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Gewalt auf G8-Gipfel in GenuaPolizisten müssen in den Knast

Knapp neun Jahre nach der Tat sind die Polizisten und ihre Vorgesetzten wegen der Schlägerorgie auf dem G8-Gipfel von Genua im Sommer 2001 verurteilt worden.

Grenze überschritten: Polizisten beim G8-Gipfel 2001 in Genua. Bild: dpa

Haftstrafen von drei bis fünf Jahren für 25 der 27 angeklagten Polizisten: Mit diesem Urteil endete in Genua das Berufungsverfahren rund um den nächtlichen Sturm auf die von Globalisierungskritikern als Schlafstätte genutzte Scuola Diaz während des G-8-Gipfels von 2001.

Mit einem überaus brutalen Einsatz hatten am 21. Juli 2001 etwa 150 Ordnungshüter den Schlussstrich unter die mehrtägige Gewaltorgie der Polizei in Genua gezogen. Nachdem einen Tag vorher am Rand der Demonstrationen der 23-jährige Carlo Giuliani von einem Carabiniere erschossen worden war, drang ein großes Polizeiaufgebot in der Nacht in die Schule ein und knüppelte die meisten der dort Schlafenden zusammen. 93 Personen wurden als angebliche Angehörige des "Schwarzen Blocks" verhaftet; 82 von ihnen waren teilweise schwer verletzt, mit Knochenbrüchen, ausgeschlagenen Zähnen, Lungenperforationen und Schädeltraumata.

Die Polizei legitimierte seinerzeit den Einsatz mit gefälschten Beweismitteln. So wurden im Eingangsbereich der Schule zwei Molotowcocktails "gefunden"; ein Video zeigte später, dass die Polizisten sie praktischerweise selbst mitgebracht hatten. Und so schilderte ein Beamter in dramatischen Tönen, wie er von einem der Protestierer im Schultreppenhaus mit einem Messer attackiert worden sei. Die Untersuchung seiner Uniformjacke ergab jedoch, dass jemand recht ungeschickt versucht hatte, jenen Messerstich vorzutäuschen.

Dennoch waren die meisten Polizisten in erster Instanz glimpflich davongekommen, ihre Vorgesetzten erst gar nicht angeklagt worden. Im November 2008 hatte die zuständige Kammer in Genua bloß untergeordnete Chargen verurteilt; sie gehörten zu jener Bereitschaftspolizei-Einheit, die den Prügeleinsatz direkt durchgeführt hatte. Dagegen waren sämtliche Einsatzleiter vom Vorwurf der Beweismittelfälschung freigesprochen worden.

Das Berufungsgericht kehrte nun mit dem am späten Dienstagabend verkündeten Spruch das Urteil um. Es sah als erwiesen an, dass hinter der Fälschung System steckte. Deshalb wurde nicht nur jener Beamte verurteilt, der die Molotowcocktails in die Schule schmuggelte, und nicht nur jener Polizist, der sich zum Opfer der Messerattacke stilisiert hatte, sondern auch all jene vor der Schule anwesenden Polizeikommandanten, die die Festnahmeprotokolle mit den falschen Behauptungen abgezeichnet hatten.

Viele dieser Kommandanten haben in den Jahren seit Genua weitere Stufen auf der Karriereleiter erklommen und durften sich der konstanten Deckung durch die Regierung sicher sein. "Man muss begreifen, wie viel Kraft und Mut die Richter aufgebracht haben", kommentierte denn auch der Staatsanwalt Enrico Zucca nach der Urteilsverkündung. Und Giuliano Giuliani, Vater Carlo Giulianis, erklärte, "es gibt noch Richter in Genua". Rechtskräftig ist das Urteil allerdings noch nicht; alle Verurteilten werden mit Sicherheit in die dritte Instanz beim Kassationsgericht in Rom gehen.

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20 Kommentare

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  • C
    Constanze

    Das gibt einem doch wieder ein bisschen den Glauben an die Welt zurück. Dank an die mutigen Richter....entsetzlich diese Polizisten, die immer weiter die "Karriereleiter" hochfallen, scheinbar ohne Erinnerung, ohne Gewissen.

    Was für ein Europa ist das, in dem wir leben? Die Einheit der Schlägertrupps gegen die eigene Bevölkerung (siehe aktuell Barcelona)?

  • MI
    man in black

    oh man...und die deutschen establishment-medien halten es nich mal für notwendig darüber zu berichten..das so etwas damals in italien passieren konnte kann man eig nicht wirklich glauben..in einem eu staat...es sah allerdings mehr nach aus wie eine staatlich geplante und durchgesetzte prügelorgie der faschistischen italienischen polizei...und ich wette in der letzten instanz werden die täter erneut freigesprochen oder deren taten werden weniger hart bestraft...berlusconi wird allen zeigen dass er der große "duce" ist!!!!!!

     

    ansonsten sehr guter artikel..schade nur dass so etwas wieder nur in der taz und anderen linken medien thematisiert wird

  • V
    vic

    Gut dass in einem Unrechtsstaat wie Italien überhaupt noch so etwas möglich ist.

    Aber: Nach neun Jahren ein Strafmaß zwischen 3 und 5 Jahren, also netto 1 bis 3 Jahre?

    Das ist angesichts der, für Sicherheitskräfte, schweren Straftat, von absichtlichem Unterschieben von "Beweismitteln" bis hin zu geplantem Totschlag.

    Oder Mord?

    Ein Skandal.

  • H
    Horas

    Es ist ein Lichtblick. Jeder der sich mit der Thematik auseinandergesetzt hat wird froh sein, auch wenn es wahrscheinlich zu wenig ist.

    Ich hoffe nur das es Italien keine speziellen Polizisten Gefängnisse oder Abteilungen in den Gefängnissen gibt wie in anderen Ländern.

     

    Hoffen wird das das Urteil rechtskräftig wird.

  • DH
    D. Hegeler

    Sehr guter Bericht! Es ist sehr wichtig, dass alle Polizei- und Ordnungskräfte das hier lesen, damit ihnen klar wird, dass sie vor allem die Verfassungen, Grund- und Bürgerrechte schützen müssen, auf die sie ihren Eid schwören!

     

    Jede Gewalt - egal von wem - muss bestraft werden!

  • L
    Lukas

    Es ist ermutigend zu sehen, dass es Laender mit mutigen Richtern gibt. Wenn nun selbst die dritte Instanz so mutig ist, ist das ein sehr positives Zeichen an den Rest der Welt.

    Die deutsche Staatsanwaltschaft/Richterschaft soll sich auch ein Beispiel nehmen. So wuerde vielleicht der auf Video aufgenommene, brutale Kopftritt des Polizisten am 1. Mai diesen Jahres mit einer Verurteilung enden !

  • L
    Lenny123

    Vielleicht schauen sich die Staatsanwälte und Richter auch in Deutschland dieses Urteil mal genauer an und greifen bei Rechtsbrüchen durch die Staatsgewalt mal konsequenter durch.

     

    Die Polizei darf kein rechtsfreier Raum bleiben!

  • A
    abwarten

    ACAB!,

     

    mehr fällt mir dazu nicht ein.. ausserdem gilt ab zu warten was in nächster instanz geschieht..

  • X
    XChainsawX

    Vor diesem Richter ziehe ich aufrichtig meinen Hut ... ! Mal sehen wie die herrschende Elite darauf reagiert !

  • R
    Ralle

    So sieht das aus, wenn Staat gegen den Bürger steht: - Sollten bei einer Demo Steine geworfen werden, einer der Beamten verletzt, wird sofort nach einer schnellen und harten Bestrafung der, oder des Täters gerufen. - Machen sich hingegen die Sicherheitskräfte schuldig, kann das schon mal neuen Jahre bis zu einer Verurteilung dauern...

    Diese Art der Rechtsprechung ist für die Opfer ein Schlag ins Gesicht: - Man hätte besser daran getan, sämtliche Beteiligten zusammen zu treiben und mit Gülle abzuspritzen!

  • V
    vic

    Ich hab wirklich nicht mehr daran geglaubt, dass es in Berlusconis Italien noch anständige, sprich unabhängige Richter mit Berufsehre gibt.

    Was lange währte, wurde endlich gut.

    Leider nicht für Carlo Giuliani.

  • R
    Robert

    Solche Richter bräuchte man mehr! Männer wie diese oder Garzon! Und gerne auch solche Richterinnen!

  • A
    atypixx

    Ein gutes Zeichen, dass Rechtsstaatlichkeit in Europa hier und da noch etwas bedeutet!

  • F
    FtWWW

    Ich bin von der italienischen Justiz außerordentlich beeindruckt.

     

    Hierzulande könnte ein Polizist im Gerichtssaal einen Menschen zusammenschlagen - der Richterspruch wäre "Ich war gerade auf der Toilette."

  • KK
    Karl Kraus

    Nicht vergessen:

    Alle Globalisierungskritiker sind Chaoten.

    Alle Polizisten haben Recht.

  • K
    keks

    In Deutschland hätten diese Faschisten im Polizeidienst dafür bestenfalls Geldstrafen oder Bewährungsstrafen bekommen.

  • CH
    Carabiniere hihi

    Carabiniere? Ganz schon putzig, süß!

  • RH
    rare hog

    SUPER!!!!!!!!!!!!

    3 jahre haft nach 9 jahren verschleppung!

    ich hatte von anfang an keinen zweifel, dass die gerechtigkeit siegen würde!

    (wer sarkasmus findet, darf hn behalten!)

  • P
    paulianer

    9 jahre ?

     

    die selbe fragt wohl immer noch...was hat so ein land in der eu zusuchen...

  • R
    Ranjit

    "...Polizisten müssen in den Knast"

     

    "Rechtskräftig ist das Urteil allerdings noch nicht; alle Verurteilten werden mit Sicherheit in die dritte Instanz beim Kassationsgericht in Rom gehen. "

     

     

    Titel und Schluss des Artikels passen nicht ganz zusammen. Das ein Titel Aufmerksamkeit erregen muss ist klar, aber er sollte keine Erwartungen wecken die dann enttäuscht werden.

     

    Ansonsten:

    9 Jahre später aber immer hin!