Gerechtigkeit nach 21 Jahren: Ein historisches Urteil
Ein Urteil verpflichtet den kolumbianischen Staat zur Wiedergutmachung von Gewalttaten. Damit werden auch Journalist:innen besser geschützt.
Den Ort für das nationale Mahnmal für die Opfer sexueller Gewalt hat Jineth Bedoya schon lange im Kopf. Mit dem am vergangenen Montag veröffentlichten Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnte der Traum der 47-jährigen Journalistin Realität werden. Das „La Modelo“, Bogotás berüchtigte Justizvollzugsanstalt, zum Ort der Erinnerung und zum Mahnmal für die Opfer sexueller Gewalt werden zu lassen.
Dort hängen heute und hingen auch am 25. Mai 2.000 die Überwachungskameras am Eingang der chronisch überfüllten Haftanstalt. An jenem Tag im Mai wartete Jineth Bedoya auf Einlass, um ein Interview mit Paramilitärs über die Machtkämpfe hinter Gittern zu führen, und wurde unter den Augen des Wachpersonals entführt. Der Interviewtermin entpuppte sich als Falle der Paramilitärs, denen die akribisch recherchierende Journalistin des El Espectador zu nahe gekommen war. Bedoya wurde in ein Auto gezogen, bedroht, gefoltert, vergewaltigt und nach einem zehnstündigen Martyrium freigelassen.
Ziel war es, so die Richter in ihrem 92-seitigen Urteil, die Reporterin mundtot zu machen. Sexuelle Gewalt sei gezielt eingesetzt worden, um Bedoyas unbequeme Recherchen zu unterbinden, so steht es im Urteil. „Das hat historischen Charakter“, meint die Anwältin Viviana Krsticevic, Direktorin des Zentrum für Gerechtigkeit und Internationales Recht (CEJIL). Sie vertrat Bedoya, die unendlich viele Details rund um die an ihr begangenen Verbrechen selbst recherchierte, und dokumentierte den Fall gemeinsam mit den Experten der Stiftung für die Pressefreiheit (FLIP) aus Bogotá.
Ein Urteil mit Signalcharakter
Dort liefen alle Fäden zusammen und dort fand am vergangenen Dienstag auch die Pressekonferenz statt, nachdem die Richter ihr weitreichendes Urteil einen Tag zuvor in San José vorgestellt hatten. „Das Urteil gibt uns Instrumente in die Hand, denn es verpflichtet den kolumbianischen Staat Journalist*innen besser zu schützen, Straftaten gegen sie zu ermitteln und zu sanktionieren“, so FLIP-Direktor Jonathan Bock.
Er hatte mit einem positiven Urteil, das den kolumbianischen Staat sowohl für Ermittlungsfehler als auch für die Tatsache, dass die Auftraggeber für die an Jineth Bedoya verübten Straftaten, bis heute auf freiem Fuß sind, verantwortlich macht, gerechnet. Doch das Urteil geht darüber weit hinaus, denn es wertet die jahrelange Straflosigkeit als Folter der Opfer.
Das hat Signalcharakter. Für etliche Familien, deren Angehörige ermordet wurden, weil sie über den Bürgerkrieg, über die Verbindungen zwischen Armee und Paramilitärs oder die Rekrutierung von Minderjährigen durch Guerilla und Paramilitärs berichteten. Doch die Tragweite des Urteil geht noch weit darüber hinaus, so der ehemalige Chef von Jineth Bedoya, Jorge Cardona. Für den Redaktionsleiter des El Espectador ist das Urteil sowohl ein Sieg für den Journalismus als auch für die Frauen.
Ein Tag der in die Geschicht eingeht
Eine Einschätzung, die Jineth Bedoya teilt: „Der 18. Oktober 2021 wird als der Tag in die Geschichte eingehen, an dem ein Kampf, der mit einer Straftat an einer einzelnen Person begann, dazu führte, dass die Rechte von Tausenden von Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, verteidigt wurden“, erklärte Bedoya nach der Urteilsverkündung. Sie appellierte wenig später an die Ermittler der „Sonderjustiz für den Frieden“, sexuelle Gewalt zum Fall zu machen. Nun sei die goldene Gelegenheit für die JEP (Jurisdicción especial para la Paz, so viel wie Sonderjustiz für den Frieden, Anm. d. Red.) gekommen, zu demonstrieren, dass sexuelle Gewalt in Kolumbien endlich als Verbrechen geahndet wird.
Eine Etappe auf dem Weg dahin hat Bedoya bereits genommen. Die Richter des Interamerikanischen Gerichtshofs haben den kolumbianischen Staat dazu verurteilt, ein Zentrum der Erinnerung für die Opfer sexueller Gewalt zu errichten und zu finanzieren. Ob die von Tunneln unterhöhlte und veraltete Justizanstalt „La Modelo“ dafür wirklich geräumt wird, muss sich noch zeigen. Bedoya hat deshalb Präsident Iván Duque öffentlich um ein Gespräch gebeten – bisher ohne Resonanz.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben