Gewalt gegen Obdachlose in Berlin: Null Sicherheit in der Unterkunft
Mitarbeiter einer Securityfirma in Berlin sollen obdachlose Menschen drangsaliert und misshandelt haben. Der Träger weist Vorwürfe zurück.
„Die konnten machen, was sie wollten“, erinnert sich Niklas G. (Name geändert) an die Securitys der Einrichtung. G., der drei Monate in der Unterkunft lebte, berichtete auch, dass Securitys Bewohner:innen willkürlich aus der Unterkunft hinausgeworfen hätten. Immer wieder seien sie auch gewalttätig geworden, sagte der ehemalige Beschäftigte Igor F. (Name fiktiv) der taz. Einmal hätten Sicherheitsmitarbeiter einen Bewohnenden am Boden fixiert und geschlagen, bis der junge Mann das Bewusstsein verloren habe. Der Grund: Er habe auf dem Zimmer geraucht, so der Mitarbeiter. Da sich die Securitys gegenseitig gedeckt hätten, habe es keine Konsequenzen gegeben.
Die häufig osteuropäischen Bewohnenden seien von den Sicherheitskräften als „Zigeuner“ beleidigt worden, sagten die ehemaligen Beschäftigten Theresa Dorn, Charlotte von der Lampe und Karina Hübner gegenüber der taz. Über die Hilfsorganisation Moabit Hilft hatten sie sich an die Öffentlichkeit gewandt, nachdem Beschwerden beim Träger und beim Bezirksamt verhallt seien.
Die Leiterin der Einrichtung, Katrin Liebscher, habe auch Bedürftige abgewiesen, obwohl es freie Plätze in der Unterkunft gegeben habe, sagten sie. Bewohnende hätten sich beschwert, dass Securitys ihnen 10 bis 20 Euro pro Nacht für ihre Unterbringung abgenommen hätten. Zudem seien kistenweise FFP2-Masken und persönliche Gegenstände der Bewohnenden verschwunden.
Tritte und Anbrüllen
Anfangs seien den Bewohnenden alle ihre Habseligkeiten bis zur Zahnbürste abgenommen worden. Selbst große Wasserflaschen, da die Deckel der Plastikflaschen als Waffen benutzt werden könnten, habe es geheißen. Während der Coronatestungen hätten Securitys die Bewohnenden durch Tritte und Anbrüllen in Bewegung gesetzt. „Wie Vieh“ seien die Gäste behandelt worden. Liebscher habe das als „Erziehungsmaßnahme“ bezeichnet.
Melanie Rohrmann, Sprecherin des Trägers ASB, wies auf taz-Nachfrage die Vorwürfe zurück. Die Anschuldigungen seien bekannt, man selbst habe aber „keine Anhaltspunkte“ für gewalttätige Übergriffe durch Securitys. Rohrmann vermutet eine „persönliche Motivation, einzelne Personen und unsere Organisation gezielt in Misskredit zu bringen“. Welche Motivation das sein könnte, sagte Rohrmann nicht. Der ASB sei aber „selbstverständlich“ an einer „umfassenden“ Aufklärung interessiert.
Eigentlich sollte die Notunterkunft Boxhagener Straße, die in den Räumlichkeiten der Hostelkette A&O untergebracht war, ein richtungsweisendes Modellprojekt sein. Das von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) im Februar zur Eröffnung vorgestellte Konzept sah eine bedingungslose und 24 Stunden am Tag geöffnete Unterkunft vor. Zwischenzeitlich wurden hier 220 Schlafplätze angeboten. Errichtet wurde die Einrichtung allerdings auch, um dort ehemalige Bewohner:innen des Obdachlosencamps in der Rummelsburger Bucht unterzubringen, die dort zuvor in einem kontroversen Polizeieinsatz geräumt worden waren.
Strafanzeige nach interner Prüfung
Ende Juni wurde die Einrichtung geschlossen, auch Buchtbewohner:innen wurden wohl wieder auf die Straße gesetzt. Umso gravierender wäre es, sollten Bewohner:innen tatsächlich misshandelt worden sein. Der taz schrieb Stefan Strauß, Pressesprecher der Senatssozialverwaltung, die Vorwürfe seien bekannt und würden „ernst genommen“. Nach einer „internen Prüfung“ habe man Strafanzeige erstattet. Darüber hinaus könne sich die Senatsverwaltung nicht zu laufenden Ermittlungsverfahren äußern.
Diana Henniges von der Initiative Moabit Hilft sieht dagegen ein systemisches Problem: „Seit Jahren“ beobachte ihre Initiative „teils katastrophale Zustände“ in den Unterkünften, sagte sie der taz. „Die unmittelbare Verhinderung von Obdachlosigkeit scheint zunehmend ein Markt für dubiose Geschäfte zu werden“, so Henniges.
Gerade der ASB würde mittlerweile agieren, als sei der Träger auf „maximalen Profit ausgelegt“. Nötig seien deshalb „menschenwürdige Mindesstandards“ für Unterkünfte und „schwarze Listen“ für „dubiose Sicherheitsfirmen, die in der Vergangenheit schon negativ aufgefallen sind“, so Henniges. Die Senatssozialverwaltung kündigte an, bewiesene Tatbestände „bei gegenwärtigen und zukünftigen Kooperationen“ miteinzubeziehen.
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