Gesetzesentwurf zur Presseaufsicht: Nagel in den Sarg
Neue Presseaufsicht in Großbritannien: Nicht alle sind begeistert. Die großen Zeitungsverlage wollen boykottieren – und auch Blogger sind unzufrieden.
LONDON taz | Der neuen Presseaufsicht in Großbritannien droht ein schlechter Start. Kaum hat sich die Politik auf einen Deal geeinigt, wollen die Zeitungen schon abspringen und die Blogger fürchten Strafen. Sie haben über die Lords im Oberhaus noch in letzter Minute Änderungen eingebracht.
In wesentlichen Punkten folgt die Regierung den Vorschlägen der Leveson Untersuchung zum Phone Hacking Skandal. Die neue Aufsicht soll ein bissigeres und rechtlich gestütztes Geschöpf sein statt einem freiwilligen Vermittler, wie es die //www.taz.de/!106513/:Press Complaints Commission (PCC) in den vergangenen 20 Jahren war.
So etwas habe es seit der Abschaffung der Presse-Lizenzen im 17. Jahrhundert nicht mehr gegeben, empörte sich prompt der Telegraph. Die Sun verkündete titelseitig „D-Day“, Invasion und letztes Gefecht um die Pressefreiheit. Die Daily Mail lamentierte, das schlüge einen Nagel in den Sarg des vom Internet so bedrohten Zeitungsgeschäfts.
Unzufriedene Blogger
Die größten Zeitungsverlage, Murdochs News International, der Verlag des Telegraph, und der Inhaber der Daily Mail, haben angekündigt, die neue Aufsicht gemeinsam boykottieren zu wollen.
Blogger sind mit dem Gesetzesentwurf ebenfalls unzufrieden. Es sei unklar, welche Kosten auf Blogger zukämen, sagt Sunny Hundal von Liberalconspiracy.org. Falls Blogs der Presseaufsicht unterstünden, müssten sie sich vielleicht an deren Finanzierung beteiligen. Aber in welcher Höhe? Die Blogger haben sich mit Politikern getroffen, um von der Aufsicht besser ganz ausgenommen zu werden.
Lord McNally, Vorsitzender der freien Demokraten im Oberhaus und Justiz-Sekretär, hat darauf hin am Dienstag angekündigt, am Gesetz nachbessern zu wollen. Drei zentrale Punkte der Reform stehen aber bereits fest. Erstens, wird die neue Aufsicht quasi-gesetzlich untermauert, mittels einer königlichen Urkunde.
Dank einer geschickten juristischen Konstruktion können alle Parteien behaupten, in dieser umkämpften Sache ihre Forderungen durchgedrückt haben. Bis auf die Verlage. Gegen diesen Punkt hatten sie den meisten Widerstand geleistet. Zweitens, reguliert der Staat nicht selbst, er reguliert aber die Regulierer. Die Presse soll eine Aufsicht entwerfen, die dann staatlich anerkannt wird.
Drittens ist Beaufsichtigung weder verpflichtend noch freiwillig. Der Staat setzt Anreize, sich der Aufsicht zu unterwerfen. Wer sich nicht beteiligt, dem drohen weitaus höhere, „exemplarische“ Strafen wenn eine Sache vors Gericht geht.
Hybridwesen
Das neue britische System ist damit ein Hybrid zwischen freiwilliger Selbstkontrolle, sogenannter Peer-Regulierung, und Ko-Regulierung. In Deutschland und Finnland regelt sich die Presse freiwillig selbst. Eine Ko-Regulierung der Presse findet sich etwa in Dänemark. Auf ähnliche Art regeln sich in Deutschland Film und Fernsehen.
Eine Aufsicht der Presse gibt es nicht überall. In Frankreich oder den USA gibt es nicht einmal eine gemeinschaftliche freiwillige Selbstkontrolle der Medien. Dort haben die Zeitungen ihre Ombudsmänner, für den Rest sind die Gerichte zuständig.
In Dänemark, hingegen, wo jede Zeitung zwangsweise der gesetzlich geregelten Aufsicht untersteht, wurde dieses System 1991 gerade mit der Absicht geschaffen, diese Fälle aus den Gerichten heraus zu halten.
So verschiedenen die Aufsichten sein mögen, sie sind alle auf ähnliche Art entstanden. Von 1916 in Schweden, über Deutschland 1956, bis hin zu Irland im Jahr 2007 und Australien, wo gerade einen Reform stattfindet, sei es immer wieder die Drohung der Politik gewesen, auch härtere Mittel im Angebot zu haben, die eine Reform in Gang brachte, sagt Lara Fielden vom Reuters Institute an der Universität Oxford.
Die PCC, die seit 1991 in Großbritannien in freiwilligem Rahmen die Presse beaufsichtigt, sei in ihrer täglichen Arbeit durchaus erfolgreich gewesen, sagt Fielden. Bei rund 7.000 Beschwerden pro Jahr vermittelte sie zwischen Lesern und Medien und beriet Betroffene. Aber im Phone-Hacking Skandal versagte die PCC. Seitdem ist sie nur noch eine Zwischenlösung.
Australien als Beispiel
Alle Reformen stehen vor der Herausforderung, die Aufsicht über verschiedene Medien zu vereinen. Schließlich soll der Inhalt und nicht dessen Verbreitung beaufsichtigt werden. Den interessantesten Entwurf gebe es momentan in Australien, sagt Fielden.
Dort ist die Labour Minderheitsregierung unter Julia Gillard den Vorschlägen der Finkelstein Untersuchung gefolgt und hat ein umfassendes Paket vorgelegt. Ähnlich wie in Großbritannien reguliert der Staat hier die Aufsicht und nicht die Medien selbst. Darüber hinaus sind auch wettbewerbsrechtliche Änderungen in dem Paket.
Der Reformversuch der Australier droht zu scheitern. Nach starkem Gegenwind aus den Medien findet der Plan der Regierung bisher keine Mehrheit im Parlament. Murdoch feierte diesen Erfolg bereits auf Twitter. In Großbritannien haben seine Zeitungen aber schon zu viel Porzellan zerschlagen, um so selbstbewusst auftreten zu können wie in seinem Heimatland.
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