■ Geschichte?: Fritz-Bauer-Jahrbuch
Etwa um diese Jahreszeit stellte sich das Fritz Bauer-Institut, das Frankfurter Dokumentationszentrum des Holocaust, vor drei Jahren in der taz vor. „Es gibt eben immer wieder den Versuch“, hatte der Mitinitiator Hanno Loewy damals gesagt, „das, was damals passiert ist, umzudeuten in eine Vorgeschichte der Bundesrepublik. In Dachau sieht man das Martyrium von Christen, in Buchenwald ein Heldendrama, in Neuengamme einen Lernort der Demokratie. Immer wieder wird versucht, dem Leiden einen identifikatorischen Gehalt abzugewinnen. Im Grunde ist doch die gesamte politische Rhetorik der Nachkriegszeit eine einzige Gedenkstätte, und darüber muß man reden...“ Inzwischen hat sich das Institut auf diese Weise durchaus einen Platz in der Gedenklandschaft erobert. Nun ist sein erstes Jahrbuch erschienen. Einige Beiträge sind noch immer im Verdächtigungston gehalten, andere aber arbeiten mit sorgfältig recherchiertem Material, unter dem der Gegenstand dann auch nicht begraben wird. Das gilt auffälligerweise vor allem für die Beiträge zu den visuellen Reflexionen des Holocaust: Cilly Kugelmann beschreibt die materiellen und ideologischen Prämissen des Films „Lang ist der Weg“, der in einem DP-Camp entstand; Cornelia Brink beschäftigt sich mit den Botschaften der KZ-Fotografien auf Plakaten der Alliierten, die in Deutschland 1945 in großer Zahl ausgehängt wurden, und der amerikanische Autor Jeffrey Shandler hat untersucht, wie der Holocaust im amerikanischen Fernsehen der Nachkriegszeit auftauchte: Er fand eine Episode der Sendung „This is your life: Hanna Bloch-Kohner“ von 1953, in der eine Überlebende überraschend mit verloren geglaubten Angehörigen konfrontiert wird. Je weniger Täter und Opfer am Leben sind, desto mehr wird die Auseinandersetzung mit Zeugnissen, die Rezeptionsgeschichte in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung rücken. Im Reden über die Vergangenheit kann eine Gesellschaft ihre Gegenwart klären, ein Selbstgespräch führen. Dabei ist, gerade im „Gedenkjahr“ 1995, überdeutlich geworden, wie sehr das „Nie wieder“ der Bundesrepublik in Fleisch und Blut und Konstitution übergegangen ist – Herzog brauchte kein Protokoll mehr, um sich in Warschau „angemessen“ zu verhalten. Leider wird der Historiker Dan Diner nicht konkreter, wenn er über die neuere Geschichtsschreibung sagt, sie sei von dem Bemühen getragen, „dem Diskurs der Schuld einen ebenso forensischen entgegenzuhalten; den der Fahrlässigkeit“. Der deutsche Historiker, der Auschwitz als das Resultat einer „Fahrlässigkeit“ beschriebe, könnte sich doch wahrscheinlich gleich am nächsten Montag seinen Hut holen – und überhaupt kann doch wohl von „der deutschen Geschichtsschreibung“ schon länger keine Rede mehr sein – warum auch. Moshe Zuckermann berichtet, die israelische Gesellschaft habe es nicht vermocht, Trauerarbeit zu leisten – eine immerhin erstaunliche Behauptung –, und verlege sich deshalb stets auf Schuldzuweisungen an die Adresse der Deutschen. Die These, daß der Zionismus den Holocaust für seine Zwecke funktionalisiert habe, wirkt immer tautologischer, je öfter sie wiederholt wird: Die Vernichtung des europäischen Judentums ist die Legitimation der Gründung eines jüdischen Staates; was sonst? Auch dies ein Gespräch über die Gegenwart, hinter dem die Vergangenheit verschwindet. mn
Fritz Bauer Institut: Jahrbuch 1996. Frankfurt: Campus. 440 S., 48 DM.
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