Geringere Einnahmen in Pandemie: Corona bremst Kulanz der Bahn AG
Die Deutsche Bahn tut sich schwer mit der Schlichtungsstelle für die Branche. Der Konzern akzeptiert weniger Schlichtungsvorschläge.
Weil sie sich unfair behandelt fühlte, legte die Bahncard-50-Besitzerin Widerspruch ein, den die Deutsche Bahn AG aber abwies. Verärgert schrieb Verena K. an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, kurz „söp“ genannt. Der in Berlin ansässige Verein, der seit Dezember 2009 besteht, ist inzwischen mit rund 60 Jurist:innen für rund 400 Verkehrsunternehmen und Reiseveranstalter als Schlichter tätig und für Beschwerdeführer:innen kostenlos.
Die unabhängige Schlichtungsstelle sucht außergerichtliche Lösungen, was laut Statistik insgesamt in über 80 Prozent der Fälle einvernehmlich gelingt. 2020 sorgte Corona mit rund 41.000 Anträgen für ein absolutes Rekordjahr – 58 Prozent mehr als 2019 und über 11-mal so viel wie im ersten Jahr 2010. 84 Prozent betrafen den Flugverkehr, 11 Prozent die Bahn, 3 Prozent den ÖPNV, je 1 Prozent Fernbus und Reise.
Im Fall von Verena K. stand für die söp fest, dass die Deutsche Bahn zwar rein juristisch im Recht war, weil K. keine gültige Fahrkarte für die zusätzliche Preisstufe hatte, die 2,60 Euro mehr gekostet hätte. Da es sich nicht um „klassisches Schwarzfahren“, sondern um „ein Versehen und einmaliges Vorkommnis“ handelte und der Schaden für die Bahn gering war, hielten die Schlichter:innen K.s Wunsch aber für nachvollziehbar. Ende April regten sie das Unternehmen an, den Betrag „aus Kulanz“ und mit Blick auf die „Wiederherstellung der Kundenzufriedenheit von 60 auf 10 Euro zu reduzieren.
Geschäftsführer Heinz Klewe, söp
Die Bahn lehnte den Vorschlag „bedauernd“ ab. Auf Anfrage der taz verwies ein Sprecher darauf, dass im Schreiben alles gesagt sei. Mehr könne er zu dem konkreten Fall auch nicht berichten.
Bei der söp schüttelt man darüber die Köpfe. Die Frage sei doch: „Geht man so mit Kund:innen um?“, betont Geschäftsführer Heinz Klewe. Deshalb hakte die söp noch einmal nach – mit einem Teilerfolg: Die Bahn reduzierte am Ende das erhöhte Beförderungsentgelt auf 30 Euro.
Verena K. reicht das nicht. „Dass ausgerechnet in diesen Coronakrisenzeiten die Kulanz nachlässt, finde ich fatal. Gerade jetzt muss man sich als Mensch und als Unternehmen fragen: Was sind die Werte, für die ich stehe?“, sagt sie. Sie verbinde die Bahn „nun eher mit Machtgehabe, teuer sein und Kundenunfreundlichkeit, neben der allgemeinen Unzuverlässigkeit“, und sehe „wenig Zukunftsweisendes beziehungsweise Zeitgemäßes“.
Klewe kann die Verärgerung der Bahnkundin gut verstehen. Dass die Bahn „einen Minifehler beharrlich so teuer bestraft, ist unmöglich“, sagt er. Zugleich sei der Ausgang dieses Falls ein Musterbeispiel für die negative Entwicklung in Coronazeiten: Akzeptierte die Deutsche Bahn 2018 und 2019 noch 79 bis 80 Prozent der Schlichtervorschläge, sank die Zustimmung 2020 auf 63 Prozent, im ersten Halbjahr 2021 sogar weiter auf 60 Prozent.
Geringere Einnahmen wegen Corona
Als Hauptgründe für diese deutlich gesunkene Kulanz gelten die geringeren Einnahmen der Bahn, weil in Pandemiezeiten deutlich weniger Fahrgäste die Züge nutzten, aber auch die Kurzarbeit in der Bahnverwaltung. Klewe hat festgestellt, dass die Ablehnung oft postwendend kam und sich Juristen des Unternehmens offensichtlich nicht mit den Argumenten der Schlichtungsstelle auseinandergesetzt hatten.
Deutlich anders reagierten die Unternehmen aus der Luftfahrtbranche auf die söp-Vorschläge: 86 Prozent wurden angenommen, was laut Klewe auch daran lag, dass es sich meist um Ticketrückerstattungen handelte, bei denen der Fall klar zu gunsten der Kund:innen sprach.
Ginge es nach ihm, der inzwischen in Ruhestand gegangen ist, sollten alle Personenverkehrsbetriebe inklusive der Deutschen Bahn und der Lufthansa umdenken und grundsätzlich die Vorschläge der söp-Jurist:innen übernehmen, weil sich dadurch gezielt Geld sparen ließe. Schließlich könne man dann auf juristisches Personal verzichten. Bisher sind dazu nur drei Luftfahrtfirmen bereit: Ryanair, LaudaMotion und Eurowings. Womöglich sorgt das gute Image der söp, die stabil 4,9 von 5 Sternen bei Google-Rezensionen erhält, früher oder später für ein Umdenken.
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