Gesichter: Personen, auf sich selbst reduziert

Das Landesmuseum Oldenburg zeigt Herlinde Koelbls Fotografien seit 1976 - in einer Werkschau, die so zuvor nur in Berlin zu sehen war. Ihre Portraits zielen auf das Wesentliche: den Menschen selbst.

Schlafzimmer London, 2000 Bild: Herlinde Koelbl

Es mag etwas vom Hauptweg abführen, wenn hier nicht zuerst von Herlinde Koelbl, der Fotografin, die Rede ist, sondern von dem über Oldenburg hinaus eher unbekannten Jürgen Steinfeld. Es muss aber so sein, denn man kann davon ausgehen, dass Koelbls Werke nicht den Weg ins Oldenburger Schloss gefunden hätte, bestünde nicht seit 1997 ein steter Kontakt zwischen Steinfeld und ihr: Sie hatte damals auf seine Einladung ihre "Starken Frauen" in Oldenburg gezeigt, seither bedachte er sie immer mal mit freundlichen Kartengrüßen. Der - sicherlich nicht unerwünschte - Effekt: Koelbl erinnerte sich seiner, rief eines Tages an und bot ihm die Werkschau an.

So kommen Bilder in die Provinz, die zuvor nur im Berliner Martin-Gropius-Bau in diesem Zusammenhang gezeigt wurden: Fotografien, die das Werk einer Spätberufenen zeigen - erst 1976, mit 37 Jahren, fing sie an, mit der Kamera zu arbeiten. Die Schau mit 450 Aufnahmen sprengt die Räumlichkeiten im Oldenburger Schloss. Sie passt nicht allein in die für Wanderausstellungen genutzten Säle unterm Dach, sondern setzt sich, nachdem man Treppen herabgestiegen oder im Aufzug gefahren ist, im Bibliotheksflügel des Schlosses im Erdgeschoss fort. Das ist etwas unglücklich, denn so wird die vielgestaltige Einheit des Werkes auseinandergerissen, und wer sich beim Besuch ein zweites Mal ausgewählten Bildern ausführlicher widmen will, muss den weiten Weg erneut bewältigen.

Aber anders ging es nicht. Es gibt für eine so umfassende Schau mit ihren vielen Stationen keinen ausreichend großen Raum in Oldenburg. Das ist allerdings auch schon die einzige Lässlichkeit dieser Ausstellung, mit der das Landesmuseum erneut zum Schauplatz eines bedeutenden fotografischen Werks wird; zuletzt waren dort, neben anderen, zu sehen: Stefan Moses, Volker Hinz und Willy Ronis.

Während diese drei stets für große Illustrierte oder Bildagenturen arbeiteten - Stern, Life, Magnum, um nur einige zu nennen - und gewissermaßen im Auftrag zu Chronisten der Zeit wurden, ist Koelbl seit jeher unabhängig und als Verwirklicherin eigener Ideen unterwegs. Auch sie wird darin zur Abbildnerin von Zeitgeschichte, auch sie zeigt und deutet den Alltag, aber sie tut das aus sich heraus. Sie folgt ihrem Interesse, stellt ihre Fragen und verlässt dafür auch das, was sich Mainstream nennt und - man sieht es am bildjournalistischen Verfall etwa des Stern - beliebig und austauschbar geworden ist.

Koelbls Werk ist geprägt von Langzeitprojekten, deren bekanntestes in der Oldenburger Werkschau gleich am Anfang zu sehen ist: Die "Spuren der Macht", jene Portrait-Reihe in den Startlöchern befindlicher Politiker, die sie von 1990 an über 15 Jahre einmal jährlich abgelichtet hat. Die Personen sind aufs Wesentliche - auf sich selbst - reduziert; man sieht, wie Macht Mimik und Haltung - ja, das ganze Wesen - von Menschen verändert. Angela Merkel etwa erscheint Anfang der 1990er genau als das, was in ihrem frühen, fast zum Schicksal gewordenen Beinamen "Kohls Mädchen" zum Ausdruck kommt: Eine schüchterne junge Frau, die dasteht, als wisse sie gar nicht, was ihr geschieht. Und wahrscheinlich war das auch so, ehe sie sich zur mächtigsten Frau in ihrer Partei und zur Bundeskanzlerin häutete.

Gerhard Schröder dagegen: immer schon kantig, das Kinn vorgereckt, die Augen blitzend vor und dürstend nach Macht. Der Einzige, dem Koelbl eine Art Signum der Macht gelassen hat - die dicke Cohiba, ohne die Schröder eine Zeit lang nicht denkbar war. Diese Bilder erzählen die Geschichte eines Emporkömmlings, der Macht wollte, dem die Machtaneignung aber tiefe Spuren ins Gesicht gefräst hat - und der erst entspannt wirkt, als Koelbl ihn nach dem Verlust der Kanzlerschaft portraitierte.

Kern der Werkschau bilden die "Jüdischen Porträts", für die Herlinde Koelbl Ende der 1980er Jahre unterwegs war. Sie besuchte Menschen, die wegen ihrer jüdischen Herkunft schwere Schicksale erlitten, die den Horror überlebten und die auch für den geistigen Aderlass stehen, den die Auslöschung jüdischen Lebens mit sich brachte: Der Schriftsteller Hans Sahl ist zu sehen, der Soziologe Norbert Elias, die Psychotherapeutin Erika Landau, die Schriftstellerin Grete Weil.

Kernaussagen der Gespräche, die Koelbl mit ihnen geführt hat, deuten an, was die Fotografin meint, wenn sie das Projekt eine "geistige Reise" nennt, die sie tief bewegt habe. Themen werden ausgelotet in dieser Ausstellung: Koelbls Blick auf die USA während einer Greyhound-Reise 1981 durchs ganze Land; "Schein und Sein" der Reichen und Schönen; und "Kinder", die zu Koelbls ersten Objekten gehörten. Auch sie verraten in ihrer Reduziertheit, wie viel der auf sich selbst reduzierte Mensch erzählt von der Welt, in der er lebt.

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