piwik no script img

Gespräch mit Billy Childish„Van Gogh ist mein Held“

Ein Gespräch mit dem britischen Künstler Billy Childish über das Bemalen von Ostereiern, Turnkeulen-Werfen und das Simplistische am Rock’n’Roll.

Billy Childish in Berlin Foto: Rikard Österlund/Courtesy the artist& neugerriemschneider
Robert Mießner
Interview von Robert Mießner

wochentaz: Mr Childish, zählen Sie Ihre eigenen Alben?

Billy Childish: Nein, nicht wirklich. Andere Leute sagen mir manchmal, auf wie viel sie gekommen sind. Ich schätze, es werden 130 bis 160 sein.

Ich frage, weil in ziemlich jedem Artikel über Sie die immense Zahl Ihrer Veröffentlichungen betont wird.

Das kommt daher, dass die Leute sich lieber auf bereits Gesagtes verlassen, als selbst zu recherchieren.

Im Interview: Billy Childish

Billy Childish ist das bekannteste Pseudonym von William Charlie Hamper, geboren 1959 in Chatham, Kent. Der britische Sänger und Gitarrist ist 1979 durch Bands wie die Pop Rivets und später Thee Mighty Caesars oder aktuell CTMF und zahlreiche Veröffentlichungen bekannt geworden. Childish hat auch Alben von Die Goldenen Zitronen und Holly Golightly produziert. Er schreibt und übersetzt. Seit den achtziger Jahren malt Childish in einem der Klassischen Moderne verpflichteten expressiven Stil, hinzugkommen sind Collagen und Fotografien. Childishs umfangreiches bildendes Werk wird in letzter Zeit verstärkt wahrgenommen.

Es ist, als würde es einen Billy-Childish-Artikel-Generator geben.

Es gibt die Webseite Discogs.

Zu Ihrem musikalischen Repertoire gehören Beat, Garagepunk und Folk. Daneben stehen Skiffle Jazz mit den Blackhands oder das Weltkriegs-Memorial mit Sexton Ming.

Oder die Poetry-LPs und die mit britischem Blues.

Trotzdem liest man oft den Satz, alle Billy-Childish-Alben klängen im Grunde gleich.

Die dutzend Platten der William Loveday Intention seit 2020 sind wieder anders als die der Headcoats. Ich denke, meine Musik ist sehr variabel, aber was sich durch sie zieht, ist ihr elementarer Aspekt. Der verleitet dazu, sie abzuqualifizieren. Ähnlich ist es meiner Malerei ergangen. Es gab Kritiker:Innen, die behauptet haben, ich könne nicht malen. Das, obwohl ich nicht einmal so getan habe, als ob.

Warum?

Abwechslung und Bewegung sind etwas, das den journalistischen Zugriff erschwert. Ich weiß, die gängige Vorstellung ist, ich habe einen Song komponiert, der geht „Dam-di-dam-dam-dam.“ (lacht) Okay, wenn jemand das glauben möchte, bitte schön, gern geschehen.

Wer ist der ideale Hörer, die ideale Betrachterin oder Leserin?

Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Um ehrlich zu sein, unterhalte ich mich selbst. Wenn nun jemand dadurch unterhalten wird, gerne, aber mein erster Gedanke gilt tatsächlich nicht dem Publikum. In der Malerei versuche ich herauszufinden, was und wie das Gemälde sein will. Mit der Musik verhält es sich ähnlich. Was ich da tue, tue ich, weil ich es einfach und natürlich finde. Und weil es mir erlaubt, die Welt draußen lassen zu können. Wer Humor, Intelligenz und Seele hat und sich nicht von Technik beeindrucken lässt, könnte schon Gefallen daran finden.

Was stört Sie an der Welt da draußen?

Es ist nicht so, dass ich die Welt da draußen nicht mag. Ich komme nur nicht gut damit zurande, wenn mir gesagt wird, was ich zu tun habe, was Kunst sein und wie Musik klingen sollte. Ich interessiere mich nicht für die soziale Malaise, für Partys oder Versuche, irgendwer zu sein. Ich bin eigentlich ein häuslicher Typ, bin ich immer gewesen, und keine öffentliche Figur.

Mit der William Loveday Intention haben Sie drei Alben mit Bob-Dylan-Coverversionen veröffentlicht. Gibt es da eine Hassliebe?

Ich bin kein Dylanologe und gehe, wie in vielen Dingen, eher respektvoll mit seinem Werk um. Hass spielt da keine Rolle. Außer der „The Times They Are A-Changin’“-LP, die wir zu Hause hatten, als ich fünf Jahre alt war, habe ich lange kaum Musik von Dylan gehört. Sicherlich kannte ich Jimi Hendrix’ Interpretation von „All Along The Watchtower“, die allgemein als ein Geniestreich angesehen wird, mir aber zu überproduziert und zu clever ist. Ich liebe Jimi Hendrix, muss aber nicht unbedingt beeindruckt werden.

Sie kamen von Jimi Hendrix zu Dylan?

Vor einigen Jahren wollte ich Dylans Originalversion hören. Dann hat Yotube mir mehr Vorschläge gemacht, darunter eine Liveaufnahme von 1976, bei der Dylan wie Joe Strummer klingt. Und so ist es zu „The New and Improved Bob Dylan“ gekommen. Weil aber Dylan von seinen Fans immer auf ein hohes Podest gestellt wird, das ich lächerlich finde, dachte ich, so ein Dichter möchte ich auch sein. Und so habe ich die lyrische Seite meiner Songs, die sonst eher zu 30 Prozent durchkommt, auf den William-Loveday-Alben mehr gepflegt. Noch einmal zu Dylan: Mir ist beim Hören und Covern klargeworden, wo er gut ist, da ist er wirklich gut.

Nicht alle mögen seine Stimme.

Ich bin kein Freund davon, wie Dylan seit ungefähr 20 Jahren singt. Er krächzt wie Mr. Burns von den Simp­sons, muss nicht sein! Aber es ist ausgerechnet das nicht Stimmige, das Ungelenke und Eckige gewesen, was mich für ihn eingenommen hat. Hut ab vor Dylan! Er hat einmal gesagt, er habe mit voller Absicht schlechte Platten gemacht. Das, fand ich, war ein richtig kluger Schachzug.

Sie verwenden oft Begriffe wie „fundamental“ und „elementar“. Suchen Sie Schönheit in Einfachheit?

Dazu fällt mir ein, dass es nicht lange her ist, dass in meiner Heimatstadt ein gigantischer Mond, ungefähr so groß wie der Raum, in dem wir jetzt sitzen, in die Kathedrale gehängt und von innen beleuchtet wurde. Ich kam vorbei, als die Leute, sie kamen bis aus London, Schlange standen und bezahlten, um in der Kathedrale den Kunstmond zu sehen, während am Himmel Vollmond war. Das sagt eine Menge über die Menschen. Wenn ich eine Galerie besuche, kann es mir schwerfallen, Schönheit zu finden, während ich sie draußen vor den Fenstern, an den Pflanzen am Gemäuer, leicht finde. Sibelius hat sich von Gänsen inspirieren lassen. Van Gogh, einer meiner Helden, hat die Natur zu den Menschen nach Hause gebracht. Vieles von dem, was mir als Kunst verkauft wird, feiert Alltäglichkeit, Elend und Tod. Ich hatte davon genug. Sicherlich muss das einmal raus. Aber ich denke auch, dass das nicht in den höchsten Tönen besungen werden muss.

In der Berliner Galerie Neugerriemschneider, in der wir uns unterhalten, hatten Sie 2020/21 die Ausstellung „skulls wolfs rudes rope pullers and a nervous breakdown“. Zu ihr gehörte eine ganze Reihe von Bildern aus der Arbeitswelt. Wollten Sie etwas zeigen, das am Verschwinden ist?

Tatsächlich habe ich mein Atelier in Chatham dort, wo sich eine riesige Seilerei befindet. Aber ich hatte bei diesen Bildern keinen vorsätzlichen Gedanken. Was mich interessierte, war der Vorgang des Seilziehens und die Entdeckung, dass man bei vielen Seilziehern nicht sieht, was sie eigentlich ziehen. Aber auch das ist schon nachträgliche Analyse. Ich möchte niemand Denken oder Fühlen aufzwingen. Es gibt auch einen William-Loveday-Song, „The Rope Puller“.

2010 haben Sie in Öl „Winter in Carwitz (Fallada)“ gemalt. Wie kam es dazu?

Das war, als wir auf Tour durch die USA reisten. Ich suchte etwas zu lesen, griff im Zufallsprinzip nach Büchern, las den ersten Satz und stellte sie wieder zurück. Ich mag Literatur nicht sonderlich, aber ich möchte es. Da bin ich auf Hans Falladas „Der Trinker“ gestoßen, stellte fest, das ist wirklich gut, habe mehr von ihm gelesen, war begeistert und besorgte mir dann ein Fotobuch, das ich sehr mochte. Es geht mir oft so, dass ich mich Dingen, die ich mag, regelrecht anschließen, mich mit ihnen identifizieren möchte. Das ist mein Antrieb. Ich finde Freunde in den Toten der Geschichte.

Was tun Sie zur Kontemplation?

Ich trainiere mit Turnkeulen und meditiere, praktiziere etwas Yoga und studiere Vedanta.

2013 haben Sie ein 70 Zentimeter großes Osterei bemalt, das „Razzle Dazzle Egg 13“.

Habe ich das? Moment, das war im Rahmen einer Benefizveranstaltung, das ist für mich der einzige Grund, ein Osterei zu bemalen. Dabei weiß ich nicht immer, warum ich male. Es kommt vor, dass ich den Winter im Frühling und den Frühling im Winter male, und manchmal kann ich mich nicht entscheiden. Ich habe den Christus und das Kreuz nach Rubens gemalt. Ich bin ein großer Verehrer des wahren Christus, nicht des kirchlichen, aber des ursprünglichen Christus als historische Figur, den finde ich inspirierend und faszinierend. Religiös bin ich nicht.

Wie sieht es mit Spiritualität aus?

Schon eher. Was ich nicht mag, sind Gruppenzwang und Götzendienst, sei es an Religion, Popstars oder politischen Standpunkten. Totalitarismus in jeglicher Form lehne ich ab.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!