piwik no script img

Geschichte dreier Bremer Buchhändler„Nicht die richtigen Fragen gestellt“

Vor 150 Jahren wurde Anni Leuwer geboren. Ein Gespräch mit Guenter G. Rodewald, dessen Vater bei Leuwer lernte – und überzeugter Antisemit war.

In den „Braunen Laden“ wechselte Rodewalds Vater nach seiner Ausbildung Foto: Privat
Interview von Henning Bleyl

taz: Herr Rodewald, wir wollen über drei sehr unterschiedliche Bremer Buch­händ­le­r:in­nen sprechen. Einer sind Sie selbst und eine andere ist Anni Leuwer, die an Heiligabend vor 150 Jahren geboren wurde. Was verbindet Sie mit ihr?

Guenter G. Rodewald: Als Bremer kennt man natürlich die Buchhandlung Leuwer als gute Adresse, heute Am Wall 171. Aber mir wurde erst spät bewusst, dass es sich um eine „arisierte“ Buchhandlung handelt. Anni Leuwer kam aus einer jüdischen Familie – ihre Mutter war eine Ballin – und musste die Buchhandlung unmittelbar nach der „Machtergreifung“ an ihre „arischen“ Mitarbeiter Spiegel und Kamloth abtreten.

Anni Leuwer

Johanna Rose „Anni“ Leuwer, geborene Neumark, kam aus einer Maler- und Architektenfamilie. Sie entschied sich zunächst dafür, Zahnärztin zu werden, und führte als Witwe von Franz Leuwer dessen Buchhandels-Unternehmen weiter.

Ihr Bruder Friedrich Neumark baute markante Bremer Gebäude wie Karstadt, die Handelskrankenkasse, das Gröpelinger Lichthaus – und auch die Schwachhauser Villa von Carl Emil Spiegel, der „Leuwer“ 1933 übernahm. Spiegel, der in ganz Bremen Kunstwerke und Bibliotheken aus jüdischem Besitz zum Altpapierpreis aufkaufte, erklärte 1945: „Sonst wären diese Dinge doch dem Luftkrieg zum Opfer gefallen.“

Die Kinder von Anni Leuwer konnten Deutschland rechtzeitig verlassen. Ihre Tochter Rosita Ilse heiratete den Schriftsteller Josef Kastein, ihr Sohn Franz wurde unter dem Pseu­donym Frank Lynder Geheimagent und später Schwager und rechte Hand von Axel Springer.

Leuwer war Bremens wichtigste Buchhandlung mit Dutzenden Angestellten und vielen Filialen – sogar an Bord der Lloyd-Liner wie der „Bremen“.

Ja. Dazu kamen Buchhandlungen auf Borkum, Spiekeroog und Wangerooge. Dort verbrachte ein Großteil der norddeutschen Bildungsbürgerschaft den Sommer und benötigte Lesestoff. Ursprünglich war Anni Leuwer aber gar nicht Buchhändlerin, sondern Dentistin – eine der ersten Deutschlands.

Es gibt die Geschichte, dass ihr späterer Mann Franz immer wieder mit vorgetäuschten Zahnschmerzen bei ihrer Praxis am Schüsselkorb vorsprach …

… und damit hatte er auch irgendwann Erfolg. Es ging den beiden dann sehr gut, das Haupthaus in der Obernstraße 14 mit Kunstsalon und Verlag wurde zu einem geistigen Mittelpunkt der Stadt.

Hat ihr diese gesellschaftliche Verankerung später geholfen? Zu Hausfreunden gehörten ja Leute wie Rudolf Alexander Schröder, Kunsthallen-Direktor Waldmann und Richard Strauss.

Mir ist nicht bekannt, dass Anni Leuwer 1933 prominente Unterstützung bekommen hätte. Gerade der Norddeutsche Lloyd drängte auf eine rasche „Arisierung“ des Unternehmens. Anni Leuwer bekam anfangs eine monatliche Rente, musste später aber ihr Haus in der Bismarckstraße verlassen. 1942, siebzigjährig, wurde sie nach Theresienstadt deportiert. Fünf Monate später war sie tot.

Ihr Vater war 1931 Lehrling bei Leuwer. Zugleich trat er in die NSDAP ein. Wie ging das zusammen?

Das würde ich ihn auch gerne fragen. Vielleicht war Leuwers Renommee wichtiger als die jüdische Lehrherrin. Am 1. Mai 1933 wechselte er zur Firma „Brauner Laden Wirtz & Co. G.m.b.H. Bremen“, Ausstatter für Uniformen, Ausrüstungen und sämtliches Propagandamaterial der NSDAP. Die hatten eine eigene Buchabteilung in der Bahnhofstraße 1. Ich erinnere mich an ein Foto aus dieser Zeit, das ein Sonderfenster zeigt mit dem Titel „Gegen Juda den Satan der Welt und seine Helfer die Freimaurer“.

Mit den Büchern hat er sich dann selbstständig gemacht?

Ab 1934 hat er das selbständig fortgeführt, unter dem Namen „Nordische Buchhandlung Wilhelm Rodewald“, mit Porträts von Göring und Röhm an der Wand.

Im Interview2Inews: Guenter G. Rodewald

Guenter G. Rodewald, 72, arbeitete unter anderem als Buchhändler im Bremer Viertel und gut 30 Jahre als Literaturagent in Barcelona.

Hat Ihr Vater noch erlebt, dass Sie ebenfalls Buchhändler wurden – als Teil des linksradikalen Kollektivs, das den „Buchladen im Ostertor“ betrieb?

Nein, aber es hätte ihn gefreut – nicht die politische Richtung, aber die berufliche Orientierung. Und sicher mehr noch mein späterer Beruf als Literaturagent.

Kann man das wirklich so trennen?

Er hat schon noch mitgekriegt, wie meine politische Entwicklung war. Und hat das ebenso akzeptiert wie, kurz vor seinem Tod 1978, meine Homosexualität.

Was hat er nach 1945 getan?

Zunächst hatte er Berufsverbot, dann gab es wieder eine Buchhandlung unter seinem Namen, nur ohne das „nordisch“ natürlich. Als Schüler war ich da gern, ich mochte die Atmosphäre und wie er da arbeitete. Damals kannte ich allerdings seine Vergangenheit nicht. Wir wussten, dass er bei der SA gewesen war, aber all’ das war nie Thema bei uns zu Hause.

Wie gehen Sie heute mit Ihrem Wissen um?

Ich bemühe mich darum, dass der Bremer Buchhandel in der NS-Zeit gründlich erforscht wird. Mich treibt das sehr um – aus den persönlichen Gründen, aber auch darüber hinaus. Ich mache das für mich, und irgendwie mache ich das auch für meinen Vater, an den ich persönlich ja gute und liebevolle Erinnerungen habe. Leider habe ich ihm, als er noch lebte, nicht die richtigen Fragen gestellt.

Wie funktioniert diese Vorstellung von „Stellvertretung“?

Man erhofft sich bei solchen Recherchen, dass unter Umständen Tatsachen auftauchen, die das Bild des Vaters zumindest in Teilen ein wenig aufhellen könnten – aber befürchtet gleichzeitig doch, dass es womöglich schlimmer kommt, als man bislang schon annahm oder wusste. Ich kann nichts von dem gutmachen, was zu Lasten meines Vaters geht. Aber ich fühle eine Verpflichtung, Licht in das Dunkel zu bringen, was zu Lasten meines Berufsstandes vor, während und nach der NS-Zeit geht. Und es geht darum, Anni Leuwer, dieser Frau und Person und Kollegin, diesem Menschen und ihrer Familie, zumindest posthum ein wenig – ich benutze bewusst das abgenutzte, aber immer noch sinngebende Wort – „Wiedergutmachung“ widerfahren zu lassen.

In Hannover gründete Antonie Leeser 1919 ihre Buchhandlung – als einzige Frau in einer Männerdomäne, bis sie 1936 enteignet wurde. Hatten unter den auch ökonomisch emanzipierten Frauen besonders viele jüdische Wurzeln?

Das könnte durchaus sein und mit dem Stellenwert der Bildung zusammenhängen, die es im Judentum als Buchreligion gibt. Aber auch das sind Fragen, die man bei einer genaueren Befassung mit der Geschichte des Buchhandels in der NS-Zeit klären müsste. In Bremen war das jedenfalls eine verschworene Männergemeinschaft. Die wurde zum ersten Mal aufgeschreckt, als Bettina Wassmann 1969 aus Berlin zurück nach Bremen kam und einen „Buchladen“ aufmachte – schon der Begriff war eine Provokation. Und dann durfte sie noch an der neuen Bremer Uni eine Filiale aufmachen. Zwar wurde die „rote Kaderschmiede“ von den Buchhändlern abgelehnt, aber diesen Auftrag hätten sie dann doch gern gehabt. Buchhändler haben ja auch etwas Krämerisches …

Bettina Wassmann verkehrte in marxistischen Kreisen – und hat den Buchhandel ausgerechnet bei Ihrem Vater gelernt. Wie passt das wieder zusammen?

Na ja, zu ihrer Lehrzeit war sie noch ziemlich jung und mein Vater hatte einen sehr guten Ruf als Ausbilder. Aber es gibt in der Tat viele Dinge in der Welt des Buchhandels, über die man sich sehr wundert!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen