Gewalt gegen Frauen: Das Patriarchat im Heim
Frauenberatungsstellen berichten vermehrt von Übergriffen in Berliner Flüchtlingsunterkünften. Noch im Februar soll das erste von zwei Frauenheimen eröffnen.
Immer wieder kommt es nach Angaben von Beratungsstellen in Flüchtlingsunterkünften zu Gewalt gegen Frauen. „Wir haben zunehmend mit der Flüchtlingsthematik zu tun“, sagt Patricia Schneider von der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG) der taz. Seit Mitte letzten Jahres bringe die Polizei öfters Betroffene aus den Heimen zu ihnen. 2015 seien kurzzeitig 15 Flüchtlingsfrauen mit 25 Kindern bei ihnen untergekommen, weil sie vom Partner geschlagen oder misshandelt wurden, so Schneider. Ihr Anteil an allen Frauen, die bei BIG Schutz suchten, stieg damit auf knapp 10 Prozent.
Schneider berichtet auch, dass Betreiber von Flüchtlingsheimen sich vermehrt an die Beratungsstelle wendeten, um MitarbeiterInnen im Umgang mit häuslicher Gewalt schulen zu lassen. Bei einer Fortbildung hätten 18 Delegierte aus Flüchtlingsunterkünften teilgenommen. „Nur ein oder zwei von ihnen hatten noch mit keinem konkreten Fall zu tun, die anderen schon.“
Auch Friederike Strack vom Krisenzentrum Lara, das Betroffenen sexueller Gewalt hilft, sagt: „Wir haben einen Anstieg bei den Beratungen für geflüchtete Frauen.“ Anders als bei den Frauen, die BIG betreute, ging es dabei nicht nur um Gewalt in der Partnerschaft. Die Frauen hätten auf der Flucht oder aber auch in deutschen Heimen sexuelle Gewalt erfahren, erzählt Strack.
In der Senatsverwaltung für Integration und Frauen ist man sich des Themas bewusst, will es aber auch nicht überhöhen. „Wir kennen die Anfragen an das Berliner Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen. Es zeichnet sich derzeit aber ab, dass die Anfragen nicht im überproportionalem Maße gestiegen sind“, so Sprecher Christoph Lang.
Besonderer Schutzbedarf
Gemeinsam mit der Gesundheitsverwaltung arbeite die Frauenverwaltung an einem Konzept, um die Situation von Flüchtlingen mit besonderem Schutzbedarf zu verbessern. Dazu gehöre auch, Qualitätsstandards in den Heimen gendersensibel zu überarbeiten – beispielsweise durchzusetzen, dass Sanitäranlagen nach Geschlechtern getrennt sind und dass es Aufenthaltsräume nur für Frauen gibt.
Vier Notplätze wurden eingerichtet, um Frauen im Notfall schnell Schutz bieten zu können. Zwei Unterkünfte nur für alleinreisende Frauen mit Kindern sind dem Sprecher zufolge in der Planung. „Insgesamt werden zunächst 200 bis 300 Plätze zur Verfügung stehen“, sagt Lang. Eines der Heime soll noch im Februar eröffnet werden. Wo in der Stadt sich die Frauenunterkünfte befinden, wollte der Sprecher noch nicht öffentlich machen.
Auch Fortbildungen der Beschäftigten in Flüchtlingsunterkünften – nicht nur der SozialarbeiterInnen, auch des Wachschutzes – will der Senat fördern. Infomaterial der Beratungsstellen wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Ein Leitfaden soll entwickelt werden, der klärt, was etwa bei häuslicher Gewalt in einer Unterkunft zu veranlassen ist. Einfache Lösungen gibt es hier oft nicht. Beobachtet ein Heimbetreiber häusliche Gewalt, müsste er die Gewalt unterbinden oder, wenn das nicht gelingt, die Polizei rufen. Aber wie soll er sich verhalten, wenn die Frau selbst das mit Händen und Füßen zu verhindern versucht – etwa aus Sorge, das könnte ihr Asylverfahren beeinträchtigen?
Den Gewalttäter aus dem Heim zu verweisen, sei auch nicht immer eine Lösung, sagt Patricia Schneider von BIG. „Ihre Community und andere Familienangehörige bleiben da – und verurteilen die Frau möglicherweise.“ Eine Trennung, etwa die Frau in ein Frauenhaus zu bringen, sei auch nicht immer der richtige Weg. „Die Frauen haben schon vorher fast alles verloren. Viele haben Angst, am Ende ganz allein dazustehen.“ Die Maßnahmen müssten hier neu diskutiert werden, sagt Schneider.
Tabuthema sexuelle Gewalt
In einer Moabiter Flüchtlingsunterkunft bietet die Beratungsstelle Lara bereits eine Gruppe für Betroffene sexueller Gewalt an. „Das ist sehr schwierig. Das Thema ist für die Frauen tabuisiert“, erzählt Strack. Es bedürfe viel Zeit, bis die Frauen über ihre Erlebnisse zu sprechen beginnen.
Als Ursache für die Gewalttaten sieht Patricia Schneider von BIG die schwierigen Umstände, unter denen die Flüchtlinge leben, aber auch die jeweilige kulturelle Prägung. „Die Wurzel liegt im patriarchalen Denken, in den patriarchalen Familienstrukturen.“ Bei einigen Familien werde Gewalt an Frauen als kulturspezifisch anerkannt. „Es gibt dann kein Unrechtsbewusstsein.“ Auch in Deutschland habe die Vergewaltigung in der Ehe lange nicht als Straftat gegolten und sei deshalb lange nicht als solche im Bewusstsein verankert gewesen.
Der Senat ist da zurückhaltender. Mit pauschalen Einschätzungen von Ursachen müsse man vorsichtig sein, warnt Sprecher Lang. „Die Unterbringung vieler Menschen unterschiedlichster Herkunft und mit teilweise stark belasteten Erfahrungen stellt eine Situation dar, die Gewaltvorkommnisse in jeglicher Form begünstigt.“
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