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Gesetzeslücke Welche Speisen sind in einer Besenwirtschaft erlaubt? Wir haben uns lange darüber den Kopf zerbrochen und eine Lösung gefundenSponti-Essen für Sponti-Gaststätte

Das Essen müssen sich die Gäste selbst erhitzen, dann schimpft auch das Ordnungsamt nicht Foto: Patrick Bauer

Von Philipp Mausshardt

Ich möchte heute die Ehre des Besens retten. Man verspottete meine schwäbischen Landsleute jetzt lange genug. Ich finde das nicht mehr lustig. Es hat sich ausgekehrt. Außerdem wird auch in anderen Regionen ab und zu geputzt. Da lacht ja auch niemand drüber.

Vielleicht haben die ganzen Kehrwochen-Witze über die Schwaben ja aber auch eine ganz andere, tiefere Bedeutung. Wahrscheinlich hängen sie tiefenpsychologisch mit Form und Funktion dieses langweiligen Haushaltsgeräts zusammen: ein langer Stecken und vorne dran ein buschiges Etwas. Ich möchte jetzt nichts ins Detail gehen, aber warum Hexen ausgerechnet auf einem Besenstiel reiten, scheint mir doch einigermaßen zweideutig.

Wo ich herkomme (und weit darüber hinaus), hat der Besen aber noch eine andere, sehr schöne Bedeutung. Weinbauern in Süddeutschland benutzten ihn als Zeichen für ihren saisonalen Weinausschank. Buschenschank, Straußenschänke, Besenwirtschaft – alles Synonyme für eine uralte Form der Sponti-Gaststätte, häufig sogar, wie bei meinem Urgroßvater, im eigenen Wohnzimmer.

Regeln für die ­BesenwirtschaftAlles ist sehr schön geregelt, von der Notwendigkeit einer Dixi-Toilette bis zur Aufstellung von Hinweis­schildern

Die Winzer hatten ein verbrieftes Recht, für ein paar Wochen oder Monate im Jahr ihren eigenen Wein öffentlich auszuschenken, und dieses Recht gilt bis heute.

Weil ich mit einigen Freunden einen kleinen Weinberg im oberen Neckartal besitze, haben wir vor ein paar Wochen einen Antrag auf Erteilung einer Gaststättenerlaubnis beim örtlichen Ordnungsamt eingereicht. In der Gaststättenverordnung ist alles sehr schön geregelt, von der Notwendigkeit einer Dixi-Toilette bis zur Aufstellung von Hinweisschildern. Auch über die Art der angebotenen Speisen hat sich im Ministerium jemand Gedanken gemacht und den nicht leicht zu deutenden Satz formuliert: „An Speisen dürfen nur kalte sowie einfach zubereitete warme Speisen verabreicht werden. Darunter sind Gerichte zu verstehen, deren Zubereitung keine besondere Fertigkeiten und außerdem wenig Zeit und Mühe erfordert.“ Über diesen Satz haben wir lange nachgedacht. Und je länger wir nachdachten und dabei unseren Wein tranken, desto klarer wurde uns, was er bedeutet.

Einer der Weinbaugenossen ist Gerlando, ein gebürtiger Sizilianer, der eigentlich geplant hatte, nach Erreichen des Rentenalters zurück nach Sizilien zu ziehen und dort einen Weinberg zu betreiben. Dummerweise hat er sich kurz vor der Rente noch einmal in eine Schwäbin verliebt, und darum ist er hiergeblieben und macht jetzt seinen Wein eben am Neckar. Gerlando schlug vor, sizilianische Arancini als Gericht in unserer Besenwirtschaft anzubieten. Diese an Orangen erinnernden Reisbällchen würde man weder kalt noch warm essen, eher lauwarm, sie seien damit durch eine Lücke in der Gaststättenverordnung nicht erfasst. Denn andererseits bräuchte man zu ihrer Herstellung schon eine gewisse Fertigkeit, was ja laut Gesetz verboten wäre.

Wir schenkten noch einmal nach, und der Rechtsanwalt unter uns Hobbywinzern wackelte bedenklich mit dem Kopf. Wenn er den Gesetzestext richtig verstehe, und er verstehe ihn richtig, könnten wir auch kompliziert herzustellende Gerichte anbieten, vorausgesetzt, wir bieten sie kalt an. Unsere Gäste müssten sie dann selbst erhitzen, das wäre erlaubt. Ein kaltes Gulasch oder auch kalte geschmorte Rinderbäckchen wären gesetzlich möglich, da über den Schwierigkeitsgrad der Zubereitung kalter Speisen in der Gaststättenverordnung nichts geschrieben stünde.

Rezept Arancini

Zutaten (für 10 Personen):

1 kg Risotto-Reis

3,5 l Brühe

Safran

200 gr Butter

250 gr Parmessan, gerieben

500 gr. Hartkäse (Pecorino oder Emmentaler)

500 gr Hackfleisch aus Schweinefilet

10 Eier

5 kl. Zwiebeln

500 gr Erbsen

10 geschälte Tomaten

Tomatenmark

Semmelbrösel

Reis in der Hälfte der Brühe kochen, in der anderen Hälfte Safran auflösen und zum Reis geben. Wenn der Reis bissfest, Butter und Parmesan zugeben und die Masse erkalten lassen. Dann fünf Eier unterrühren und beiseitestellen. Angedünstete Zwiebeln und Hackfleisch anbraten, Erbsen, gewürfelte Tomaten und etwas Tomatenmark zugeben. Mit Salz und Pfeffer würzen und zu einer cremigen Masse verarbeiten. Eine Handvoll Reis nehmen und die Fleisch-Gemüse-Masse zusammen mit etwas gewürfeltem Käse damit umschließen. Die Bällchen in den restlichen Eiern und Semmelbröseln wenden und in heißem Olivenöl frittieren. Lauwarm servieren.

Wir rätselten noch eine Weile über den Sinn dieser Verordnung, entschieden uns schließlich für die lauwarmen sizilianischen Arancini, ein Gericht, das es nur selten auf Speisekarten schafft. Die frittierten Reisbällchen lassen sich zudem gut für größere Gruppen vorbereiten.

Am Tag der Eröffnung unserer Besenwirtschaft kam Gerlando mit einer riesigen Schüssel voller Arancini. Ein wunderbares Sommeressen und die passende Ergänzung zu unserem leichten schwäbischen Terrassenwein. Eine Kontrolle durch das Ordnungsamt fand nicht statt.

Essecke: Philipp Maußhardt schreibt auf dieser Seite jeden Monat über das Essen in großen Runden. Außerdem im Wechsel: Jörn Kabisch befragt Praktiker des Kochens. Waltraud Schwab macht aus Müll schöne Dinge, und unsere Autoren treffen sich mit Flüchtlingen zum gemeinsamen Kochen

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