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GesundheitsgipfelDas Orakel aus München

Kommt Söder? Was sagt Seehofer? Der Streit um die Gesundheitspolitik zeigt: In Berlin sehen sie in der CSU mittlerweile das größere Problem als in Westerwelle und seiner FDP.

Markus Söder (links) und Horst Seehofer während der Sitzung des bayerischen Landtags. Bild: dpa

Mittags um eins wird die Welt noch in Ordnung sein in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung am Rand des Berliner Regierungsviertels. Die GesundheitspolitikerInnen der Koalition werden eintreffen, auf Einladung von Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Genau zwei dürfen aus jeder der drei Regierungsparteien kommen. Der Kreis soll so klein wie möglich sein. Zusammen werden sie das Fußballspiel zwischen Deutschland und Serbien anschauen, und wenn es ein schönes Spiel wird, dann wäre vielleicht eine gute Grundlage geschaffen für eine der schwersten Verhandlungsrunden im Berliner Parlamentsbetrieb.

Seit Monaten liefern sich Politiker aus der Koalition, vor allem aus CSU und FDP, einen erbitterten Streit um die Gesundheitspolitik. Vordergründig geht es um die Frage, ob eine einkommensunabhängige Kopfpauschale ein Weg sein kann, das drohende Defizit im System in den Griff zu bekommen. Zwischen den Fraktionen, so hört man, ist das Arbeitsklima gut.

Gesundheitsstreit

Das Koalitionsziel: Seit Beginn der Legislaturperiode ringt die Regierung aus CDU, CSU und FDP um eine Reform der Gesundheitspolitik, da die Finanzierung für die nächsten Jahre nicht mehr gesichert ist. Im Koalitionsvertrag heißt es: "Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit […] einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden" - die sogenannte Kopfpauschale. Dafür hat sich Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) eingesetzt und damit sein Schicksal verknüpft.

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Der Koalitionsstreit: Einen Weg zur Umsetzung des umstrittenen Projekts sollte eine Regierungskommission bilden, in der neben Rösler sieben weitere BundesministerInnen sitzen. Besonders die CSU hat aber immer wieder betont, dass sie die Pauschale für unsozial halte. Der Streit gipfelte in den Bezeichnungen "Wildsau" (FDP über CSU) und "Gurkentruppe" (CSU über FDP). Angela Merkel hat sich nicht klar positioniert. Mal distanzierte sie sich, dann nannte sie Rösler "einen exzellenten Minister". Eine Lösung wird frühestens in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause im Juli erwartet - nach der Bundespräsidentenwahl. (gor)

Doch am Samstag, am zweiten Tag der Klausur, gibt es einen Tausch in der Arbeitsgruppe. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer wird wegen eines privaten Termins nicht mehr dabei sein können. Für ihn kommt möglicherweise der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder nach Berlin. Der Mann, der in den vergangenen Monaten jeden Vorschlag seines Berliner FDP-Kollegen Rösler abschmetterte.

Es wäre im aktuellen Streit um die Gesundheitspolitik das erste Mal, dass einer aus München an konkreten Vorschlägen mitarbeitet, statt die Berliner Kompromisse von außen zu torpedieren. Es könnte eine Chance sein, wenn Söder kommt, heißt es deshalb in Berlin. Obwohl auch das noch keine Garantie ist, dass der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer am Ende mit im Boot sitzt. Er hält sich wie immer alles offen. Bis zuletzt.

Deshalb spielen sie in der Koalition das Treffen schon herunter, bevor es überhaupt begonnen hat. Es handele sich um ein Gespräch von Fachpolitikern, sagt Hans-Peter Friedrich, Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag: "Das ist nicht ein politisches Entscheidungsgremium." Eine neuerliche Regierungskrise brauche an diesem Wochenende niemand zu befürchten.

Es ist eine Art zweite Koalitionsverhandlung, die CDU, FDP und CSU jetzt führen. Sogar der Ort ist der gleiche, die nordrhein-westfälische Landesvertretung, in der die Regierungsparteien vorigen Herbst bis zur Ermattung um Formelkompromisse stritten. Und dann die Sätze in die Koalitionsvereinbarung schrieben, um deren Interpretation es an diesem Wochenende wieder geht.

"Langfristig", heißt es dort, wolle die Regierung ein System von "einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden." Aber was heißt "langfristig"? Ist damit die Kopfpauschale der FDP gemeint? Und was will Seehofer, der gegen dieses Prämienmodell eine Privatfehde führt, seit er 2004 deshalb als Fraktionsvize zurücktrat?

Damals antwortete Seehofer mit einem seiner typischen Sätze, geheimnisvoll und hinterfotzig. Jeder dürfe davon ausgehen, "dass die Formulierung dazu sehr persönlich auch von mir mitentwickelt wurde, damit der Verdacht, es würde das Gegenteil von dem angestrebt, was ich 2004 vertreten habe, von vornherein ausgeblendet ist".

So ging es weiter. Bevor die Berliner Gesundheitskommission im März zum ersten Mal zusammentrat, erklärten die Münchner sie für tot. "Die Arbeit der Kommission ist so gut wie erledigt, bevor sie angefangen hat", sagte Söder. Den CSU-Leuten in Berlin war das zu viel. Landesgruppenchef Friedrich nannte Söder einen "nicht zuständigen Politiker", der sich "ausschließlich destruktiv" äußere.

Es half nichts. In Berlin betrachten sie Seehofer inzwischen als das größte Problem der Koalition, nicht etwa den FDP-Chef Guido Westerwelle. Westerwelles Schicksal ist an den Erfolg des Regierungsbündnisses gekoppelt, für Seehofer gilt das nicht. Für seinen Erfolg in Bayern wäre es kein Schaden, wenn Schwarz-Gelb in Berlin nicht mehr regiert.

Am 31. Mai gewährte er Rösler eine Audienz in München. Es war der Montag, an dem Horst Köhler als Bundespräsident zurücktrat. Der Minister setzte auf eine konstruktive CSU, das war sein Fehler. Zwei Tage später wollte Rösler seine Pläne vor Journalisten erläutern. Zeitgleich trat Söder in München vor die Presse und lehnte den Kompromiss ab.

Penibel plant Söder seit Monaten seine Presseauftritte. Sobald in Berlin um einen Kompromiss gerungen wird, erklärte er die Pläne für untauglich. "Bei ihm wissen wir gar nicht mehr, was uns erwartet", sagen viele in der Berliner Unionsfraktion. Letztlich wissen sie nicht einmal sicher, ob er nun am Samstag vor der Tür steht. Und ob er dann verhandlungsbereit ist.

Vor der Klausur ist die Situation entsprechend verfahren, die Fachpolitiker sind angespannt. Zu Wochenanfang waren die CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn und Rolf Koschorrek mit Sparvorschlägen an die Öffentlichkeit gegangen. Knapp 4 Milliarden Euro wollen sie kürzen, bei den Kassen in der Verwaltung, den Krankenhäusern und den Arzneimitteln. Darüber soll nun am Wochenende verhandelt werden. "Als Erstes werden wir den Ausgabenbereich prüfen und Effizienzreserven heben", sagte der CSU-Bundestagsabgeordnete Johannes Singhammer der taz. "Falls nötig, reden wir noch über die Einnahmen."

Dass nun vor allem über die Ausgaben gesprochen werden soll, ist der verfahrenen Situation bei der Kopfpauschale geschuldet. Immer wieder kamen neue Vorschläge, mal stiegen die Beiträge, mal sanken sie. Mal wurde ein Sozialausgleich über Steuern angedacht, mal einer über Beiträge diskutiert. Von 15 bis 150 Euro wurden auch schon alle möglichen Pauschalen ins Spiel gebracht.

Es wird auf die Minimallösung hinauslaufen, so viel ist klar. Um das Defizit im nächsten Jahr von 11 Milliarden Euro zu decken, stehen zwei zusätzliche Milliarden aus dem Bundeshaushalt zur Verfügung. Vier sollen eingespart werden. Bleiben fünf, die durch eine Erhöhung der Zusatzbeiträge auf durchschnittlich etwa 15 Euro gedeckt werden könnten. Die Grenze, nach der die Zusatzbeiträge nicht mehr als 1 Prozent des Einkommens betragen dürfen, könnte auf 2 Prozent angehoben werden. Dazu könnte eine Ausnahmeregel für niedrige Einkommen eingebaut werden - dann wäre eine Art Sozialausgleich geschaffen. Eine Lösung ist das nur für ein Jahr. Schon 2012 müssten die Beiträge weiter steigen.

"Am Ende brauchen wir einen Kompromiss, den alle drei Parteien mittragen", sagt der CDU-Gesundheitspolitiker Spahn. "Ich bin optimistisch, dass wir etwas erreichen", sagt sein Kollege Koschorrek. Mehr ist bei den beteiligten Partnern wohl nicht drin. Und vielleicht kommt jemand aus München, der nicht einmal diesen Minimalkonsens mitträgt.

Sie wissen es einfach nicht, bevor es wirklich Samstag ist.

JENS SPAHN, CDU

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