Gesellschaft Neue Auftraggeber: Kunst und Zukunft auf dem Land
Seit 2017 fördert die Bundeskulturstiftung die Neuen Auftraggeber in Deutschland. Jetzt sind erste Projekte spruchreif.
Heinersdorf, sagt die Dorfbewohnerin Frau Huth, die am Donnerstag, dem 5. März, zur Pressekonferenz der Gesellschaft der Neuen Auftraggeber und der Bundeskulturstiftung nach Berlin gekommen ist, war in der DDR ein Modelldorf mit einem riesigen Zuchtbetrieb und der größten LPG. Alles Geld floss nach Heinersdorf, während die Nachbarn in die Röhre schauten.
Im Zuge einer Bezirksreform bilden Heinersdorf und seine elf Nachbardörfer inzwischen die Gemeinde Steinhöfel mit insgesamt 4.448 Einwohnern. Man kann sich vorstellen, dass sich in dieser Gemeinde nicht viel bewegt, auch weil in jedem Dorf ständig geschaut wird, wer davon wohl am meisten profitieren könnte.
Eine Initiative etwa versucht seit Jahren ein ruinöses Gutshaus in der Mitte von Heinersdorf in ein Seniorenwohnheim umzuwandeln, stößt aber aus den genannten Gründen auf Widerstand. Auf einer Informationsveranstaltung auf Burg Beeskow zu Fördermaßnahmen für den ländlichen Raum begegnet man den Neuen Auftraggebern, die dort mit zivilgesellschaftlichen Gruppen ins Gespräch kommen wollen, um sie zu animieren, ihren Anliegen mit den Mitteln der Kunst Ausdruck zu geben.
Doch die Mediatorin fragte nach
Im Anschluss geht die Initiative auf die Künstlerin und Lehrerin Lena Ziese zu, die Mediatorin der Neuen Auftraggeber im Land Brandenburg. Ob sie nicht ein PR-Konzept entwickeln könne, um eine Mehrheit hinter ihrem Projekt zu versammeln? Doch Ziese fragt nach den Gründen des Streits und danach, was die Dörfer eigentlich verbindet.
Diskussionsveranstaltung: Ermächtigungsfantasien? Petitionen, Liquid Democracy, neue Auftraggeber. Mit Christopher Lauer, Publizist, Paula Peters, Chief Global Officer Europe bei change.org, Alexander Koch, Direktor Gesellschaft der Neuen Auftraggeber, Moderation Pia Rauschenberger, Deutschlandfunk Kultur. Grüner Salon, Volksbühne Berlin, Linienstr. 227. Dienstag 24. März, von 19 bis 21 Uhr.
Und da wird klar, dass alle Bewohner:innen sich sorgen, wie sie alt werden, dass sie nicht wissen, wie das gehen soll, auf den Dörfern bei schwindender Infrastruktur. Bei diesem Thema kommt Steinhöfel zusammen und schließlich formuliert eine Gruppe von rund 10 Leuten den Auftrag an die Künstler:innen: Sie sollen ihnen einen Weg zeigen, das Älterwerden in der Region gemeinsam zu gestalten.
Schon immer wurde Kunst, gerade große Kunst in Auftrag gegeben. Die Idee, anstelle der alten Auftraggeber wie Adel, Kirche und Staat, die Zivilgesellschaft als neuen Auftraggeber von Kunstprojekten zu aktivieren, sei es im Bereich des Theaters, der Bildenden Kunst, der Architektur oder der Musik, entwickelte der belgische Künstler François Hers Anfang der 1990er Jahre in Paris. Jeder französische Bürger, der eine Idee für ein Kunstprojekt hatte, das er realisieren wollte, konnte sich fortan an die „Nouveaux Commanditaires“ wenden, um Beistand und Expertise zu finden.
Mehr als dreihundert realisierte Arbeiten
Inzwischen legen mehr als dreihundert realisierte Arbeiten in Frankreich ein eindrucksvolles Zeugnis für die Nachhaltigkeit des Verfahrens ab. Stets beteiligten sich namhafte Künstler an der Umsetzung der Ideen, darunter etwa Vito Accinci, Martha Rosler, Dominique Gonzales-Foerster. Sie haben Schulen umgekrempelt, Imbissbuden oder Spielplätze konzipiert. Michelangelo Pistoletto etwa schuf in Marseilles ein interkonfessionelles Meditationszentrum.
Wie das Bild zeigt, das der Galerist Alexander Koch bei der Pressekonferenz an die Wand projizierte, unterteilte Pistoletto den Betraum des Paoli Institute, eines Krebszentrums, in fünf offene Bereiche, für den Buddhismus, das Judentum, das Christentum, den Islam und die säkulare Meditation.
Alexander Koch wurde 2007, als sich der deutsche Ableger der Neuen Auftraggeber gründete, der Vorsitz angetragen. Damals noch freier Kurator, sah er und sieht er bis heute im François Hers' partizipativer Bürgeraktivierung ein gültiges Verfahren, die Frage, wie Kunst im öffentlichen Raum entsteht, vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Mit den Steinhöfelern arbeitet nun Rimini Protokoll
In Steinhöfel sieht das dann so aus, dass das Autorenkolletiv Rimini Protokoll die Dorfbewohner:innen dabei unterstützt, miteinander ins Gespräch zu kommen, sich gegenseitig zu erzählen, wie sie ihr Dorf erleben, und seine Einbindung in das Konstrukt Steinhöfel. Das Design- und Architekturnetzwerk ConstructLab schafft parallel zum performativen Projekt bleibende Objekte und Einrichtungen, die die neu gefundene Kommunikation unterstützen.
Bis zu diesem Punkt der Konzipierung kommt die Finanzierung von der Bundeskulturstiftung, die den Neuen Auftraggebern in einer Pilotphase von 2017 bis 2021 zwei Millionen Euro zuschießt. Für die Realisierung suchen die Bürger:innen, unterstützt durch ihre Mediatoren und die Gesellschaft Neue Auftraggeber, dann nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten im Bereich der privaten wie der öffentlichen Kultur-Strukturförderung.
Dabei erweisen sich die kommunalen Verwaltungen oft als überaus offen und entgegenkommend, wie Gerrit Gohlke, Leiter des Brandenburgischen Kunstvereins Potsdam und bei den Neuen Auftraggebern Leiter der Regionalentwicklung, berichten kann. Es entstehen auch neue soziale Partnerschaften, wenn die Bürger:innen anlässlich der Realisierung ihres Projekts mit den verschiedenen Amtsträgern in Kontakt kommen, sei es wegen der Genehmigung für eine Baumaßnahme oder einer Auskunft aus dem Verwaltungsarchiv.
Unerwartete Orte und Personen
Für die Pilotphase konzentriert sich die Gesellschaft der Neuen Auftraggeber auf die strukturschwachen, ländlichen Modelregionen Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg im Osten Deutschlands und im Westen auf das Ruhrgebiet als Industrieregion im Umbruch. Bewusst werden dabei über ein Schneeballsystem von Kontakten unerwartete Orte und Personen gesucht.
Gesteuert werden die Prozesse über die regionalen Ankerpunkte Museum Abteiberg in Mönchengladbach, Kunstverein Schwerin, Schloss Bröllin und den Brandenburgischen Kunstverein in Potsdam. Insgesamt 17 Auftragsprozesse sind im Moment am Laufen.
In Eberswalde entwickelten die Anwohner einer zurückgebauten und daher stark aufgelockerten Plattenbausiedung im Gespräch mit dem Mediator Holger Friese die Idee, statt einer simplen Platzgestaltung einen Wasserspielplatz als generationenübergreifenden neuen Mittelpunkt des Viertels in Auftrag zu geben. In Greifswald wird der Künstler Daniel Knorr dem Wunsch von acht Lehrerinnen der Integrierten Gesamtschule Erwin Fischer nach einem signifikanten Kunstwerk Ausdruck geben, das ihre Schule als positiven Ort deutlich macht.
Das Konzept der namhaften Künstler:innen
Auffällig ist, dass die Neuen Auftraggeber nur namhafte Künstler für ihre Projekte verpflichten, was zum Konzept von François Hers gehört. Das hilft in der Praxis, Geldgeber für die Aufträge zu finden, und erhöht die Bereitschaft bei den Bürgern, sich zu engagieren. Allerdings sagte der Steinhöfler Steffen Adam auf der Pressekonferenz, Rimini Protokoll habe ihnen gar nichts gesagt, ihnen hätten einfach deren Vorschläge gefallen.
Gerade weil die zivilgesellschaftlichen Auftraggeber weit mehr an Konzeptionen als an Namen interessiert sind, ist es schade, dass junge Talente und interessante, wagemutige Künstler:innen aus der zweiten Reihe nicht zum Zuge kommen. Das Vorschlagsrecht die Künstler:innen betreffend liegt allein bei den Mediatoren. Ihr Vorsprung an Fachwissen, ob Kunst oder Management betreffend, ist natürlich gewaltig und könnte dazu führen, dass sich eine Gruppe im Hintertreffen sieht. Da kann sie dann aber um eine Auswechlsung bitten.
Noch werden die Neuen Auftraggeber in Deutschland, anders als in Frankreich, Belgien, Italien oder Spanien und Spanien, nur wenig wahrgenommen. Das möchte Alexander Koch und sein Team – jetzt, wo einige Projekte für Ihre Vorstellung in der Öffentlichkeit reif sind – ändern. Dazu wird wohl auch der 1. Internationale Kongress der Neuen Auftraggeber am 3. Oktober in der Volksbühne Berlin maßgeblich beitragen.
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