Geschlechtervielfalt in Berlin: Morgen ein Zimmer im trans* Kiez
Der Nollendorfkiez richtet sich primär an ein schwules Publikum. Wie wäre es, wenn sich hier vor allem trans* Personen Freiräume aufbauen könnten?
Geschichtlich gilt der Nollendorfkiez als Ort queerer Befreiung. In den Goldenen Zwanzigern wurde hier früh in geschützten Räumen mit Geschlecht und Sexualität experimentiert, während draußen der Faschismus erstarkte. SA und SS zerstörten schließlich diese ihnen verhassten Freiräume. In der Nachkriegszeit herrschte dann Armut. Bis die lesbisch-schwule Bewegung ab den 70er-Jahren begann, den Kiez mit ihrer Vision zu bereichern.
🐾 Von der Kneipe an der Ecke bis zum solidarischen Garten in Bogotá: Junge Autor*innen haben sich auf die Suche nach utopischen Ideen begeben. Die dabei entstandenen Artikel haben sie in einer Sonderausgabe der taz veröffentlicht.
Jetzt, scheint mir, schwingt er zwischen Stagnation und Gentrifizierung. Deshalb wünsche ich mir eine neue Vision. Ich selbst trage gerne ein Kleid – lieber aber im Club als hier im Nollendorfkiez. Wie könnte es aussehen, wenn sich hier besonders trans* Personen entfalten?
2027: Toni wacht morgens in deren Zimmer auf, vierter Altbaustock. Die Wohnung teilt dey sich mit Freund*innen: einer pansexuellen Frau, Hao, einem Transmann, Ed, und seinem Kind Mo, für das alle gemeinschaftlich sorgen. Dank eines kommunalen Angebots für trans*, inter* und nichtbinäre Personen konnten sie die Wohnung über einen Kredit zu vergünstigten Konditionen kaufen. Arbeit in und um den Kiez zu finden, ist kein Problem. Diverse Perspektiven werden mehr wertgeschätzt und nachgefragt.
Aktzeichnen diverser Körper
Im Shop unten hört der cute Besitzer wieder laut die elektronische Musik von Arca. Er vermietet tageweise Outfits für jeden Genderanlass – gratis. Beste Beratung! Aber der Kiez ist mehr: Es gibt Automaten auf der Straße, an denen Geschlechtshormone als Gels, Pflaster und Tabletten erhältlich sind.
Wobei diese Hormone helfen können, weiß selbst ein Kind wie Mo – wegen der vielfältigen Bildung an Schulen. Trans*freundliche Medizin im Kiez allgemein: Easy. Und es gibt ein Café mit vielen Workshops, etwa zum Aktzeichnen diverser Körper oder mehrteilige für Allys von trans* und BIPoCs (immer ausgebucht!).
Toni kann auch ohne Konsum hier abhängen, etwa im konsensualen Kuschelspace. Oder zur Datenight für neue Bekannte, Lover oder Partner*innen. Für Trauerfälle gibt es eine Gruppe, in der dey vor einem Jahr viel Halt erfuhr. Unweit des Cafés steht ein barrierearmer Club mit safen All-Gender-Darkrooms, in denen Personen jeden Alters gerne feiern. Daneben das Eiscafé Cunnilingus – open all night long.
Eine weitere Besonderheit ist ein Rat, dessen Vertreter*innen gefährdete trans* Personen weltweit schnell im Kiez in Sicherheit bringen können. Das passiert in Kooperation mit dem (existierenden) Transgender District in San Francisco. Ein Kiezverein kümmert sich um Anklagen gegen digitalen Hass. Regelmäßig gibt es dort auch gratis Therapiesitzungen. Diese Ideen fänden Personen vielleicht unabhängig der Geschlechtsidentität gut.
Progressiv muten nur die Drag-Shows an
Zurück zur Realität: Das Blond ist seit Juli in die Motzstraße umgezogen, laut Website ins „Nachbarhaus des ehem. Eldorados“. Das Eldorado war im Berlin der 1920er und frühen 30er eines der legendären Trasvestielokale. Hier tanzte die queere Zukunft.
Heute priorisiert das Dutzend existierender Bars ein schwules Cis-Publikum: Viele beschreiben sich bieder als „Men Only“, das neue Blond: „Gay-Cocktailbar“. Progressiv muten höchstens mal Drag-Shows an. Befreundete trans* Männer treffen sich lieber woanders, lesbische Freund*innen dürfen häufig nicht oder nur früh in die Bars. Schade, finde ich. Weltweit gibt es nur wenige Kieze mit diesem Potenzial, dieser Größe.
Ein paar Lichtblicke gibt es: Zum Beispiel hat der Buchladen Prinz Eisenherz eine trans* Auswahl oder das Mutschmanns nun Sexpartys „for all Genders“. Der Nollendorfkiez sollte sich öffnen, um zukunftsfähig zu werden. Will jemand was starten im alten Blond? Nähe Eldorado!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!