: Gesund in Karow
■ Grundsteinlegung zum größten Wohnungsbauvorhaben im Osten / Grüne: Neue Stadt stellt "Fremdkörper" dar
Weder stürmische Winde noch schräge Töne des Polizeiorchesters konnten gestern Bundesbauministerin Irmgard Schwaetzer sowie den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen davon abhalten, den Grundstein für die Siedlung Karow-Nord (Weißensee) zu legen. Den Wind, orakelte der sichtlich zerzauste Regierende, wolle man als „zusätzlichen Schwung zum Auftrieb“ nehmen, um das 2,5-Milliarden-Projekt nun schnellstens zu realisieren. Diepgen setzt damit weiter auf Tempo statt auf behutsame Stadtentwicklung bei dem größten Wohnungsbauvorhaben in Ostdeutschland.
Bis 1997 ist geplant, auf der rund 100 Hektar großen Fläche nördlich des Dorfes Karow 5.200 Wohnungen für 15.000 Menschen, 2 Schulen und 17 Kindertagesstätten zu errichten. In der ersten Bauphase – bis 1995 – sollen drei Quartiere mit 1.000 Wohnungen, öffentliche Grün- und Sportbereiche und eine Schule fertiggestellt sein. Die Gebäude realisieren die Berliner Bauträger Groth + Graalfs und die Wohnungsbaugesellschaft Gehag. An den folgenden Bauabschnitten werden sich die Wohnungsbaugesellschaft Weißensee und die Süba beteiligen.
In seiner Rede zur Grundsteinlegung beschwor Diepgen noch einmal die Bedeutung der Bauaufgabe. In Karow-Nord, sagte er, setze Berlin die Traditionen der „revolutionären“ Siedlungen aus der Weimarer Zeit fort. Die „neue Vorstadt im Grünen“ bilde keine Großsiedlung, sondern erreiche durch die Mischung der Förderung und Bautypen „eine gesunde Vielfalt der Bewohner“. In Karow- Nord werden 42,5 Prozent der Bauten im klassischen sozialen Wohnungsbau, 42,5 Prozent im 2. Förderweg und 15 Prozent frei finanziert erstellt. Auch Bundesbauministerin Schwaetzer lobte den zügigen Fortgang der „neuen Stadt“. Sie würdigte das Projekt als Beweis der „gelungenen Kooperation zwischen öffentlicher Hand und privaten Investoren“. In nur zwei Jahren hätten Berlin und die Bauträger den Bauwettbewerb, den Bebauungsplan und die bauvorbereitenden Maßnahmen über die Bühne gebracht. Mittels eines städtebaulichen Vertrags zwischen den Partnern sei eine neue Finanzierungsform erfolgreich erprobt worden. So finanzieren die Investoren mit 130 Millionen Mark alle Erschließungsmaßnahmen und Teile der sozialen Infrastruktur. Im Gegenzug verzichtet das Land Berlin auf Erschließungsbeiträge.
Zukünftige Anwohner und Bürgerinitiativen protestierten gestern bei der Gundsteinlegung gegen das rasant durchgezogene Investoren-Bauvorhaben. Wie sie sieht auch die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen „keinen Anlaß zum Feiern“. Mit Karow-Nord entstehe eine Vorstadt von geringer Wohnqualität, da die neue Siedlung in der bestehenden Dorfstruktur „einen Fremdkörper“ darstelle, hieß es in einer Erklärung. Nach wie vor sei der Bau eines S-Bahnhofs ungeklärt. Damit sei das „Verkehrschaos auf den Straßen in Richtung Stadtmitte vorprogrammiert“. Rolf Lautenschläger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen