Geschlechter im Kulturkampf : Frauen sind einfach besser
Junge Frauen überholen junge Männer beim Abitur und in akademischen Disziplinen. Das ist ein zentraler Grund für den Kulturkampf der Reaktionären. Eine Kolumne.

taz FUTURZWEI | Lysistrata ist bekanntlich jene Komödie von Aristophanes, in der die Überlegenheit weiblicher Vernunft und Macht gegenüber der Beschränktheit männlicher Handlungsmuster gefeiert wird.
Der Kampf der Frauen aus Athen, Sparta und den anderen griechischen Poleis um ihre Befreiung aus der patriarchalischen Vorherrschaft findet sein historisches Gewicht in ihrem „Frieden jetzt und sofort oder kein Sex mehr“, mit ihrer Besetzung der Akropolis und der Beschlagnahme des Staatsschatzes der Athener. Der Dichter Aristophanes lässt die Frauen gewinnen, am Ende feiern sie mit den Männern ihren Sieg.
Die Wirklichkeit in jenen Tagen war brutal anders. 404 vor Christus erobern die Spartaner mit Hilfe der Perser Athen, die große Zeit der attischen Demokratie in der Polis ist zu Ende. Athen wird eine Oligarchie aufgezwungen, für die Frauen bleibt alles beim Alten. Völlige Gleichstellung mit den Männern ist bis heute, 2.500 Jahre später, der unerfüllte Traum der Frauen geblieben.
taz FUTURZWEI, das Magazin für Zukunft – Ausgabe N°33: Wer bin ich?
Der Epochenbruch ist nicht mehr auszublenden. Mit ihm stehen die Aufrüstung Deutschlands und Europas im Raum, Kriege, Wohlstandverluste, ausbleibender Klimaschutz. Muss ich jetzt für Dinge sein, gegen die ich immer war?
Mit Aladin El-Mafaalani, Maja Göpel, Wolf Lotter, Natalya Nepomnyashcha, Jette Nietzard, Richard David Precht, Inna Skliarska, Peter Unfried, Daniel-Pascal Zorn und Harald Welzer.
Aufbrechen der Vorherrschaft
Die 12. Klasse der Waldorfschule am Prenzlauer Berg, Berlin, hat in diesen Tagen als Abschluss-Klassenspiel Lysistrata aufgeführt. Es war ein hinreißender Auftritt der jungen Frauen in der Turnhalle der Schule, ohne alle Requisiten, verstärkt noch durch das hilflose Gejaule des Chores, der um Sex und ihre Männerrechte bettelnden Athener.
Die Komödie wurde, gut hörbar, in ihrer klassischen Metrik vorgetragen. Die jambischen Trimeter, die dreisilbigen Anapäste gaben ihrer Sprache Ausdruck und Dynamik. Schon bald war klar: Hier geht es nicht um einen Aufguss angeblich typisch weiblicher Friedenssehnsucht, hier geht es, hochaktuell, um das Aufbrechen der auch heute noch wirkenden Vorherrschaft der Männer über die Frauen.
Diesen Anspruch haben die Schülerinnen und Schüler bekräftigt mit einer szenisch aufgeführten Auswahl aus einem Zeit-online-Artikel mit dem Titel „Die Welt wird gerade wieder männlicher“, der hundert Fragen versammelt, „die alle nur die eine Antwort haben: Ich glaub, 'n Mann“.
Einige Beispiele: „Wer ist am Kreuz für uns gestorben? Ich glaub, 'n Mann“. Wer kauft jetzt Rheinmetall Aktien? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer hat Angst vorm Urologen? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer nimmt einen Monat Elternzeit? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer zahlt keinen Unterhalt? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer hilft ihr im Haushalt und mit den Kindern? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer bekommt mehr Rente? Ich glaub, 'n Mann“. „Wer findet das alles 'n bisschen übertrieben? Ich glaub, 'n Mann“.
Schleichender Statusverlust
Das ist alles richtig und dennoch gilt auch gleichzeitig: Im Ringen der Geschlechter um Macht und Einfluss hat sich in den letzten Jahrzehnten die Lage zugunsten der Frauen verbessert. „Frauen haben in Bildung und Beruf stark zugelegt, überholen Männer in vielen akademischen Disziplinen und gewinnen allmählich auch mehr Macht in der Arbeitswelt“, konstatieren die Jugendforscher Klaus Hurrelmann und Simon Schnetzer in einem Essay in der WamS. Bei den Abiturienten ist der Anteil der Frauen auf 56 Prozent angestiegen. Bei den Spitzen-Abiturergebnissen liegen heute die Frauen bundesweit weit vor den Männern. In den Studienfächern Medizin und Jura liegt der Frauenanteil heute schon über 50 Prozent, sogar bei Mathe nähert er sich den 50 Prozent an.
„Für junge Männer fühlt sich diese Entwicklung wie ein schleichender Statusverlust an. Ihr historisch gefestigtes Rollenbild – Versorger, Stütze, Leistungsträger, gerät ins Wanken. Digitalisierung, Automatisierung, KI verschieben die wirtschaftlichen Machtachsen. Frauen werden zu ernsthafter Konkurrenz“, heißt es bei Hurrelmann/Schnetzer.
Zugespitzt wird diese Entwicklung durch die Demographie. Nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes ist die Geburtenrate in Deutschland weiter auf nun 1,35 Kinder pro Frau gesunken. Das Einbeziehen der Frauen in alle Bereiche der Arbeitswelt führt zum späteren Kinderkriegen und zu weniger Kindern.
Der Grund: Mit frühen und mehreren Kinder müssen Frauen auf allen Ebenen des gesellschaftlichen und beruflichen Lebens zurückstecken. Es gibt keine soziale Infrastruktur, die es allen Frauen erlauben würde, mit Kindern und dennoch voller Kraft an ihren beruflichen Karrieren und ihrer gesellschaftlichen Stellung zu arbeiten.
■ Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.
Das Trotzen der Männer
Dies alles in Rechnung stellend, verwundert es nicht, dass nach neuesten Untersuchungen junge Frauen linke und grüne Parteien bevorzugen, während junge Männer konservativen Positionen rechts der Mitte und sogar rechtsextremem Denken zuneigen.
Kulturkampf steht auf der Tagesordnung. Er zeigt sich in den Demütigungen, den Beleidigungen, den Verleumdungen, denen die für das Bundesverfassungsgericht zur Wahl stehende Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf seit Wochen ausgesetzt ist. Es geht dabei nicht um deren unbezweifelbare juristische Expertise. Es geht darum zu verhindern, dass die Frauenbank im Gericht erweitert wird.
Ein möglicher Beschluss zur Streichung des Paragraphen 218 zur Abtreibung durch den Bundestag soll die Chance behalten, im Fall einer Klage als verfassungswidrig zurückgewiesen zu werden. Die Ausweitung der Frauenrechte, die umfassende Selbstbestimmung der Frauen, soll behindert werden.
Nachgeborene der Lysistrata
Auf die gleiche Ebene gehört die plötzlich aufkommende Diskussion darüber, dass es zu viele Spitzenergebnisse bei den Abiturprüfungen gäbe. Auch das geht gegen Frauen. Die Leistungen der jungen Frauen schlecht zu reden, soll die anstehende Verweiblichung aller politischen Eliten und Führungsebenen aufhalten. Dabei ist es simpel: Junge Frauen lernen einfach besser und schneller als die gleichaltrigen jungen Männer.
Alle sozialen Sicherungssysteme sind heute weit von einer Gleichstellung von Frauen und Männer entfernt. Warum, zum Beispiel, Frauen mit niedrigeren Altersrenten für ihre Familienarbeit bestraft werden, ist nicht nachvollziehbar.
Die Waldorf-Schülerinnen vom Prenzlauer Berg sehen sich zu Recht als späte Nachgeborene der Lysistrata. Sie führen so selbstbewusst deren Radikalität vor, als wollten sie alle Frauen daran erinnern, dass allein sie es in der Hand haben, die vollgültige Gleichstellung mit den Männern in allen Belangen durchzusetzen. Sie scheinen bereits früh zu wissen, dass sie auf diesem Weg nicht mit der Unterstützung der Männer rechnen können. Im Gegenteil.
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