Gesundheit: Doch kein Zwang zur Krebsvorsorge
Der Gemeinsamer Bundesausschuss stoppt einen Baustein der Gesundheitsreform: Verpflichtende Früherkennungsuntersuchungen wird es nicht geben.
Ab 20 regelmäßig zum Vaginalabstrich, ab 50 zur Mammografie, fünf Jahre später zur Darmspiegelung - mit der jüngsten Gesundheitsreform sollten Früherkennungsuntersuchungen wie diese zur Pflicht werden. Doch den Zwang zur Vorsorge wird es nicht geben.
Das hat Rainer Hess, der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) von Ärzten, Krankenkassen und Kliniken, gestern mitgeteilt. "Eine solche Verpflichtung ist mit ethischen und rechtlichen Grundsätzen nicht in Einklang zu bringen", sagte Hess nach der entscheidenden Sitzung des G-BA. Statt der Untersuchung soll nun die einmalige Beratung über mögliche Früherkennungsuntersuchungen Pflicht werden.
Mit der gesetzlichen Neuregelung der jüngsten Gesundheitsreform hatte der mächtige G-BA den Auftrag bekommen, die neue sogenannte Chronikerregelung zu präzisieren. Danach sollten chronisch Kranke künftig nachweisen müssen, dass sie vor der Erkrankung regelmäßig an entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen teilgenommen haben. Können sie dies nicht, sollte sich die Zuzahlungsgrenze von einem auf zwei Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens verdoppeln. Im Einzelfall kann dies mehrere hundert Euro ausmachen. Der G-BA sollte festlegen, in welchen Fällen Früherkennungsuntersuchungen ausnahmsweise nicht zwingend vorgeschrieben sein sollten.
Das vernichtende Ergebnis für die Macher der Gesundheitsreform, allen voran SPD-Ministerin Ulla Schmidt: Keine der angebotenen Vorsorgeuntersuchungen sei dafür geeignet. "Alle angebotenen Früherkennungsuntersuchungen haben durchaus auch Risiken", sagte Hess und fasste damit zusammen, was in der Wissenschaft unbestritten ist und jeder interessierte Laie weiß. "Beim Mammografie-Screening zur Früherkennung von Brustkrebs stehen dem unbestreitbaren Nutzen beispielsweise die Risiken einer Strahlenbelastung oder falsch-positiver oder falsch-negativer Ergebnisse gegenüber." Auch die Darmspiegelung zur Früherkennung von Darmkrebs könne zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.
"Vor diesem Hintergrund dürfen Versicherte nicht zur Teilnahme an diesen Untersuchungen gezwungen werden", sagte Hess. "Jeder Einzelne muss für sich selbst einen eventuellen Nutzen gegen einen eventuellen Schaden abwägen." Zudem, betonte auch Bernd Metzinger vom Bundesverband der Innungskrankenkassen, gebe es für jeden Patienten ein "Recht auf Nichtwissen". Experten hatten die Bedenken bereits während des Gesetzgebungsverfahrens vorgebracht.
Die Beratungspflicht, die der G-BA nun stattdessen empfiehlt, gilt zunächst für die Früherkennung von Brust-, Darm- und Gebärmutterhalskrebs. Sie betrifft Frauen, die nach dem 1. April 1987 und Männer, die nach dem 1. April 1962 geboren sind. Frauen müssen sich im Alter von 20 Jahren über mögliche Früherkennungsuntersuchungen zu Gebärmutterhalskrebs und mit 50 Jahren zu Brustkrebs beraten lassen, Männer und Frauen im Alter von 50 Jahren zu Darmkrebs. Für das Beratungsgesprächen ist jeweils zwei Jahre Zeit.
Dem Patientenvertreter im G-BA geht auch diese Regelung noch zu weit. "Auch das ist ein Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Patienten", sagte Stefan Etgeton vom Bundesverband der Verbraucherzentralen, der die Patienten im G-BA vertritt.
Auch die Pflicht zum sogenannten Gesundheitscheck, auf den alle gesetzlich Versicherten ab 35 Jahren jetzt schon alle zwei Jahre auf freiwilliger Basis einen Anspruch haben, lehnt der G-BA derzeit ab. Die Untersuchung dient insbesondere zur Früherkennung von Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen sowie Diabetes. Der "Check-up" müsse erst einmal überprüft werden, sagte Hess. Eine spätere Verpflichtung schloss er nicht aus.
Die Gesundheitsministerin kann ein Veto gegen den Beschluss des G-BA einlegen, deutete gestern aber Zustimmung an. Die Entscheidung gehe in die richtige Richtung: "Wir wollen die Menschen motivieren und nicht bestrafen", sagte Schmidt. Motivation ist dringend notwendig: Gerade 16 Prozent der berechtigten Männer nahmen 2005 die empfohlene Krebsvorsorge wahr, bei den Frauen waren es 48 Prozent.
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