Geschichte: Beschwörung vergangener Pracht
Der Kurfürstendamm feiert 125. Geburtstag. Zum Jubiläum wird in Ausstellungen tief in die Nostalgiekiste gegriffen und sich der Gegenwart verweigert.
Als gäbe es nicht schon genug Niedergang, hat erneut ein prominenter Anwohner seine langjährige Adresse am Kurfürstendamm gekündigt. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist in eine Seitenstraße des berühmten Boulevards im Westen umgezogen. Zu viel Rummel um seine Person sollen für die Flucht verantwortlich gewesen sein.
Zum 125. Geburtstag des Kurfürstendamm, heute am 5. Mai, und dem Start gleich mehrerer Ausstellungen, werden allerdings nicht die Zentrifugal- sondern die Anziehungskräfte des "Berliner Wahrzeichens" bemüht. "Der Ku'damm ist ein Lebensgefühl, eine Faszination, ein Mythos und er setzt positive Signale für eine starke Zukunft der City West", meinte zur Eröffnung der Schauen ausgerechnet Wowereit, der gerade das Weite gesucht hat.
Zum Beweis führte der Regierende die neuen Baustellen an: Das Hochhaus Zoofenster ist im Rohbau fertig, die Sanierungen des Bikinihauses und des Haus Cumberland starten, der Architekt David Chipperfield entwirft das neue Ku'damm-Karree. Zudem gibt es laut Wowereit klare Indizien, dass sich neben der Tauentzienstraße samt KaDeWe auch der Kurfürstendamm wieder zur ersten Berliner Shoppingmall für Luxus- und Massenpublikum gemausert hat.
Bis zum 16. Oktober 2011 wird die Vitrinenausstellung "125 Jahre Kurfürstendamm" zwischen der Gedächtniskirche und der Joachim-Friedrich-Straße Tag und Nacht präsentiert. Die "Schaustelle Berlin" stellt am Breitscheidplatz die Neubauprojekte vor.
Ergänzt werden die Ausstellungen durch ein temporäres Ausstellungscafé am Ku'damm/Ecke Uhlandstraße. Reichlich Kaffeehausatmosphäre und Infomaterial gibt es dort. Bis Ende Oktober finden zahlreiche Events, Führungen, Lesungen, Spaziergänge und weitere Veranstaltungen zum 125. Ku'dammjubiläum statt.
Infos und Karten unter:
Richtig ist, nach den Krisen der 70er Jahre und dem Run auf die City Ost liegt der Kurfürstendamm im Ranking der internationalen Einkaufsmeilen wieder ganz weit vorn. Es wird Umsatz gemachtauf den drei Kilometern zwischen der Gedächtniskirche und Halensee. Zwischen Uhland- und Leibnizstraße ist im Winter die Pelzmanteldichte hoch, im Sommer dominieren übergroße Dior-Sonnenbrillen.
Richtig ist aber auch, dass der alte Westen von vielen urbanen "Voids", also räumlichen und sozialen Leerstellen, perforiert bleibt. Der wirtschaftliche Niedergang jenseits des Adenauerplatzes, die bröckelnden 50er-Jahre-Fassaden, vom Abriss bedrohte Theater- und Kinosäle, teure Autosalons gegenüber den so genannten "Ramschecken", piefige Nachtklubs oder Etagenhotels sind Konstanten im Ku'damm-Image seit dem Mauerfall geblieben.
Kritiker des stilisierten Booms zum 125. Geburtstag wie der Stadtsoziologe Hartmut Häussermann oder die grüne Stadtplanerin Franziska Eichstädt-Bohlig analysieren deshalb den aktuellen Zustand der früheren Prachtstraße als äußerst fragil. Das Neue an der traditionsreichen Geschäfts- und Touristenmeile sei "kaum mehr als der Konsum", sagt Häusermann. Damit die City West wieder zu einer Art Berliner Stadtzentrum werden könne, müsste die "urbane Qualität" gesteigert werden: mit Kultur, Gastronomie, Wohnen, Arbeitsplätzen und metropolitaner Lebendigkeit.
Die beiden großen Ausstellungen zum Jubiläum - die "Schaustelle" am Breitscheidplatz und die Vitrinenausstellung "Der Kurfürstendamm. 125 Jahre, 125 Geschichten" in den berühmten 30er-Jahre-Straßenmöbeln entlang des Boulevards - hätten genug Raum geboten, diese spannenden Ambivalenzen und Fliehkräfte vor Ort zu thematisieren. Warum die Macher, die Kuratoren Sven Kuhrau, Christian Pabst sowie die Kulturprojekte Berlin GmbH, einer aktuellen und kritischen Würdigung des Ku'damms aus dem Wege gingen und warum sie die Vitrinen etwa nicht von Künstlern gestalten ließen, kann man nur ahnen: Zum 125. Jubiläum will man sich seinen alten Ku'dammglanz nicht entzaubern lassen und der Gegenwart ausweichen. Was schade ist, hätten doch provozierende Fragen und Formen neue Antworten zu den Perspektiven des Ku'damms geben können.
So bleibt es - neben der Schaustelle, wo die Neubauten vorgestellt werden - in den 125 Vitrinen bei nostalgischen Blicken auf die jüngere Vergangenheit. Es scheint gewollt, dass einen angesichts der Schwarzweissfotos, die vor den jeweiligen Gebäuden präsentiert werden und die von ihren Bewohnern oder historischen Ereignissen berichten, einmal mehr der Ohrwurm "Heimweh nach dem Kurfürstendamm" der Knef drangsaliert.
Nicht genau genommen haben es die Kuratoren auch mit der Geburtsurkunde des Ku'damms. Geht seine Geschichte doch bis ins Jahr 1542 zurück, als der durch sumpfiges Gelände führende Damm zum Jagdschloss Grunewald fertiggestellt wurde. 1685 entstand ein Reitweg. 1883 wurde der "Churfürstendamm" nach einer Bismarckschen Kabinettsorder als Großstadtboulevard auf 54 Meter verbreitert.
Am 5. Mai 1886 fuhr dort die erste dampfbetriebene Straßenbahn, die die Stadtentwicklung im neuen Westen enorm beförderte. Vor allem in den "Goldenen Zwanzigern" der Weimarer Republik entwickelte sich der Ku'damm zur Kultur- und Amüsiermeile. Er war Treffpunkt der Intellektuellen und Künstler, während die konservative Gesellschaft Unter den Linden verblieb. Ab 1933 liquidierten die Nazis diesen Ruf, die jüdischen Geschäfte und Etablissements wurden zerstört, ihre Besitzer in die KZ deportiert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs lag ein Großteil des Boulevards in Trümmern, als "Schaufenster des Westens" wurde die Achse ab 1950 wieder aufgebaut.
Mit der Idee, von den rund 150 gläsernen Vitrinen 125 in Geschichtsräume zu verwandeln, die zugleich ihre Funktion als Schaukasten thematisieren, haben die Kuratoren zumindest ein gutes Konzept aufgelegt. Auf der Straße und nicht im Museum, nicht chronologisch, sondern assoziativ, punktuell und als Sammelsurium wird hier die Geschichte des Kurfürstendamm erzählt. Es sind Geschichten, die man kennt: die vom Abschlepp-Laden "Big Eden" (Vitrine Nummer 067) oder die von der Adresse Kurfürstendamm 140: Vor dem damaligen SDS-Büro wurde das Attentat auf Rudi Dutschke im April 1968 verübt (85).
Es finden sich auch Geschichten, die man weniger gut kennt: etwa die von den Kutscheras, den jüdischen Besitzern des "Haus Wien", die 1943 nach Theresienstadt deportiert wurden (20), oder die von den "Näherinnen vom Ku'damm", die im Atelier in der Nr. 218 die Nachkriegsmoden nähten (96). "Lasst den Kuchen und die Sahne, nehmt euch eine rote Fahne", skandierten 1968 Studenten vor dem Kranzler-Eck (070). Zum 125. müssen es Kuchen und Sahne sein, aber etwas mehr Aufregung wäre auch nicht schlecht gewesen.
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