Gerhard Richters Nachfolger: Unschärfe als Stilmittel
Die Hamburger Kunsthalle zeigt, wie Nachfolger des großen Malers die Unschärfe einsetzen. Die Fragen nach dem Potenzial von Subversion stellt sie allerdings nicht.
HAMBURG taz | Nein, er sei kein politischer Künstler. Und ja, malen sei eine moralische Handlung. Weil man akkurat und ehrlich sein müsse. Also exakt malen, was in der Realität, Pardon: auf dem Foto zu sehen sei. Schon hier setzt die Brechung im Haltung und Werk Gerhard Richters ein, dessen Einfluss auf die Gegenwartskunst derzeit eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle gilt.
Richter ist stets ambivalent: Seine Malerei einerseits "kapitalistischen Realismus" zu nennen und andererseits jede sozialkritische Intention zu leugnen: Das ist eine Provokation, wenn man bedenkt, welche Wirkung seine Bilder hatten - durch Motivwahl und Unschärfe.
Freunde, Sekretärinnen, Kriegsflugzeuge, Nazitäter hat er in den Sechzigerjahren gemalt, in den Achtzigern den umstrittenen, der Heldenverehrung verdächtigten RAF-Zyklus. Letzterer hängt derzeit in einer parallelen Richter-Retrospektive im Hamburger Bucerius Kunst Forum.
Die Sprengkraft solcher Bilder scheint heute dahin. Die Augen sind schneller, das Urteil über Fotos ist routinierter geworden. Andererseits wächst das Glaubwürdigkeitsproblem medialer Bilder mit jeder Sekunde. Dies hat die Hamburger Kunsthalle zum Anlass genommen, Richters Nachfolger in den Blick zu nehmen. Keine Kopisten natürlich, sondern solche mit "Unschärfe als Stil", wie es der Leiter der Kunsthallen Hubertus Gassner nennt.
Richters Stilmittel der Unschärfe war schon damals nicht neu: Seit den Anfängen perspektivischer Darstellung in der Antike gab es Abstufungen davon, im 19. Jahrhundert reagierten die Impressionisten mit gezielter Unschärfe auf die neue, beunruhigend scharfe Fotografie und widersetzten sich der Idee, ein Bild müsse mit der Realität abgleichbar sein.
Ohne Deutungshilfe
Trotzdem war Richters Praxis, ein Foto - frei nach Duchamp als Readymade verstanden - erst nachzumalen und dann zu verwischen und so das Alleinstellungsmerkmal "Schärfe" zu entfernen, eine kleine Revolution. Denn Verwischung bedeutet auch Auslöschung von Information und Deutungshilfe für den Betrachter.
Da war also die Abbildung eines verhafteten Nazis, zur Chimäre verschwimmend, mit nichts als einem dürren Bildtitel versehen. Mitte der Sechziger, als die Deutschen vergessen wollten, muss man so einen Ansatz als politische Haltung sehen.
Dass man auch bei der Konzeption der Schau "Unscharf. Nach Gerhard Richter" zuerst auf jene stieß, die Richters Konzept vom Handwerklichen ins Methodische überführten, sprich: abgemalte Fotos ablichteten und erneut übermalten, jede Spur verwischend, ist folgerichtig. Eine sehr effektive Methode, die Suche nach dem Auslöser - und nach dem Link zur Realität - zu verunmöglichen. Sich die Realität anzueignen und dies sofort wieder zurückzunehmen und Gegenrealitäten zu schaffen: Dies sind aktuell virulente Verschleierungs- und Propagandamethoden.
Marc Lüders, der von Fotos aus US-amerikanischen Folterzellen die Opfer löschte und dann die leeren Räume malte, hat das exemplarisch nachvollzogen. Bis zum Verwischen medialer Grenzen ist der Schritt dann klein. Lüders und Wolfgang Ellenrieder stehen, Fotos übersprühend und bemalend, in der Ausstellung dafür.
In diesem Verwischungs-Diskurs scheint stets die Frage nach künstlerischer Selbstvergewisserung auf, plastisch gemacht anhand der Konkurrenz von Foto und Malerei, von behauptetem Abbildungsanspruch und dessen Dekonstruktion.
Das lässt sich auch auf das Phänomen Zeit beziehen und sogar im Foto darstellen. Michael Wesely hat das getan, Städte und Interieurs tage-, monate-, jahrelang belichtend. Heraus kamen Fotos, auf denen das Statische scharf und das Bewegliche unscharf ist; eigentlich die Quadratur des Kreises, wird hier doch Dauer und Vergänglichkeit zugleich dokumentiert. Der Prozess wiederum verschwimmt, weil der Moment der Aufnahme nicht fassbar ist.
Abstraktes am Rand
Unschärfe als Beliebigkeit von Motiv und Zeitpunkt - ein Thema, das auch Übervater Richter interessierte, aber nicht beunruhigte. Vergebens hat man immer wieder versucht, in seine Fotoauswahl ein System hineinzudeuten. Diese Unschärfe leistet sich auch die Ausstellung: Von der Pop-Art inspirierte Banalitäten stehen neben originellen Posen und beginnender Abstraktion. Letztere bleibt dabei seltsam marginal. Nur am Rande, bei Ugo Rondinone etwa, scheint die Frage auf, ob Unschärfe zwangsläufig in die Abstraktion führt. Viele Exponate bleiben figürlich-beschreibend bis dekorativ.
Unschärfe: Ist das Subversion oder Reaktion? Ist das Verblassen, etwa von Erinnerung, nicht die Vorstufe kollektiven Verdrängens? Die Hamburger Schau vermeidet diese Frage. Sie präsentiert Variationen eines Themas, ohne zu werten. Und bleibt so ein bisschen beliebig. Unscharf eben. Oder, mit Richter gedacht: Die Leerstellen muss der Besucher selbst füllen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag