Gesellschaft: Signale aus der Pflanzenwelt
Ob Pflanzen Gefühle haben und kommunizieren: Das ist eine heißumstrittene Frage. Eine Kombination künstlerischer und wissenschaftlicher Vorgehensweisen kann helfen, der Antwort näherzukommen. Vor allem aber kommt es aufs Zuhören an.
Von Dietrich Heißenbüttel
WieklingteigentlicheinBaum?WiehörtsichErdeanodereinTeich?AusgestattetmitKontaktmikrofonen,Sensormikrofonen,Geofonen(Erdsensoren)undHydrofonen(Wassermikrofonen),ziehteinkleinerTruppwährenddesNeue-Musik-Festivals„DerSommerinStuttgart“indenWald.DieKomponistinKirstenReesewilldieKlängedesWaldeszueinemmusikalischenWerkmitInstrumentalensembleverarbeiten,dasaufdemnächstenEclat-FestivalimkommendenJahruraufgeführtwerdensoll.SiearbeitetdabeiauchmitderÖkoakustikerinSandraMüllervonderUniversitätFreiburgzusammen.
WieklingtderWaldsounterdieLupegenommen?AufdenerstenBlickistdasErgebniswenigüberraschend:AmdeutlichstentretenVogelstimmenhervor,derWindrauschtindenBäumen,RegentropfenfallenaufdieBlätter.SelbstinderabgelegenenMähderklingezwischendenStuttgarterStadtteilenBotnangundFeuerbachsinddanebenauchAutos,Propeller-undDüsenflugzeugezuhören.Dazukommt,wasohnedieTechniknichtwahrnehmbarwäre:dasKrabbelnvonKäfern,Töne,diediesevonsichgeben,ErdbewegungenundbeiverringerterAbspielgeschwindigkeitauchFledermäuse.
Immerwährender Austausch, allumfassende Empathie
DieÖkoakustikversucht,aussolchenAufnahmenErkenntnisseüberdenZustandderWälderzugewinnen.ImlängerfristigenVergleichkannetwadieIntensitätdesVogelgesangsabnehmen,waswiederumaufInsektensterbenoderKlimawandelzurückzuführenist.Erkennbaristaberauch,dassimWaldallesmitallemvernetztist.VögelmarkierendurchdenGesangihrRevier,umNahrungskonkurrenzzuvermeiden.TiereundPflanzenreagierenaufWetterumschwüngeoderGefahren.
DiesesräumlicheZusammenspiellässtsichambestenüberdasGehörwahrnehmen.Manhörtauch,wasmannichtsieht,undmanhörtalleszugleich.WorumessichimEinzelfallhandelt,istdabeinichtimmerleichtfestzustellen.IneinerAufnahmeistdeutlicheinwiederholteskratzendesoderschabendesGeräuschzuvernehmen.ReesefragtMüller,wasdassei.„KeineAhnung“,gibtdiesezurück.SiehabezunächstaneinenKäfergedacht.Eswärejedochungewöhnlich,wennsichdieserüberlängereZeitamselbenOrtaufhielte.
WindundWetter,Wasserläufe,Bäume,Insekten,Vögel:AllesbefindetsichineinempermanentenAustausch.AberkommunizierenBäumeauchuntereinander,pflegensieihrenNachwuchs,habensieGefühle,Empfindungen,einGedächtnis?DashatderForstwirtPeterWohllebenvorzehnJahreninseinemBuch„DasgeheimeLebenderBäume“behauptet.IngewisserWeisetauschenauchBäumeInformationenmitdemMyzelvonPilzenausundspeichernUmweltdaten.AberGefühle?
WohllebensTitelgehtzurückaufdenbereits1973erschienenenBestseller„DasgeheimeLebenderPflanzen“vonChristopherBirdundPeterTompkins.DieAutoren,BiologeundJournalist,wolltenPflanzenals„LebewesenmitCharakterundSeele“beschreiben,wieesimdeutschenUntertitelheißt–dieamerikanischeAusgabegibtsichausals„faszinierenderBerichtvondenphysischen,emotionalenundspirituellenBeziehungenzwischenPflanzenundMenschen“.Alspseudowissenschaftlichkritisiertdiesdie„harte“Naturwissenschaft.Wohllebenwirdvorgeworfen,Bäumezuvermenschlichen.
Sicher:SeeleundSpiritualitätsindziemlichvageBegriffe.GefühlekannauchderMenschwiederumnursubjektivwahrnehmen.Objektiv,alsovonaußen,lassensichallenfallsAuswirkungenwieBlutdruck,PulsfrequenzoderMuskeltonusermitteln.UmdieGefühleandererMenschenzuverstehen,bedarfesderEmpathie.WarumsolltediesbeianderenLebewesenanderssein?
„DasgeheimeLebenderPflanzen“wurde1979sogarverfilmt,miteinemSoundtrackvonStevieWonder.DerblindeSoul-SängerhatdarauseinDoppelalbumgemacht.ImTitelsongverleihterseinemStaunendarüberAusdruck,wieauseinemwinzigenSamenkorneinriesigerBaumwerdenkann.Erfragt,warumwirunskaumGedankendarübermachen,dassunsohnePflanzendieLuftzumAtmenfehlenwürde,ebensowieBaumaterial,NahrungundKleidung.
PH-Werte werden zu Tönen
GenaudassagtauchRobertPupeter,derKuratorderAusstellung„ImGrundeverbinden–PlantConnection“imUlmerStadthausundfügtnochdenmedizinischenNutzenhinzu.83ProzentderBiomassederErdebestündeausPflanzen,rechnetPupeterimEinführungsgesprächvor,währendMenschenundTierezusammennuraufeinhalbesProzentkämenundderRestausMikroben,PilzenundanderenLebewesenbestehe.
LetzteresindingroßerZahlimBodenenthalten,undgenaudafürinteressiertsichdieslowenischeKünstlerinSašaSpačal.DerBoden,aufdemwirachtlosherumtrampeln,bestehezumehrals50ProzentausLebewesen,sagtsie,undnurzumkleinerenTeilausanorganischerMaterie.DieTheseCharlesDarwinsvomÜberlebendesStärkerenhältsiefürunzutreffend.VieleherberuhedasLebenaufsymbiotischenWechselbeziehungen,undebendieuntersuchtsieineinemLangzeitprojekt.
EsgehtumeineSymbiosevonRotkleemitdemBakteriumRhizobiumtrifolii,dasdenfürPflanzenwichtigenNährstoffStickstoffproduziert.StickstoffdüngerzerstörtjedochdieseSymbiose.DieswillSpačalspürbarmachen,indemsiedenPH-WertdesBodensmisst,dersichbeiZugabevonDüngerverändert.DiesogewonnenenDatenübersetztsieinKlänge,diedenSoundtrackeinervierstündigenVideoarbeitbilden.DieKünstlerinmöchtedazueinladen,sichaufdiesehrlangsamenProzessederPflanzenwelteinzulassen.SonifikationnenntdieKomponistinKirstenReesedasVerfahren,KlängeausDatenzugenerieren.
DennPflanzenselbsterzeugennormalerweisekeinenSchall.EineAusnahmesindBäume,dieunterHitzestressleiden.WenndieBlättermehrWasserverdunsten,alsdieWurzelnnachliefern,bildensichindenKapillarenLuftbläschen,dieknackendeGeräuschevonsichgeben.MansprichtauchvoneinerEmbolie.MitzunehmenderTrockenheitwirdderRhythmusschneller.DieserinnertdiespanischeKünstlerinPaulaBrunaandasHändeklatscheninderSoleá,einerFormdesFlamenco.
EineSchallplattemitdemBildeinerrotenBaumscheibedrehtsichaufdemPlattenteller.ÜberKopfhörerkannmandieSoleáderleidendenBäumeanhören.IneinerVitrineliegenwissenschaftlicheArbeitenzurBaumembolieundzumFlamenco.ZugleichkritisiertdieKünstlerindieHerangehensweiseder„exakten“Wissenschaften,indemsieeinLiedderFlamenco-SängerinCarmenLinareszitiert:„Durühmstdich,Wissenschaftzusein“,heißtesda,insDeutscheübertragen.„WeilduselbstdieWissenschaftbist,hastdumichnichtverstanden.“DieWissenschaftsiehtnur,wassiesehenwill.EskommtaberaufsZuhörenan.
Drei Stunden Waldgeräusch
AlleArbeitenderUlmerAusstellungverbindet,dasssiepflanzlicheLebensweltennichtnurabbilden,sondernsinnlicherfahrbarmachen.DreivonvierarbeitenmitKlängen,wiederKuratorPupeterhervorhebt.InihrerArbeit„Ununkraut“zeigtKatrinPetroschkatFotosvonPflanzen,diedurchdenAsphaltbrechenoderzwischenSteinenundGehwegplattenhervorwachsen,aufgenommenüberwiegendinUlm.ÜberQR-CodeswirdauchdieklanglicheUmgebunghörbar:indenmeistenFällenvorallemAutolärm.
SomanchesUnkrautentpupptsichalsHeilpflanzeoderalsschmackhaftesGewürz.VordenFotosstehenverkorkteGlasflaschen,dieeinDestillatderabgebildetenPflanzeenthalten–einfachdieKorkenherausziehenundschnuppern.Malstärker,malschwächer,entfaltetauchdieunscheinbarsteSpontanvegetationeinenaromatischenDuft:einsinnlichesErlebnis.
WaskannKunstdenwissenschaftlichenErkenntnissenhinzufügen?,fragtdieKomponistinKirstenReeseamTagnachderExkursionimTheaterhausStuttgartdieTeilnehmer:innen.SiekanndenMenschendasÖkosystemWaldsinnlichundemotionalnäherbringen.„DieserWorkshopsollteeinePflichtveranstaltunginSchulensein“,meldetsicheineLehrerinbegeistertzuWort.DreiStundendenGeräuschenimWaldzulauschen,könnefürvieleSchüler:inneneineganzneueundsensibilisierendeErfahrungsein.
Da wächst ein Kürbis auf der Tastatur
Die Künstler:innen der Ulmer Ausstellung und der Workshop von Reese und Müller arbeiten alle auch mit naturwissenschaftlichen Methoden. In Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut hat Katrin Petroschkat den „Ydropondesk“ entwickelt. Thema war Urban Gardening: die Nahrungsmittelproduktion in der Stadt. Petroschkat wollte das ironisieren. Sie schlug vor, die Schreibtischflächen, auf denen sich früher Akten stapelten, zum Anbau von Gemüse und Kräutern in Nährstofflösung zu nutzen.
Und so wächst nun in Ulm ein kleiner Mangold aus einem Schälchen, zu wenig, um davon satt zu werden. Eine Kürbis- oder Zucchinipflanze droht die Computertastatur zu überwuchern. Zwischen Salbei, Koriander und Basilikum gedeihen Tomaten, die wohl nicht viel größer werden als die ebenfalls vorhandenen Walderdbeeren. „Das war zunächst als Provokation gedacht“, gesteht die Künstlerin, „wurde aber tatsächlich sehr gut aufgenommen.“
Petroschkat hat die Menschen an ihren Schreibtischen beobachtet. Wichtig ist ihr weniger die Produktion von Nahrungsmitteln, vielmehr interessiert sie sich für die Beziehungen zwischen Mensch und Pflanze. Während Büromenschen sonst von früh bis spät in ihre Bildschirme starren, sind sie hier zugleich aus nächster Nähe mit anderen Lebewesen konfrontiert. „Der Aspekt des Kümmerns ist mir sehr wichtig“, unterstreicht die Künstlerin: „dass man guckt, wie geht‘s der Pflanze, braucht sie was? Und dass uns das eigentlich auch sehr zufrieden macht, wenn wir diese Verantwortung wahrnehmen.“
Die Ausstellung „Im Grunde verbunden“ im Ulmer Stadthaus läuft bis 21. September, der Eintritt ist frei.
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