Geschichte am BER: Diese Frau am Flughafen
Nach Marga von Etzdorf ist am BER eine Straße benannt. Mit der Flughafenarchitektur teilt die 1907 geborenen Pilotin Verbindungen in den Faschismus.
Die Kolonnaden des preußischen Hofbaumeisters Karl Friedrich Schinkel wollen den Architekt*innen als Referenz für die sogenannte Airport-City um den Vorplatz herum gedient haben. Den Hotels und Bürogebäuden sollen sie einen „ortsspezifischen Duktus“ verleihen. Ein ähnliches Ziel verfolgen wohl auch die Namen Berliner und nationaler Größen der Luftfahrt, die sich auf den Straßenschildern der Airport-City finden. Der Flugzeugingenieur Hugo Junkers ist hier verewigt, auch die Pionierfliegerinnen Melli Beese und Elly Beinhorn.
Gerade in Berlin ist das Bewusstsein für die politische Bedeutung von Straßennamen in den letzten Jahren gewachsen. Woran knüpfen diese Namen also wirklich an? Und woran die neoklassizistischen Reminiszenzen in der Architektur?
„Sie knüpfen weniger an Schinkel als an die italienische rationalistische Architektur an“, sagte der Berliner Philosoph Klaus Heinrich 2015 in einem Interview. Schon in den siebziger Jahren versuchte er in seinen berühmten Dahlemer Vorlesungen das kollektiv Verdrängte in der menschlichen „Gattungsgeschichte“ – auch in der Architektur – zu Bewusstsein zu bringen.
Der italienische Rationalismus, dessen Einfluss Heinrich nicht explixit am BER, aber in der „Neuen Berlinischen Architektur“ ausmacht, ist die Architektur des Mussolini-Faschismus. Auch wenn der Aufklärer Schinkel gemeint war, sei der Faschist Speer in dieser Architektur präsent. Eine solche Baukunst will Heinrich zufolge die „Wiederkehr einer fantasierten Intaktheit, die es so wirklich nie gegeben hat“, will die Mehrdeutigkeit, die Komplexität der Geschichte ausblenden.
Auch was die Straßennamen der noch unbelebten und doch schon in die Jahre gekommenen Flughafenstadt betrifft, kann ein solcher Eindruck entstehen. Ein nahezu intaktes Bild der deutschen Luftfahrtgeschichte wird hier gezeichnet. Geradezu aufgeklärt wirkt die Geschlechterparität unter den mit Straßen Geehrten. Für Mehrdeutigkeit aber ist kaum Platz auf den dünnen Schildern.
Hugo Junkers etwa gründete nicht nur die Junkers Luftverkehr AG, die 1926 mit dem Deutschen Aero Lloyd zur weltberühmten Luft Hansa fusionierte, sondern kann als lupenreiner Demokrat gelten. Auch die Pilotinnen Melli Beese und Elly Beinhorn sind zunächst der Kollaboration unverdächtig. Die Johannisthaler Pionierin Beese starb bereits 1925, die „Weltfliegerin“ Beinhorn gilt weithin als „unpolitisch“ und nicht durch eine NSDAP-Mitgliedschaft kompromittiert.
Etwas verdrängt von der „Plaza“ mit dem unzweifelhaften Namen Willy Brandt, zwischen einem Hotel und einem Flughafenparkhaus findet sich am BER der Name einer Frau, die ebenfalls als unpolitische, als leidenschaftliche und tragische Heldin der deutschen Fliegerei gilt. „1. Alleinflug einer Frau, Berlin–Tokyo“ begründet das Straßenschild die Entscheidung für Margarethe „Marga“ von Etzdorf. Zu ihrer Zeit war sie „das Fräulein“, das in der Welt Luftkapriolen schlug. Doch intakt, eindeutig ist auch von Etzdorfs Geschichte nicht.
Die 1907 in Spandau geborene, aus preußischem Adel stammende Etzdorf fliegt mit 19 Jahren zum ersten Mal. Ein Bekannter hat einen Rundflug gewonnen und schenkt ihn der jungen Frau. Marga ist fasziniert von dem Erlebnis und bittet ihre Großeltern, bei denen sie nach dem frühen Tod ihrer Eltern aufwächst, um die Erlaubnis, einen Flugschein zu machen. Nach vier Monaten in einer Flugschule in Staaken besteht sie 1927 die Prüfung.
Schon wenig später wird Marga von Etzdorf als erste Frau Kopilotin bei der Deutschen Luft Hansa. Es folgen erste Langstreckenflüge mit ihrer eigenen Junkers-Maschine, die sie knallgelb spritzen lässt und der sie den Namen „Kiek in die Welt“ gibt. 1930 fliegt Etzdorf allein nach Istanbul, im Herbst desselben Jahres auf die Kanaren. Dann schließlich, 1931, bricht sie zu dem Flug in die japanische Hauptstadt auf, mit dem sie ihre britische Konkurrentin Amy Johnson übertrumpfen wird.
„Ja, die Frau fiel aus dem Rahmen“, lässt Uwe Timm in seinem Etzdorf-Roman „Halbschatten“ einen Protagonisten schwärmen. „Ganz selbstständig. Konnte Zündkerzen auswechseln oder Kolben ausbauen. Reinigte Benzinleitungen. Und vor allem – sie konnte fliegen.“
„Halbschatten“, eine vielstimmig komponierte Biografie, belässt es aber nicht beim intakten Bild der Etzdorf. Auch die Bruchlandungen, auch die Stimmen der Nazis, die mit der jungen preußischen Fliegerin viel anfangen konnten, kommen hier zu Wort. „Sie flog für Deutschland“, lässt Timm den SA-Sturmführer Eberhard Maikowski sagen. „Schandvertrag von Versailles. Den Unsrigen in Übersee Mut machen. Marga v. Etzdorf fliegt für Deutschland. Graf Luckner segelt für Deutschland, Kapitän Kircheiss dito. Deutschland am Boden. Kriegsschuld. Et cetera pp.“
Auch die nationalistische Mythologie um von Etzdorfs frühen Suizid wird in „Halbschatten“ mit der historischen Wirklichkeit konfrontiert. Die Nazis wollten im Juli 1933 eine Heldin begraben, eine 25-Jährige, die für Deutschland den ehrenhaften Freitod gewählt hatte. SS und SA halten Ehrenwache an ihrem Sarg. Die Waffe aber, mit der sich Marga von Etzdorf nach einer Bruchlandung in Syrien tötete, hätte sie niemals mit sich führen dürfen. Sie verstieß damit gegen ein Verbot, das der Versailler Vertrag Deutschen im Ausland auferlegte.
Ernst Heymann, Leiter der Rüstungsfirma Haenel und deren Kontaktmann zur SS, hatte der Weltenbummlerin die Waffe und Waffenkataloge mit auf ihren Langstreckenflug nach Australien gegeben. Illegale Waffengeschäfte sollte sie anleiern und daran mitverdienen können. Von Etzdorf brauchte Geld für ein neues Flugzeug, für Kerosin, Ersatzteile und Überflugpapiere. Ob die Pionierin sich schließlich aus Scham oder aus Furcht, mit der Waffe entdeckt zu werden, tötete, bleibt ungeklärt.
Nach Aufklärung im Sinne Klaus Heinrichs verlangen nicht nur die Straßennamen am BER und in Gatow, wo es eine weitere Marga-von-Etzdorf-Straße gibt, sondern viele Straßen und Plätze in der Stadt. Das Verdrängte in der „Neuen Berlinischen Architektur“, die auch von Etzdorfs Grab umgibt, ebenso. Gegenüber dem neuen Europaviertel zwischen Moabit und Mitte liegt sie auf dem Invalidenfriedhof. Neben ihr Preußen, Nazis, Militärs. Auf ihrem unbehauenen Grabstein steht der Satz: „Der Flug ist das Leben wert“.
„Der Flug ist das Leben wert?“, heißt es am Ende von Uwe Timms Roman. „Vielleicht. Ich denke, eher nicht. Wer weiß.“ Solche Mehrdeutigkeit macht eine lesenswerte Geschichte aus. Auch in der neuen Berliner Architektur wäre sie angebracht. Alles andere ist „Wiederkehr einer fantasierten Intaktheit, die es so wirklich nie gegeben hat“, ist erhaben und abgehoben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP