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Gesetze respektieren?

■ Dokumentation: Auszug aus dem ungehaltenen Schlußwort des Frauenarztes Horst Theissen

„Wie weit darf ein Arzt gehen, muß er sogar vielleicht gelegentlich bis hart an die Grenzen gehen oder weiter? Eine engagierte Frau schrieb mir: 'Sie hingegen haben verstanden, daß wir hier ein Stückchen weiter gehen müssen als die sogenannten Gesetze erlauben, wenn wir wirklich den Menschen nahebleiben wollen in ihrer Not.‘ Muß der Arzt in jedem Fall die Gesetze respektieren, oder sind Situationen denkbar, wo ihn ein Loyalitätskonflikt in schwerste Konflikte zwingt? (...)

Zu den traurigsten und erschütterndsten Erfahrungen in meinem Praxis-Alltag gehört die Erkenntnis, daß die klassischen Ansprechpartner der Patientinnen wie Lehrer, Ärzte, Pfarrer, Vorgesetzte, u. ä. in einer der schwersten Stunden im Leben einer Frau fast ausnahmslos versagt haben. (...) Ärztliche Tätigkeit erfordert nach meinem Selbstverständnis praktische Hilfe für den konkreten Fall, Dogmatismus und Besserwisserei sind hier fehl am Platz, angezeigt sind Intuition und Empathie. (...) Die gesetzlich vorgesehene Beratung habe ich dann wegen des Zeitdrucks selbst vorgenommen. Auch außerhalb der Sprechstunden habe ich den Frauen bei Bedenken, Konflikten, Nachfragen zur Verfügung gestanden und damit eine umfassende Betreuung gewährleistet. (...) Zu der eigenen selbständigen Beratung der Patientinnen fühlte ich ich in hohem Maße qualifiziert und berufen. (...)

Ich bin kein Missionar, ich freue mich über jede Frau, die ihr Kind austrägt, kann und will aber keine zu ihrem Mutterglück zwingen. (..) Ich habe als Bürger dieses Staates formaljuristisch gefehlt, als Arzt und Mensch jedoch sicherlich korrekt und verantwortungsbewußt gehandelt. Ich bin der festen Überzeugung, daß unser Rechtsstaat ein solches Ausscheren aus dem gesetzlichen Rahmen mit Sicherheit trägt und verkraftet, ohne daß der Staat dadurch gefährdet ist.“ Dr. Horst Theisse

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