Gericht stärkt Fußgänger: Das Recht, den Gehweg zu benutzen
Das Bundesverwaltungsgericht gibt Bremer Fußgängern recht, die sich gegen zugeparkte Gehwege wehren. Auch andere Städte könnte das betreffen.
Mit dem Urteil beschreitet das Bundesverwaltungsgericht wie schon die Vorinstanzen neue Wege. Denn die Straßenverkehrsordnung schützt vom Grundsatz her nur die Interessen der Allgemeinheit. Jetzt hat aber das Gericht das individuelle Recht der Anwohner anerkannt, den Gehweg vor ihrem Haus zu benutzen. „Die Anwohner haben Anspruch auf ein Einschreiten“, sagt Gerichtssprecher Kolja Naumann. „Das ist eine große Ausnahme im öffentlichen Recht.“
Das Parken auf Gehsteigen ist laut Straßenverkehrsordnung verboten, sofern es nicht durch Verkehrsschilder oder Markierungen erlaubt ist. Trotzdem wird es weithin geduldet. Fünf Bremer aus verschiedenen Stadtteilen wollten sich das nicht länger gefallen lassen. Sie forderten die Stadt, auf gegen die Falschparker vor ihrer Haustür einzuschreiten. Die Bremer Behörden lehnten ab: Schließlich sei ja noch ein Durchkommen. Das wollten sich die Anwohner nicht bieten lassen. 2019 klagten sie. 2022 bekamen sie zum ersten Mal recht.
Das Bundesverwaltungsgericht folgte nun dem Argument der Klägerseite, dass das Gehwegparkverbot in der Straßenverkehrsordnung nicht nur dazu diene, allgemein den Verkehr zu ordnen – es schütze auch diejenigen, die den Bürgersteig benutzten. Die konkret betroffenen Anwohner durften mit Blick auf den an ihrem Grundstück verlaufenden Gehsteig klagen.
Behörden dürfen priorisieren
Anders als das Bremer Verwaltungsgericht in der Vorinstanz räumt das Bundesverwaltungsgericht den Behörden aber einen Handlungsspielraum ein. Sie müssen nicht direkt gegen das Gehwegparken vor den Grundstücken der Kläger vorgehen, sondern können sich zunächst die Orte zuerst vornehmen, wo die Lage am brenzligsten ist.
„Da das unerlaubte Gehwegparken nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der gesamten Stadt, insbesondere in den innerstädtischen Lagen weit verbreitet ist, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte zunächst die am stärksten belasteten Quartiere ermittelt, Straßen mit besonders geringer Restgehwegbreite priorisiert und ein entsprechendes Konzept für ein stadtweites Vorgehen umsetzt“, heißt es der Pressemitteilung des Gerichts.
Der Bremer Senat hat nach den ersten Urteilen im vergangenen Jahr bereits damit angefangen. „Das Gericht hat unser bereits begonnenes ganzheitliches, konzeptionelles Vorgehen bestätigt“, stellte Mobilitätssenatorin Özlem Ünsal (SPD) fest. Der Senat habe zunächst die am stärksten belasteten Quartiere ermittelt und sich die besonderes schmalen Straßen vorgenommen. Als oberstes Kriterium gab Ünsal 2023 aus, dass die Feuerwehr mit ihren schweren Löschfahrzeugen durchkommen müsse.
Der Fahrradclub ADFC mahnte an, dass es dabei nicht bleiben könne, sondern auch an die Verkehrssicherheit und Barrierefreiheit gedacht werden müsse. Fußgängern und Radfahrern bleibe an vielen Stellen nur das Ausweichen auf die Fahrbahn. Das sei gefährlich und koste überdies Zeit. Anlässlich des aktuellen Urteils forderte auch Ralph Saxe von der Grünen-Bürgerschaftsfrakton ein Konzept, das „deutlich mehr als die Herstellung der Rettungssicherheit in den Wohnstraßen der Quartiere“ enthalte.
Kommunen sollen Parkraum aktiv managen
Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) erhofft sich von dem Urteil eine Signalwirkung für ganz Deutschland. Er fordert die Kommunen auf, die Straßenverkehrsordnung sofort durchzusetzen. „Es kann nicht sein, dass jahrzehntelanges Wegschauen die Autofahrer*innen begünstigt, während viele andere Nachteile in Kauf nehmen müssen“, schreibt der Verband. Kommunen sollten das Urteil nutzen, um den Parkraum aktiv zu managen, um den Parkdruck zu verringern.
Tatsächlich stellt sich ja die Frage, wo die vielen Autos – auch die der Anwohner – Platz finden sollen, wenn etwa in engen Straßen nur noch auf einer Seite geparkt werden darf. Zugespitzt hatte das die Sprecherin der Bremer Innenbehörde nach dem ersten Urteil so formuliert: „Würde man die Entscheidung konsequent weiterdenken, würden wohl 50 Prozent der Autobesitzer:innen in Bremen keinen Parkplatz mehr finden.“
Mobilitätssenatorin Ünsal prüft nun, ob sich in Stadtteilen mit viel Parksuchverkehr Quartiersgaragen einrichten lassen. Auch private und halböffentliche Parkplätze, etwa die von Supermärkten, kämen in Frage. Fürs Parken müsste dann aber bezahlt werden.
Andere Städte sind schon weiter. Karlsruhe ahndet seit 2019 illegales Parken auf dem Gehweg. Die Stadt hat ein Konzept für faires Parken entwickelt. Demnach darf auf dem Gehweg geparkt werden, sofern das entsprechend ausgewiesen ist. Voraussetzung ist, dass auf dem Bürgersteig 1,60 Meter Platz bleibt. Das sei das „absolute Minimum“. Auf der Fahrbahn müssten 3,10 Meter für Rettungsfahrzeuge frei bleiben.
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