschlag auf einem belebtem Markt in Bagdad tötet 68 Menschen und zeigt, wie relativ die verbesserte Sicherheitslage der letzten Monate ist.
KAIRO taz Der Bagdader Bezirk Karadah hat am Freitag ein Massenbegräbnis erlebt wie zu den schlimmsten Zeiten der Gewalt im Irak. 68 Menschen wurden zu Grabe getragen, allesamt Opfer eines Doppelanschlags, der am Donnerstag einen Marktplatz in dem von Schiiten dominierten Bezirk erschüttert hatte. Bisher hat sich noch keine Gruppe für den selbst für irakische Verhältnisse brutal ausgeführten Anschlag verantwortlich erklärt.
Es war ein lauer Frühlingsabend in Bagdad, der besonders viele Menschen auf die Straße gelockt hatte, als eine unter einem der Straßenstände versteckte Bombe explodierte. Fünf Minuten darauf, als sich an dem Ort des Anschlags eine Menschenmenge versammelt hatte, um den Opfern zu helfen, zündete ein Selbstmordattentäter seinen Sprengstoffgürtel. "Die ganze Szene war ein Bild des Grauens, Verletzte riefen nach Hilfe, während die potenziellen Helfer aus Angst vor einer weiteren Bombe wegliefen", erzählt Hassan Abdallah, der Besitzer eine Cafeteria, in unmittelbarer Nachbarschaft. Viele der Opfer waren Jugendliche und Teenager.
In der zweiten Hälfte des letzten Jahres hatte die Gewalt in Bagdad deutlich abgenommen. Grund dafür war eine Kombination aus dem Waffenstillstand der schiitischen Mahdi-Miliz, dem Vorgehen sunnitischer Kämpfer gegen Al-Qaida-nahe Gruppen und der Verstärkung der US-Armee. Doch seit Beginn des Jahres hat die Zahl der Gewaltopfer aufgrund einiger spektakulärer Anschläge wieder eindeutig zugenommen. Die irakischen Sicherheitskräfte und die US-Armee hatten mit einzelnen Maßnahmen wie einem Fahrverbot auf Märkten zur Verhinderung von Autobomben die Lage etwas unter Kontrolle gebracht. Gegen einen Selbstmordattentäter, der auf einem Markt zu Fuß unterwegs ist und versucht, ein Maximum an Menschen mit in den Tod zureißen, gibt es kaum ein Mittel.
Die verbesserte Sicherheitslage nach der Verstärkung der US-Armee sei ohnehin relativ, meint der australische Sicherheitsexperte William Maley. "Früher", erklärte er gegenüber dem australischen Fernsehsender ABC, "fand im Irak alle zweieinhalb Tage ein solcher Megaanschlag statt, während wir heute dort jeden sechsten Tag ein Attentat vom Ausmaß des Bali-Anschlages erleben." Noch klarer wird die Relation beim Blick nach Europa. Beim Anschlag auf die Londoner U-Bahn im Juli 2005 waren 56 Menschen ums Leben gekommen. Ein Dutzend weniger, als Freitag im Bagdader Bezirk Karadah begraben wurden.
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