piwik no script img

Geringere Einnahmen in PandemieCorona bremst Kulanz der Bahn AG

Die Deutsche Bahn tut sich schwer mit der Schlichtungsstelle für die Branche. Der Konzern akzeptiert weniger Schlichtungsvorschläge.

Auch wenn es oft nicht so aussieht: Die Fahrgastzahlen der Bahn sind massiv eingebrochen Foto: Uwe Koch/Eibner Pressefoto/imago

Nürnberg taz | Es war am 10. März 2021, als Verena K. nachmittags am Fürther Hauptbahnhof die S-Bahn nach Nürnberg nehmen wollte. Der Zug war bereits auf dem gewohnten Gleis eingefahren, also stieg sie schnell ein und freute sich drauf, zeitnah zu ihren Kindern zu kommen. Weil sie auf ihr Smartphone guckte, wurde der Psychologin, die in Wirklichkeit anders heißt, ihren richtigen Namen aber nicht in der Zeitung lesen möchte, erst nach zwei Stationen bewusst, dass sie in die falsche Richtung fuhr. Für diesen Bereich reichte das gelöste Ticket der Preisstufe A nicht. Als sie am nächsten Haltepunkt aussteigen wollte, wurde sie von Kontrolleuren daran gehindert. Bevor sie die Bahn an der Station Erlangen-Eltersdorf verlassen durfte, erhielt sie ein erhöhtes Beförderungsentgelt in Höhe von 60 Euro aufgedrückt.

Weil sie sich unfair behandelt fühlte, legte die Bahncard-50-Besitzerin Widerspruch ein, den die Deutsche Bahn AG aber abwies. Verärgert schrieb Verena K. an die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr, kurz „söp“ genannt. Der in Berlin ansässige Verein, der seit Dezember 2009 besteht, ist inzwischen mit rund 60 Ju­ris­t:in­nen für rund 400 Verkehrsunternehmen und Reiseveranstalter als Schlichter tätig und für Be­schwer­de­füh­re­r:in­nen kostenlos.

Die unabhängige Schlichtungsstelle sucht außergerichtliche Lösungen, was laut Statistik insgesamt in über 80 Prozent der Fälle einvernehmlich gelingt. 2020 sorgte Corona mit rund 41.000 Anträgen für ein absolutes Rekordjahr – 58 Prozent mehr als 2019 und über 11-mal so viel wie im ersten Jahr 2010. 84 Prozent betrafen den Flugverkehr, 11 Prozent die Bahn, 3 Prozent den ÖPNV, je 1 Prozent Fernbus und Reise.

Im Fall von Verena K. stand für die söp fest, dass die Deutsche Bahn zwar rein juristisch im Recht war, weil K. keine gültige Fahrkarte für die zusätzliche Preisstufe hatte, die 2,60 Euro mehr gekostet hätte. Da es sich nicht um „klassisches Schwarzfahren“, sondern um „ein Versehen und einmaliges Vorkommnis“ handelte und der Schaden für die Bahn gering war, hielten die Schlich­te­r:in­nen K.s Wunsch aber für nachvollziehbar. Ende April regten sie das Unternehmen an, den Betrag „aus Kulanz“ und mit Blick auf die „Wiederherstellung der Kundenzufriedenheit von 60 auf 10 Euro zu reduzieren.

Geht man so mit Kun­d:in­nen um?

Geschäftsführer Heinz Klewe, söp

Die Bahn lehnte den Vorschlag „bedauernd“ ab. Auf Anfrage der taz verwies ein Sprecher darauf, dass im Schreiben alles gesagt sei. Mehr könne er zu dem konkreten Fall auch nicht berichten.

Bei der söp schüttelt man darüber die Köpfe. Die Frage sei doch: „Geht man so mit Kun­d:in­nen um?“, betont Geschäftsführer Heinz Klewe. Deshalb hakte die söp noch einmal nach – mit einem Teilerfolg: Die Bahn reduzierte am Ende das erhöhte Beförderungsentgelt auf 30 Euro.

Verena K. reicht das nicht. „Dass ausgerechnet in diesen Coronakrisenzeiten die Kulanz nachlässt, finde ich fatal. Gerade jetzt muss man sich als Mensch und als Unternehmen fragen: Was sind die Werte, für die ich stehe?“, sagt sie. Sie verbinde die Bahn „nun eher mit Machtgehabe, teuer sein und Kunden­unfreundlichkeit, neben der allgemeinen Unzuverlässigkeit“, und sehe „wenig Zukunftsweisendes beziehungsweise Zeitgemäßes“.

Klewe kann die Verärgerung der Bahnkundin gut verstehen. Dass die Bahn „einen Minifehler beharrlich so teuer bestraft, ist unmöglich“, sagt er. Zugleich sei der Ausgang dieses Falls ein Musterbeispiel für die negative Entwicklung in Coronazeiten: Akzeptierte die Deutsche Bahn 2018 und 2019 noch 79 bis 80 Prozent der Schlichtervorschläge, sank die Zustimmung 2020 auf 63 Prozent, im ersten Halbjahr 2021 sogar weiter auf 60 Prozent.

Geringere Einnahmen wegen Corona

Als Hauptgründe für diese deutlich gesunkene Kulanz gelten die geringeren Einnahmen der Bahn, weil in Pandemie­zeiten deutlich weniger Fahrgäste die Züge nutzten, aber auch die Kurzarbeit in der Bahnverwaltung. Klewe hat festgestellt, dass die Ablehnung oft postwendend kam und sich Juristen des Unternehmens offensichtlich nicht mit den Argumenten der Schlichtungsstelle auseinandergesetzt hatten.

Deutlich anders reagierten die Unternehmen aus der Luftfahrtbranche auf die söp-Vorschläge: 86 Prozent wurden angenommen, was laut Klewe auch daran lag, dass es sich meist um Ticketrückerstattungen handelte, bei denen der Fall klar zu gunsten der Kun­d:in­nen sprach.

Ginge es nach ihm, der inzwischen in Ruhestand gegangen ist, sollten alle Personenverkehrsbetriebe inklusive der Deutschen Bahn und der Lufthansa umdenken und grundsätzlich die Vorschläge der söp-Jurist:innen übernehmen, weil sich dadurch gezielt Geld sparen ließe. Schließlich könne man dann auf juristisches Personal verzichten. Bisher sind dazu nur drei Luftfahrtfirmen bereit: Ryanair, LaudaMotion und Eurowings. Womöglich sorgt das gute Image der söp, die stabil 4,9 von 5 Sternen bei Google-Rezensionen erhält, früher oder später für ein Umdenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ich kenne diese Bahnstrecke und den dortigen S-Bahn Verkehr dort:



    - Die S-Bahn verkehrt nur teilweise auf extra S-Bahn Gleisen und Haltepunkten



    - Die Strecke ist seit über einem Jahrzehnt Dauerbestelle, dadurch kommt es immer wieder zu plötzlichen Gleiswechseln an den Stationen, vorzeitign Zugwenden,....



    - die Strecke VDE ist zwischen Nürnberg und Bamberg immer noch nicht durchgehend viergleisig.



    - die deutsche Bahn streitet lieber über ein Jahrzehnt mit der Stadt Fürth über eine Trassen Variante.



    - Dies alles hat zur Folge, dass einige Stationen noch gar nicht modernisiert sind, Begelfsbahnsteige seit über einem Jahrzehnt bestehen, der barrierefreie Ausbau fehlt, bei neuen Stationen über Monate de Aufzüge nicht funktionierten, ...



    - Die S-Bahn muss zudem immer wieder für Schnellere Züge zwangsläufig zum überholen halten.



    - Im Hauptbahnhof Fürth gibt es für die Fahrtrichtungen Nürnberg oder Bamberg nur einen Bahnsteig bzw Gleis....

    Mir ist das auch schon passiert, dass ich dort den falschen Zug genommen habe und etwas mehr Glück als die Dame hatte.



    Dass die Kontrolleure die Dame zudem daran gehindert haben, noch innerhalb der Zone Fürth auszusteigen ist eine unverschämtheit!

    Die deutsche Bahn macht auf dieser Strecke seit über einem Jahrzehnt nur Fehler. Eigentlich sollte man dafür die Bahn verklagen, bis zur Fertigstellung kein Beförderungsentgelt mehr zu erheben.

  • Wenn man mehrfach erlebt hat, wie Reisende ohne Ticket das Zugpersonal zum Teil lautstark und aggressiv angehen, kann man fehlende Kulanz verstehen.



    In eigener Erfahrung war das Entgegenkommen der Bahn signifikant Kundenfreundlicher als das der Luftfahrtindustrie

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Ist doch völlig egal. Hauptsache die Leute im Bahn-Vorstand können jedes Jahr mehrere hunderttausend Euros einsacken. Für was fragt man sich.