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Gesetzentwurf zu §218 im RechtsausschussLetzte Chance für liberaleres Abtreibungsrecht

Am Montag entscheidet sich, ob der Bundestag noch über die Legalisierung von Abbrüchen abstimmt. Ansonsten wäre das Vorhaben für lange Zeit vom Tisch.

Ob dieses Demoschild künftig noch gebraucht wird oder nicht entscheidet sich in dieser Woche im Bundestag Foto: Stefan Boness/Ipon

Berlin taz | Es ist die vorerst letzte Chance für ein liberaleres Abtreibungsrecht in Deutschland. Am Montagnachmittag verhandelt der Rechtsausschuss des Bundestages über einen überfraktionellen Gesetzentwurf, der eine weitestgehende Streichung des Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch vorsieht. Am Dienstag könnte das Gesetz so auf den letzten Metern der Legislatur im Bundestag beschlossen werden. Doch das Vorhaben droht an Union, FDP und AfD zu scheitern.

Mitte November, kurz nach dem Ende der Ampelregierung, hatten Abgeordnete von SPD, Grünen und Linken den Antrag eingebracht: 328 Par­la­men­ta­rie­r:in­nen legten einen Gesetzentwurf zur Neuregelung von frühen Schwangerschaftsabbrüchen vor. Demnach sollen Abbrüche künftig in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft rechtmäßig sein. Zudem sollen Krankenkassen einen Abbruch finanzieren können.

Derzeitig sind Abbrüche in Deutschland grundsätzlich rechtswidrig und nur unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Den In­itia­to­r:in­nen zufolge stellt das „eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung, der persönlichen Integrität und der körperlichen Autonomie Schwangerer dar“.

Dass sich daran etwas ändert, war mit dem Antritt der Ampel-Koalition so nah gerückt wie seit Jahrzehnten nicht. Immerhin hatten mit SPD und Grünen gleich zwei Parteien das Ende von Paragraf 218 in ihren Wahlprogrammen gefordert. Mit der FDP war aber zunächst nur eine Kommission umsetzbar, die Regelungen außerhalb des Strafrechts prüfen sollte.

Klare Aussage der Ex­per­t:in­nen

Diese kam schon im April 2024 zu dem Schluss, eine grundsätzliche Strafbarkeit des Abbruchs in der Frühphase sei aus „völker-, verfassungs- und europarechtlicher Perspektive“ nicht haltbar. Die Ex­per­t:in­nen ließen sogar Spielraum für eine Legalisierung bis zur 24. Woche. Doch eine Initiative scheiterte an der FDP.

Was nun vorliegt, sei deswegen eine „Minimalversion“, sagt Mit-Initiatorin Leni Breymaier (SPD). So gebe es eine reelle Chance für ausreichend Unterstützung für das Gesetz. Beispielsweise soll die Pflicht zur Beratung bestehen bleiben, allerdings ohne die derzeit geltende Wartepflicht von drei Tagen bis zum Abbruch. Bei rechtswidrigen Abbrüchen soll sich künftig nur die Ärz­t:in strafbar machen, nicht die ungewollt Schwangere. Die Regelungen zu späteren Abbrüchen sollen nicht mehr im Strafgesetzbuch, sondern im Schwangerschaftskonfliktgesetz stehen. Der Paragraf 218 StGB soll lediglich den Schutz Schwangerer vor nicht selbstbestimmten Abbrüchen enthalten.

Union und FDP allerdings beharren weiterhin auf der derzeitigen Rechtslage. Das Selbstbestimmungsrecht der Frau sehen sie als gewährleistet an. Außerdem habe der geltende Kompromiss die Gesellschaft befriedet, heißt es dabei aus den Reihen der Konservativen. Während der ersten Lesung des Entwurfs im Bundestag warf beispielsweise Dorothee Bär (CSU) den Antragstellerinnen vor, einen „spalterischen Kulturkampf“ zu führen. Die AfD will eine möglichst restriktive Handhabe des Abtreibungsrechts.

Die Un­ter­stüt­ze­r:in­nen des Antrags werfen Union und FDP vor, die parlamentarischen Prozesse bewusst zu bremsen. Diese hätten versucht, den Entwurf im Rechtsausschuss durch Änderungen der Tagesordnung zu blockieren. Erst als dies nicht funktionierte, stimmten sie einer öffentlichen Anhörung am 10. Februar zu. „Wenn eine Gruppe von Abgeordneten aus den Reihen der Regierung und Opposition gemeinsam einen Antrag einbringt, dann gebietet es der Respekt gegenüber diesen Kolleg:innen, dieses Verfahren auch zum Abschluss zu bringen“, mahnte Ulle Schauws, die frauenpolitische Sprecherin der Grünen, im Dezember in der taz.

Hitzige Debatten

Nun ist die Zeit knapp. Die öffentliche Anhörung der Sachverständigen am Montag findet am vorletzten Sitzungstag dieser Legislaturperiode statt. Zuvor wollen 50 zivilgesellschaftliche Organisationen Frauenministerin Lisa Paus und Abgeordneten des Bundestags noch eine Petition übergeben, in der fast 120.000 Menschen fordern, den Antrag am kommenden letzten Sitzungstag wirklich zur Abstimmung zu bringen. Mit Bannern, Schildern und einer riesigen Schaumstoff-Gebärmutter wollen sie vor das Paul-Löbe-Haus ziehen. Mit dabei sind Pro Familia, Verdi, der DGB, der Paritätische Bundesverband, der Deutsche Frauenrat und das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung.

Die Ausschusssitzung dürfte hitzig werden. Das zeigen schon die Stellungnahmen der Sachverständigen. Die Rechtswissenschaftlerin Frauke Rostalski etwa kritisiert einen „erheblichen Verlust des Schutzes ungeborenen Lebens“ durch den Entwurf. Die Wartefrist verfolge demnach auch das Ziel, „die Schwangere vor übereilten Entscheidungen zu schützen“.

Die Medizinerin Alicia Baier vom Verein Doctors for Choice hingegen sagte der taz, das Gesetz enthalte „wichtige, notwendige und überfällige Maßnahmen, die die Versorgungssituation und die Gesundheit der Betroffenen verbessern“. Abbrüche fänden hierdurch nicht häufiger, sondern früher statt.

Die Rechtswissenschaftlerin Liane Wörner gehörte zur Ex­per­t:in­nen­kom­mis­si­on der Bundesregierung. „In der rechtswissenschaftlichen Literatur werden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts seitdem kritisiert und überwiegend wird eine Neuregelung gefordert“, sagt sie. Ein Prozess hin zu erforderlichen Reformen habe sich bereits sehr lange abgezeichnet und sei ausführlich diskutiert, so Wörner.

Im Plenum wäre alles offen

Gesellschaftlich stößt eine Reform des Paragrafen 218 auf große Zustimmung. Laut einer repräsentativen Umfrage des Bundesfrauenministeriums vom April 2024 halten es mehr als 80 Prozent der deutschen Bevölkerung für falsch, dass ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig ist.

Auch eine Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche von Anfang Februar kommt zu dem Schluss, dass es eine „klare gesellschaftliche Mehrheit“ für eine Legalisierung früher Abbrüche gebe. „Gesellschaftliche ‚Mehrheiten‘, die sich gegen die Neuregelung aussprechen, bestehen lediglich innerhalb der Gruppe der über 60-jährigen Ka­tho­li­k:in­nen in Süddeutschland.“ Die oftmals postulierte gesellschaftliche Polarisierung bei diesem Thema sei ein Mythos.

Es könnte ein langer Montagabend werden. Möglicherweise wird der Antrag im Ausschuss versenkt. Wird er doch noch ins Plenum überwiesen, bräuchte er dort am Dienstag eine einfache Mehrheit. Neben den 353 Abgeordneten von SPD, Grüne, Linke und SSW hat auch das BSW mit 10 Abgeordneten seine Zustimmung angekündigt. Die absolute Mehrheit von 367 Abgeordneten läge dann nicht fern. Nicht ausgeschlossen ist, dass von Union und FDP einzelne Abgeordnete für den Antrag stimmen oder sich enthalten.

Angesichts der derzeitigen Umfragewerte für die Union ist es auf absehbare Zeit die letzte Gelegenheit für eine Legalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Und so ist es am Montag vielleicht nicht das letzte Mal, dass Ak­ti­vis­t:in­nen vor dem Bundestag stehen und rufen: „Weg mit Paragraf 218!“

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