„Es gibt mehr als Frauen und Männer“

GENDER Binnen-I, Unterstrich, x-Form: Eine Arbeitsgruppe der Humboldt-Universität schlägt verschiedene Formen geschlechtergerechter Sprache vor – die Medien, allen voran die „Bild“-Zeitung, reagieren mit Spott

■ studiert Geschichte und ist Queer-Referent_in für Queer_ Feminismus in der studentischen Selbstverwaltung der Humboldt-Universität. Sie ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Feministisch Sprachhandeln“.

INTERVIEW MALTE GOEBEL

taz: Frau Damm, Frau Hornscheidt, „Gender-Wahnsinn“ schrieb der Focus, N24 sprach von einer „merkwürdigen Studie“. Waren Sie überrascht über das Feedback der Medien?

Anna Damm: Auf so diffamierende, reißerische Hetzartikel waren wir nicht eingestellt. Warum muss uns jemand so extrem abwerten und beleidigen? Warum findet die Bild es so wichtig, da prominent drüber zu schreiben? Was haben wir da angetickert? Wir machen denen anscheinend Angst.

Lann Hornscheidt: Soziale Veränderungen sind immer mit Widerstand verbunden, mit Abwehr von Leuten, die die sozialen Veränderungen nicht haben wollen. Wenn die Bild positiv über unsere Broschüre geschrieben hätte, wäre auch sicher etwas falsch gelaufen mit dem, was wir geschrieben haben.

Im Zentrum der Kritik steht der Vorschlag, nicht mehr „Professor“ oder „Professorin“, sondern „Professx“ zu sagen.

Damm: Wir bieten in unserem Leitfaden verschiedene Formen an, das war uns immer wichtig. Das ist unter anderem die x-Form, aber auch der dynamische Unterstrich, das Binnen-I, der statische Unterstrich, auch eine Zwei-Nennung, also Professorinnen und Professoren. Es ist ein Angebot für die jeweilige Situation. Je nachdem, was ich benennen oder aufzeigen will, können verschiedene Sprachformen benutzt werden.

Die x-Form geht am weitesten.

Damm: Sie ist für uns die Form, die tatsächlich Zweigeschlechtlichkeit durchkreuzt, deswegen auch das x. Sie sagt nicht nur, es gibt eine Lücke, wo etwas reingedacht werden kann, sondern hier findet tatsächlich ein Aufbrechen der klassisch zweigeschlechtlichen Formen statt.

Hornscheidt: Beim Unterstrich („Professor_in“) gibt es Frauen, Männer und die dazwischen. Die x-Form berücksichtigt Leute, die sich gar nicht zu Frausein und Mannsein verhalten möchten. Wenn ich sie im Plural benutze, „alle Professxes“, sage ich gleichzeitig: Es gibt mehr als Frauen und Männer.

Aber die meisten Leute definieren sich als männlich oder weiblich. Die würden durch ein x in ihrer Selbstwahrnehmung nicht abgebildet …

Hornscheidt: Das „x“ zeigt: Es geht um eine Wahrnehmung von Menschen – jenseits davon, dass Gender zentral gesetzt ist.

Soll jetzt alles geixt werden?

Hornscheidt: Nein, definitiv nicht. Es ist total wichtig, sehr konkret zu gucken, worum es eigentlich genau geht, und dann spezifische Formen zu wählen.

Wenn Angela Merkel morgen die x-Form in ihrer Regierungserklärung verwendet, also „Professx“ sagt, dann ist sicher etwas falsch gelaufen

Damm: Durch verschiedene Sprachformen können Machtverhältnisse klargemacht werden. Es hat keinen Sinn, wenn es nur männliche, weiße Präsidenten gab, das mit einer x-Form aufzubrechen: Man würde sexistische Machtverhältnisse dadurch negieren. Genau diese Spannungsverhältnisse wollen wir mit dem Leitfaden aufzeigen.

Im Interview mit Spiegel Online betonen Sie, dass die x-Form irritieren soll. Das funktioniert nur, solange es nicht normal ist, sie zu benutzen.

Hornscheidt: Deswegen sagen wir auch: Nie nur die x-Form anwenden, höchstens im Wechsel mit anderen Formen, und immer genau überlegen, wann ich andere Formen einsetze. „StaatsbürgerInnenschaft“ würde ich immer mit großem „I“ schreiben und nicht mit Unterstrich, weil das darauf basiert, dass es Frauen und Männer gibt: Ich muss mich in eine der beiden Kategorien einordnen, damit ich überhaupt eine bestimmte StaatsbürgerInnenschaft haben kann, von ganz wenigen Länderausnahmen abgesehen, wie Neuseeland.

Damm: Wenn sich irgendwann die x-Form etabliert hat und die gesellschaftlichen Verhältnisse so sind wie jetzt, dann ist die x-Form abgeschrieben. Wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse sich mitverändern, dann ist es eine andere Frage, welche Form wie entwickelt werden muss, was für Diskriminierungsverhältnisse angegangen werden müssen. Im Ist-Zustand ist die x-Form auf jeden Fall irritierend.

Hornscheidt: Sprache muss sich verändern, auch diese Form muss irgendwann wieder kritisiert werden. Wenn Angela Merkel morgen die x-Form in ihrer Regierungserklärung verwendet, dann ist sicher etwas falsch gelaufen!

So eine Irritation erleichtert nicht die Kommunikation.

Hornscheidt: Sprache benutzen wir immer nur, um zu irritieren. Wenn wir uns einfach verstehen, brauchen wir nicht miteinander zu reden. Sprache benennt immer das, was von der Normalvorstellung abweicht. Daher auch diese heftigen Reaktionen: Viele Leute haben noch nie darüber nachgedacht, dass sie privilegiert sind, dass nicht alle Leute mitgemeint sind bei vielen Formen, und dass sie eventuell selber dazu beitragen, dass Personen ausgeschlossen werden. Das ist für Menschen unvorstellbar, die die ganze Zeit angesprochen werden. Weil sie nie auf die Idee kämen, dass es anders sein könnte.

Vielen erscheint das alles als verkopfte Theorie aus dem Elfenbeinturm, im Alltag schwer anzuwenden.

Damm: Deswegen haben wir den Leitfaden „Sprachhandeln – aber wie?“ genannt. Es sind Handlungen: Auf einmal werden Leute und Positionen sichtbar gemacht, die im althergebrachten Sprachgebrauch nicht auftauchen. Das öffnet Räume, das ermöglicht es mir, mich wohlzufühlen und nicht als marginalisierter Freak dazustehen, der nicht vorkommen darf, weil ich anders bin und irritiere. Es sind Sprachformen, wo klar wird: Mich gibt’s! Das sind Handlungen, das sind Veränderungen.

Hornscheidt: Ich komme bisher in öffentlichen Räumen nicht vor. Für mich ist es schwierig, Romane zu lesen, weil ich in keiner der Sprachformen vorkomme – nicht in diesen heteronormativen Vorstellungen, in der Nichtinfragestellung von weißen Privilegien beispielsweise. Für mich ist der Versuch, Sprachformen zu finden, ein Versuch, in der Welt anwesend zu sein. Das sind natürlich kleine Communities, aber das ist hundertmal mehr, als ich bisher hatte.

■ hat am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität eine Professur für Genderstudies und Sprachanalyse. Sie ist Mitglied in der Arbeitsgruppe „Feministisch Sprachhandeln“.

Sie wollen also über die Sprache Räume für marginalisierte Gruppen schaffen?

Hornscheidt: Ich gehe davon aus, dass Sprache Wirklichkeit herstellt, dass Sprache Handlung ist. Es geht uns nicht darum, neue Regeln zu schaffen. Wir wollen Anregungen liefern für Leute, die entweder selber diskriminiert sind und neue Ideen suchen, oder für Leute, die zwar nicht diskriminiert sind, aber respektvoll kommunizieren wollen. Alle sollen merken: Ich kann handeln durch Sprache! Ich kann mein soziales Leben verändern, indem ich andere Sprachformen benutze und dadurch anderen Personen Anwesenheit gebe.

Warum tun sich die Leute so schwer?

Damm: Ich verstehe das auch nicht. Es geht ja im ersten Schritt noch nicht einmal darum, dass die Leute ihre Privilegien abgeben. Es geht nur darum, anzuerkennen: Ah, dich gibt’s auch! Dass allein dieser Prozess dazu führt, dass die Debatten so gewaltvoll werden, das ist für mich ein riesen Fragezeichen.

Hornscheidt: Schade, dass die Leute nicht sagen: Wie spannend! Ich selbst lerne gerade von der Critical-Disability-Bewegung, die sich mit der Diskriminierung von Behinderten auseinandersetzt. Auch da geht es um problematische Begriffe. Ich lerne andere Perspektiven kennen, das finde ich spannend. Gerade auch was Gender angeht: Manche Leute, die behindert sind, wären froh, erst mal als Frau oder Mann wahrgenommen zu werden. Darüber zu lernen, bedroht mich nicht, es öffnet meine Welt.