Gewalt gegen Frauen: Gedenken an Hatun Sürücü
Senatschef Kai Wegner (CDU) und Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) erinnern an den Femizid an der jungen Berlinerin Hatun Sürücü vor 19 Jahren.
Neben zahlreichen Medienvertreter*innen drängeln sich Abgeordnete, Bezirksfunktionär*innen und Vertreter*innen zivilgesellschaftlicher Gruppen auf dem schmalen Gehweg zwischen dem Gedenkstein und der Bushaltestelle, an der Sürücü starb.
Der Mord habe Berlin erschüttert, sagt Berlins Bürgermeister Kai Wegner (CDU), er dürfe „niemals vergessen werden“. Es sei nicht um Ehre gegangen, sondern um die Missachtung der Selbstbestimmung. „Gewalt gegen Frauen darf niemals auf die Herkunft reduziert werden. Meist findet die Gewalt hinter verschlossenen Türen statt.“
Fast täglich wird in Deutschland ein Mordversuch auf Frauen verübt, etwa alle drei Tage wird eine Frau getötet. Doch während der Mord an Sürücü als „Ehrenmord“ bundesweite Aufmerksamkeit erhielt, werden die meisten noch immer als „Familientragödie“ oder „Beziehungsdrama“ heruntergespielt. Aber für alle gibt es einen Begriff: Femizid. Anders als „Ehrenmord“ etwa macht „Femizid“ Frauenmorde als Problem toxischer Männlichkeit sichtbar. Dennoch handelt es sich in Deutschland noch immer nicht um einen eigenen Straftatbestand.
Ausgerechnet Schulworkshops von Kürzungen betroffen
Sozialsenatorin Kiziltepe ist die Einzige, die den Begriff bei der Gedenkveranstaltung verwendet. Das Gedenken an Hatun Sürücü stehe auch für das Gedenken an all jene Frauen und Mädchen, die weltweit getötet werden, weil sie Frauen sind, sagt die SPD-Politikerin.
Wie Wegner weist Kiziltepe auf Berlins Landesaktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention des Europarats hin, des internationalen Abkommens zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Darin wird auch betont, dass Kultur, Religion, Tradition oder die sogenannte Ehre nicht als Rechtfertigung für Straftaten gegen Mädchen und Frauen angesehen werden dürfen.
Auf der Gedenkveranstaltung kommt schließlich noch das Projekt „Heroes“ zu Wort. Es entstand nach dem Mord an Sürücü und arbeitet mit Jungen in Schulworkshops zu männlichen Rollenbildern. Ihr Projekt sei jedoch „von dramatischen Kürzungen betroffen“, moniert ein Sprecher. In einem kurzen Rollenspiel zeigt das Projekt seine Arbeit: Eine Person wird von ihrem Bruder kritisiert, weil sie einen Freund hat. In dem Rollenspiel lässt sich der Bruder jedoch überzeugen, den neuen Freund mal kennenzulernen.
Die Veranstaltung endet mit einer Gedenkminute für die junge Berlinerin, die ermordet wurde, weil sie sich nicht den konservativen Vorstellungen von Teilen ihrer Familie beugen und ein selbstbestimmtes Leben führen wollte. In diesem Januar wäre sie 42 Jahre alt geworden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?