Gesetz gegen Kettenduldung: Integriert, aber trotzdem ungewollt

Gut integrierte Geduldete sollen laut Aufenthaltsgesetz bleiben dürfen. Doch wenige schaffen das, denn die Kriterien sind kaum zu erfüllen.

Kreidemännchen auf Tafel rennen vor Besen davon

Kusch! So ungefähr müssen sich manche Kettengeduldete vorkommen Foto: David-W- / photocase.de

BERLIN taz | Ayla kommt aus Neukölln. Sie wurde im Vivantes-Klinikum geboren, besucht die örtliche Grundschule und war schon in der ersten Klasse in mehreren Fächern die Beste. Vor genau einem Jahr berichteten Berliner Medien über die damalige Erstklässlerin, weil sie mit ihrer Familie nach Aserbaidschan abgeschoben werden sollte. Protest von Lehrer*innen, Mitschüler*innen und deren Eltern verhinderte die Abschiebung.

Aylas Eltern sind vor 17 Jahren eingewandert, finanzieren ihren Lebensunterhalt und schicken die Kinder zur Kita und in die Schule. Warum sollten sie nicht bleiben dürfen?

Für Fälle wie Ayla und ihre Familie hat die Bundesregierung eigens im Sommer 2015 ein Gesetz geändert. Der neue Paragraf im Aufenthaltsgesetz bestimmt, dass gut integrierte Geduldete ein Bleiberecht bekommen sollen. Wie nun herauskam, hat die Änderung bislang nur knapp 1.000 Menschen geholfen.

Laut dem neuen Paragrafen 25b kann eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, wer sich „nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat“. Im Gegensatz zu früheren Regelungen gibt es keine Stichtage mehr, die Menschen nur aufgrund der Ankunftszeit ausschließen. Stattdessen kann jeder geduldete Mensch, der seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt, den Antrag stellen. Bei Familien mit Kindern sind es nur sechs Jahre.

„Eine gute Grundlage“, findet die Regierung

Mehr als 33.000 Geduldete leben seit mindestens sechs Jahren hier, davon 25.318 mehr als acht Jahre, so die Bundesregierung. Diesen Menschen sollte die Regel eigentlich eine Perspektive geben. Sie sind von sogenannter Kettenduldung betroffen, weil ihre Duldung über Jahre hinweg immer wieder verlängert wird.

Wer geduldet wird, hat eigentlich kein Aufenthaltsrecht, kann aber gerade nicht abgeschoben werden. Kettenduldung führt also dazu, dass Menschen in einem ewigen Vakuum leben. Sie bauen sich jahrelang ein Leben in Deutschland auf, können aber jederzeit rausgeworfen werden, wenn die Lage im Herkunftsland das zulässt.

Dass bis Ende 2016 nur 1.084 Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis von Paragraf 25b profitierten, schrieb die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage. Die Linke stellt diese Anfrage alle paar Monate und erfragt darin genaue Aufschlüsselungen, wie viele Menschen aus welchen Ländern nach welchen Paragrafen gerade in Deutschland leben. Im Juni hatte die Bundesregierung noch erklärt, ihr lägen „keine belastbaren Angaben zu den bisher von den Ländern erteilten Aufenthaltstiteln nach Paragraf 25b AufenthG vor“.

Inzwischen hat sie gezählt und schlüsselt die 1.084 Betroffenen genau nach Altersgruppen, Nationalitäten und Bundesländern auf. Ergänzend steht in der Antwort auf die Kleine Anfrage, die neue Version des Gesetzes sei „eine gute Grundlage, um diejenigen mit einer dauerhaften Bleibeperspektive zu honorieren, die Integrationsleistungen erbracht haben“.

„Erschütternd schlechte Bilanz“

Für Ulla Jelpke ist dieser Satz „ein schlechter Witz“. Die innenpolitische Sprecherin der Linke-Bundestagsfraktion kommentiert die Zahlen gegenüber der taz als „erschütternd schlechte Bilanz“.

Außerdem sieht sie einen Teufelskreis darin, dass Geduldete häufig nicht in ihrem eigentlichen Job arbeiten können und von Sprachkursen ausgeschlossen sind, was wiederum mit einer schlechten Bleibeperspektive begründet wird. Das Resultat sei, dass die Kriterien für §25b nicht erfüllt würden. „Diese Voraussetzungen sind offenkundig zu hoch“, kritisiert Jelpke. „Wer seit Jahren in Deutschland lebt, sollte ein Bleiberecht erhalten.“

Auch Pro Asyl kritisiert die hohen Anforderungen an Antragsteller*innen. Laut dem Gesetz müssen sie einen Pass vorzeigen können und nachweisen, dass sie bisher immer mit den deutschen Behörden kooperiert haben. Bernd Mesovic, dem Leiter der Rechtsabteilung von Pro Asyl, sind das zu viele „Auslegungsfragen“. Zu den hohen Anforderungen komme eine sehr strikte Auslegung durch Behörden und Gerichte. Ob die Passpflicht erfüllt werden könne, hänge völlig von den Behörden des Herkunftslandes ob.

Im Gesetz steht außerdem, dass Antragsteller*innen einen Deutschtest bestehen, sich zur „freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland“ bekennen und „über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet“ verfügen müssen. Diese Grundkenntnisse werden in einem schriftlichen Test abgefragt. Mesovic findet den Test zu schwer, vor allem für Nicht-Muttersprachler, und schlägt eine Gesprächsform vor, bei der jede Person individuell geprüft werden kann.

„Die Leute lösen sich ja nicht in Luft auf!“

„Das ist die einzige Reform der Asylpolitik, die die SPD in den Koalitionsvertrag eingebracht und durchgesetzt hat. Das galt damals als große Errungenschaft“, sagt Mesovic. Auch Pro Asyl hatte Paragraf 25b ursprünglich begrüßt, „aber dass die Zahlen so gering sind, hat uns doch sehr enttäuscht“, sagt Mesovic. Er fordert eine Neuregelung der Neuregelung, denn „die Leute lösen sich ja nicht in Luft auf!“

Zu denen, die sich 2015 über die Änderung freuten, gehörte auch Aydan Özoğuz. Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung bewarb das Gesetz als „Chance“ für „Tausende seit Jahren geduldete Ausländerinnen und Ausländer“. Endlich ende „für viele Geduldete und ihre Familien, die längst ihre Heimat hier gefunden haben, eine jahrelange Unsicherheit“.

Auf Nachfrage hält die Migrationsbeauftragte an der Formulierung fest. „Natürlich“ seien die veröffentlichten Zahlen noch gering, aber Asylanträge Geflüchteter hätten momentan Priorität. Sich um alle Menschen gleichrangig zu kümmern, scheinen die behördlichen Kapazitäten nicht herzugeben. Jeder wisse, „was in den letzten 18 Monaten in den Ausländerbehörden und Beratungsstellen los war und noch los ist“.

Özoğuz fordert zwar, dass die Länder, die nicht alle für die neue Regel gewesen waren, die „Potenziale“ stärker nutzen müssten. Aber prinzipiell bleibt die Migrationsbeauftragte dabei: „Was beschlossen wurde, war richtig und wichtig.“

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