Gewalt gegen PolitikerInnen: Eher Narzissmus als Nazismus
Wut gegen PolitikerInnen entstammt einer wutbürgerlichen Selbstgerechtigkeit, gerade das macht sie alltäglich. Dagegen helfen nur Beratungsangebote.
I n Deutschland werden fast alltäglich ehrenamtliche Bürgermeisterinnen und Kommunalpolitiker, Dezernatsleiterinnen und Ortsvorsteher beleidigt, bedroht, angegriffen. Das Spektrum reicht von Hassposts und Drohungen über eingeworfene Scheiben bis hin zu körperlichen Übergriffen. Das ist seit Jahren bekannt. Die Attacke auf den sächsischen SPD-Politiker Matthias Ecke hat diese aggressive Demokratieverachtung ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.
Womit haben wir es tun? Manche beschwören Weimarer Verhältnisse. Aber das ist eine Dramatisierungsfloskel, die wenig erklärt. Die Nazischlägertrupps hinterließen schon vor 1933 Hunderte von Toten. Der Terror war nicht spontan, sondern von oben orchestriert, um die Demokratie ins Chaos zu stürzen. 2024 gibt es auch gezielte faschistische Aktionen und Rechtsradikale, die vom Bürgerkrieg fantasieren. Aber das Bild ist anders.
Diese Aggression ist kein Echo der Vergangenheit, sondern gegenwärtig. Das Phänomen passt zu Coronaleugnern, Querdenkern und einem grenzenlosen, radikalen Individualismus. Die Täter sind oft „Gekränkte“ (Oliver Nachtwey und Carolin Amlinger), die das Recht auf Wut und Widerstand zu besitzen glauben. Um den Staat oder eben den Ortsvorsteher zu hassen, reicht auch die Laterne vor der Tür, die nicht repariert wird, vom Asylbewerberheim im Nachbarort ganz zu schweigen.
Wir haben es mit WutbürgerInnen zu tun, die persönlich beleidigt sind, wenn nicht alles nach ihrer Flöte tanzt. Also eher mit einem militanten Narzissmus und weniger mit einer Wiederkehr des Nazismus. Social Media haben die Schwelle zwischen Frust und Aggression dramatisch gesenkt, sind aber der Katalysator, nicht der Grund.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Simulierte Tatkraft hilft nicht
Was tun? Es herrscht umtriebiger politischer Aktivismus. Reflexhaft werden Strafrechtsverschärfungen gegen „politisches Stalking“ gefordert. Dabei können schon jetzt Angriffe gegen MandatsträgerInnen besonders hart bestraft werden. Dass nun Sondergesetze für PolitikerInnen helfen, ist zweifelhaft.
Innenministerin Nancy Faeser will mit Polizei und Justiz „ein deutliches Stoppsignal“ geben. Das klingt nur gut. Für schnellere Strafverfahren und mehr Polizei wird es im Ampel-Sparhaushalt weniger Geld geben, nicht mehr.
Studien zeigen, dass KommunalpolitikerInnen nur jede siebte Bedrohung anzeigen. Der Grund dürfte Angst sein: als Opfer zu gelten und so noch mehr Hass zu provozieren. Nützlicher als Schnellschussgesetze, die nur Tatkraft simulieren, oder allgemeines Händeringen sind Beratungsangebote vor Ort, wie man sich wehren kann und angemessen reagiert. Das klingt unspektakulär, fast trivial. Gerade weil die Übergriffigkeiten so alltäglich sind, ist das nötig.
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