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Gesundheitssystem in KalabrienHeld an die Heimatfront

In der italienischen Region Kalabrien kollabiert das Gesundheitssystem unter dem Druck von Pandemie und Kriminalität. Nun soll es ein Aktivist retten.

Gino Strada, Arzt und Gründer von Emergency, soll es richten Foto: Luca Bruno/ap

Als vor dreißig Jahren heftig über Out-of-Area-Einsätze der Bundeswehr gestritten wurde, bekamen manche Zeitgenossen melancholische Anwandlungen. Wäre es, fragten sie sich angesichts der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda, nicht sinnvoller, Friedenstruppen erst mal im eigenen Land einzusetzen, um so das Lebensrecht aller Bevölkerungsgruppen in den heimischen Krisengebieten sicherzustellen?

Gino Strada, Mailänder Arzt, Gründer der weltweit operierenden NGO Emergency und dafür 2015 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet, wäre jedenfalls durchaus bereit, seinem Einsatz für die Gesundheit weltweit nun einen im eigenen Land folgen zu lassen – in Kalabrien.

Das Gesundheitssystem der Zwei-Millionen-Einwohner-Region an Italiens Stiefelspitze wird schon seit zehn Jahren von zumeist unfähigen oder kriminellen Staatskommissaren verwaltet. Der letzte, gerade entlassene, musste erst von einem Journalisten darauf aufmerksam gemacht werden, dass eben er dafür zuständig gewesen wäre, einen Pandemieplan für die Region zu entwickeln.

Wie in allen Bereichen der öffentlichen Dienstleistungen steht Kalabrien auch bei der Gesundheitsversorgung an letzter Stelle, Krankenhäuser wurden kaputtgespart, geschlossen, und was übrig ist, dient der mächtigsten Mafia der Welt, der heimischen ’Ndrangheta, als Selbstbedienungsladen.

An Katastrophen gewöhnt

Wer krank ist und es sich leisten kann, fährt nach Norden, wo er dann gute Chancen hat, von einem Landsmann versorgt zu werden – so wie der britische Premier Boris Johnson von dem Kalabresen Professor Luigi Camporota während seiner Corona-Infektion.

Nun soll Gino Strada den Weg weisen. Der weitgereiste Mediziner, der seine Abscheu gegen rechte Hetzer wie Lega-Chef Matteo Salvini immer deutlich gezeigt hat, sei genau der Richtige, denn: „Um unser Gesundheitssystem hier in den Griff zu bekommen, braucht es jemanden, der an Katastrophen gewöhnt ist.“ So formulierte es jedenfalls Jasmine Cristallo, kalabresische Führungsfigur der basisdemokratischen „Sardinen­bewegung“.

Und Strada selbst? Der hat am Sonntag in einem Post auf Facebook zwar bestätigt, dass man ihn von Regierungsseite vor einer Woche kontaktiert habe; er sei auch sehr gerne bereit, in dieser Notlage zu helfen – aber nur wenn er tatsächlich etwas verändern könne. Für halbe Sachen sei er nicht zu haben.

Auf seine Bitte, die Bedingungen seiner Tätigkeit zu konkretisieren, habe er aber bis heute keine Antwort bekommen. Sein Verlangen, dass sich tatsächlich und radikal etwas ändern muss in Kalabrien, verbindet Strada dabei mit vielen mutigen Initiativen vor Ort, die seinen Einsatz durchaus begrüßen würden.

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