Geplante Mauerparkerweiterung: Bürgerpark sucht Bürger
Eine Stiftung sammelt Geld für einen Grundstückskauf, um den Mauerpark zu erweitern. Doch eine Diskussion über die Zukunft des viel genutzten Grüns verläuft schleppend - mangels Beteiligung interessierter Bürger.
Warum dieser Park größer sein sollte, ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Trotz blauen Himmels und Sonnenscheins ist der Mauerpark am Samstagnachmittag nur mäßig besucht. Ein paar Leute liegen lesend in der Sonne, unter den Bäumen am Falkplatz wuselt eine Kindergeburtstagsgesellschaft - ansonsten ist der gelblich verwelkte Rasen sich selbst überlassen. Nur die Berge an Müll zeugen davon, dass dieser Park wohl zu den am stärksten übernutzten Flecken der ganzen Stadt gehört, der die sechs Hektar Fläche, um die er wachsen soll, ganz gut gebrauchen könnte.
Auf den steinernen Stufen des Amphitheaters, wo sich sonntags tausende Freunde des Mauerpark-Karaoke zum Singen, Sehen und Gesehenwerden treffen, sitzen vereinzelte Menschen und lassen sich von Christian Rippel unterhalten. Das Vorstandsmitglied der Stiftung Weltbürgerpark ist da, um in einem offenen Plenum vier Stunden lang die Zukunft des Parks zu diskutieren. Seit Jahren soll dieser vergrößert werden. Das scheiterte bislang an Unstimmigkeiten zwischen dem Eigentümer der für die Erweiterung infrage kommenden Fläche, der Vivico Immobiliengesellschaft, und dem Bezirk Mitte. Nun haben Bürger selbst die Initiative ergriffen und die Stiftung gegründet, um Geld für den Kauf des benötigten Grundstücks zu sammeln.
"Statt die Fläche dem Park zuzuschlagen, will Vivico dort Townhouses bauen, die sich mit der freien Struktur der Umgebung beißen", sagt Rippel. Deren Bewohner wären sicher nicht einverstanden mit dem Lärm und der Musik, die ein guter Abend im Mauerpark so mit sich brächte. "Probleme sind da vorprogrammiert - oder was meint ihr?" Doch unter den Besuchern des Mauerparks Redner für die offene Diskussion zu finden ist nicht so einfach. Allein ein bärtiger Mann, der durch seinen im Tetrapak mitgebrachten Rotwein reichlich mitgenommen wirkt, fühlt sich angesprochen, immer wieder auf die Bühne zu taumeln und ins Mikro zu lallen: "Wir müssen den Mauerpark besetzen."
Der Touristenmagnet Mauerpark in Prenzlauer Berg wird zunehmend zur Geduldsprobe für die Anwohner. Nach Beschwerden über massive Lärmbelästigung musste die Polizei am Freitagabend mit einem Großaufgebot anrücken, um auf dem besonders bei jungen Leuten beliebten Treffpunkt für Ruhe zu sorgen. Gegen 57 stark alkoholisierte und teils aggressive Besucher habe es Platzverweise gegeben, teilte ein Polizeisprecher am Samstag mit. Die Anwohner hatten sich über lautes Trommeln, diverse Musikdarbietungen und Feuerwerkskörper beschwert. Ein Anti-Konflikt-Team der Polizei habe sich bei den Feiernden vergeblich um Mäßigung bemüht. (dpa)
Also kommen erst mal die Profi-Redner zu Wort. Frank Möller etwa, Aktivist bei der Bürgerinitiative Carambolagen, Stiftungsmitglied und heute mit Sonnenhut und Sammelbüchse bewaffnet. "Wir müssen Geld sammeln, denn das ist die einzige Möglichkeit, die Bebauung zu verhindern", ruft er. Ein Glück für die anwesenden Pressefotografen, dass sich sofort ein paar Leute erbarmen und Münzen in Möllers Büchse werfen - ein schöneres Fotomotiv als die leeren Reihen des Amphitheaters.
Auch Michail Nelken spricht. "Ich bin ein richtiger Politiker", stellt sich der Pankower Stadtrat für Kultur, Wirtschaft und Stadtentwicklung vor. "Aber deshalb bin ich heute nicht hier." Wie zum Beweis dafür trägt der Linken-Politiker ein Freizeit-Outfit mit T-Shirt, Sandalen mit Socken und rotem Halstuch. Dann erzählt er von der Geschichte des Mauerparks, die er als Bewohner des anliegenden Gleimviertels von Anfang an miterlebt habe.
"Nach der Wende wollten die Westberliner Stadtplaner hier eine Straße als Anschluss an die Autobahn im Norden bauen", berichtet er. Im Zuge der Olympia-Bewerbung für das Jahr 2000 sei man dann auf die Idee gekommen, zwei Sporthallen auf dem einstigen Mauerstreifen zu errichten. Nach Protesten der Anwohner habe man diesen als Ausgleich den Park versprochen. Entstanden sei aber nur eine Halle und ein halber Park.
"Nachdem die Politik es zehn Jahre nicht hinbekommen hat, diesen zu vollenden, ist es höchste Zeit, dass die Bürger die Initiative erreichen", meint Nelken. Als Pankower Bezirkspolitiker tut er sich leicht mit einer solchen Kollegenbeschimpfung, denn der seit 15 Jahren fertig gestellte Teil des Parks liegt in Pankow. Das umstrittene Erweiterungsgelände gehört zum Bezirk Mitte.
Eine 2-Mann-Band namens BI Prenzlauer Berg spielt Swingmusik. Der Freund des Weins aus dem Tetrapak versucht, etwas zu sagen. Besucher, die sich in die gewünschte Diskussion über Park, Gentrifizierung, Verdichtung und notwendige Grünflächen einmischen, finden sich kaum. "Ich liebe den Mauerpark so sehr, dass ich hier schon manche Nacht geschlafen habe", meint ein junger Mann mit nacktem Oberkörper und verwaschener Jeans. Die Veranstaltung tröpfelt vor sich hin.
Am späten Nachmittag hat sich der Park endlich gefüllt. Die ersten Grills werden aufgebaut, eine Gruppe Jugendlicher rückt mit Bierkisten und einer überdimensionalen Rumflasche im Gepäck an. Auch im Theater haben neue Gäste Platz genommen. Woher sie denn kämen, fragt Rippel eine Gruppe junger Männer. "Aus Hamburg", tönt es im Chor. "Da habt ihr sicher nicht so einen tollen Park wie wir", meint der Moderator. Antwort: "Doch. Nur viel größer und sauberer."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!