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Gepfändetes Blog NerdcoreNiemand will Geld von Euroweb

Euroweb hat ein "großzügiges Angebot" gemacht. Wikipedia und Freischreiber e.V. sollen vom Erlös der Versteigerung des Weblogs Nerdcore profitieren. Die wollen aber gar nicht.

Unterm Hammer: Die Internet-Domain Nerdcore soll versteigert werden, doch keiner will den Erlös. Bild: imago/insadco

BERLIN taz | Seit Dienstag hat sich der Internet-Dienstleister Euroweb großen Ärger im Netz eingehandelt und nun steht das Unternehmen auch noch ratlos da. Die Reaktion der Euroweb Internet GmbH, das populäre Blog Nerdcore nach kritischen Äußerungen pfänden zu lassen, empört im Internet nach wie vor viele. Darunter auch jene, denen Euroweb den Erlös aus einer möglichen Versteigerung des neu erworbenen Blogs zukommen lassen will.

Die Vorgeschichte in aller Kürze: Das Düsseldorfer Unternehmen hatte Nerdcore, abgemahnt. Als René Walter, Betreiber des Blogs, nicht reagierte, kam es zur Gerichtsverhandlung. Die verlor Walter, weil er nicht erschien. Das kleine Blog wurde gepfändet. Euroweb-Chef Christoph Preuß sagte am Dienstag gegenüber der taz, er wolle Nerdcore nächste Woche zu einem guten Zweck versteigern. Auch im Internet gab Euroweb die Versteigerung der Domain bei Ebay bekannt.

Der Erlös solle in gleichen Teilen an zwei gemeinnützige Organisationen gehen: die Online-Enzyklopädie Wikipedia und den Freischreiber e.V, einen Verband freiberuflicher Journalisten. Ein kläglicher Versuch das schlechte Gewissen zu beruhigen. Mag sein.

Nur was macht Preuß, wenn die beiden Organisationen das Geld gar nicht wollen? Am Dienstag stellte Wikipedia-Autor Felix Stember eine Felix_Stember/Ablehnung_der_Euroweb-Spende:Erklärung online, in der er alle anderen Autoren zu einer Unterschriftenaktion gegen die Annahme der Spende aufrief. Die Parteien sollen ihre Streitigkeiten unter sich klären und Wikipedia aus dem Spiel lassen. Außerdem betonte er, dass Wikipedia aus "solchen Praktiken" nicht Profit schlagen solle. Zum "Reinwaschen des guten Rufs" dürfe die Internet-Enzyklopädie nicht missbraucht werden. Mittlerweile setzten schon knapp 250 Autoren ihre digitale Unterschrift unter die Petition.

Auch der Freischreiber e.V. gab noch am selben Abend eine Erklärung ab. "Natürlich nehmen wir Geld! Aber doch nicht von jedem", hieß es auf der Startseite. Die Gründe liegen auf der Hand. Freischreiber e.V. ist ein Berufsverband, der für die Interessen freier Journalisten eintritt. Das schließt auch Journalisten ein, die ein Blog betreiben. Auch deswegen reagiert die Organisation mit Vorsicht auf das spendable Angebot. Außerdem seien die Umstände der Auseinandersetzung im Detail noch nicht bekannt, eine inhaltliche Bewertung nicht möglich.

Die Freischreiber schreiben, sie hätten "das Gefühl, dass mit dicken Kanonen auf zierliche Spatzen geschossen" werde. Davon möchte man nicht profitieren. Das "moralische Mäntelchen", das Euroweb sich mit der Spende umhängen wolle, werde so nicht akzeptiert.

Christoph Preuß zeigt sich enttäuscht über die Reaktion der Wikipedia-Autoren und des Freischreiber e.V. "Es ist äußerst schade, dass sich die Organisationen dagegen ausgesprochen haben, die Spende anzunehmen", sagte er der taz. Vor allem Freischreiber e.V. habe sich nicht genügend mit der Sache auseinandergesetzt, um solch eine Entscheidung zu treffen. Wohin also mit dem Geld? Der Erlös wird wohl an eine andere Organisation gehen. Bis jetzt konnte der Euroweb-Chef noch keine benennen.

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17 Kommentare

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  • J
    Jonas

    Schnickschnack.

    Das Geld gehört nicht Euroweb. Euroweb darf damit nur die Gerichtskosten decken, der Rest geht zurück an den Beschuldigten, also Nerdcore.

  • T
    Thomas7

    Man schaue sich nur mal die Fernsehberichte (Kopien bei youtube) über die Geschäftspraktiken von Euroweb an. Thomas7

     

    mehr Infos über Wikipedia unter

    http://homas7.bloggles.info/

  • K
    Klaus

    @Sascha:

    Herr Daniel Fratzscher, der jetzige Domaininhaber, ist Mitbegründer der Fa. Euroweb und ist oder war dort auch Geschäftsführer. Eine Versteigerung der Domain durch Euroweb sollte also m.E. relativ problemlos machbar sein.

  • M
    Markus

    Man kann Springer viel vorwerfen. Aber mit dem Vorwurf des Antisemitismus an den Springerverlag disqualifiziert man sich nur selbst.

     

    Ansonsten finde ich den Artikel arg flach. Der Leser ist nach der Lektüre nicht in der Lage sich eine eigene Meinung zu den Vorgängen zu bilden, da auch die verlinkten Artikel die Vorgänge mal wieder sehr poppig und wenig detailgetreu wiedergeben.

  • J
    jaywalk

    Euroweb mal wieder... Vielleicht fragen sie mal bei der Zensurbehörde der chinesischen Regierung an, die sind sich bestimmt nicht zu schade für das Geld...

  • JD
    John Doe

    Die von Euroweb mahnen ja schon bei der kleinsten Kritik ab. Nur so kann man deren Geschäftsmodell am Leben erhalten. Und immer schön klagen!

  • OV
    Otto von Bismarck

    Da ersucht jemand Luther um einen Ablasshandel und wundert sich, dass der ablehnt ...

  • A
    arribert

    @Rob

    Euroweb darf nur den Betrag spenden, der ihnen zusteht. Den Rest muss er an Nerdcore überweisen. Sonst könnte man sich an den Schulden anderer bereichern und das darf nur ein Herr Maschmeyer.

  • J
    jaja

    würd mich nich wundern,wenn das geld in ner stiftung in luxemburg oder schweiz landet.

  • T
    TrottoirSurfer

    Also solche Nachrichten bringen mich immer zum schmunzeln ;-)

    Liebe Taz bitte haltet uns bei dem Thema auf dem Laufenden...

  • O
    outbreak

    Die Adresse dürfte ohne Rene Walter wertlos sein.

     

    50:50? Seltsame Rechnung in diesem Zusammenhang.

  • P
    Peterchen

    Wobei sich euroweb wohl sicher ist dass der erlös aus der versteigerungen unter ihren Forderungen liegen wird, denn nur auf diesen Betrag haben sie schließlich einen Anspruch. Alles was darüber liegen würde müsste wieder zurück an Mr. Nerdcore

  • KA
    Kein Anwalt

    @Rob:

     

    laut Udo Vetter (lawblog.de) darf nur das behalten werden, was die offenen Forderungen deckt. Da der Betreiber von nerdcore.de allerdings seine Schulden beglichen haben soll, ist die Pfändung wohl substanzlos geworden.

  • S
    Sascha

    Lustig nur, dass die Domain weder der Euroweb noch Herrn Preuss gehört...

     

    Eintrag bei DENIC:

     

    Domaininhaber

    Der Domaininhaber ist der Vertragspartner der DENIC und damit der an der Domain materiell Berechtigte.

     

    Domaininhaber: Daniel Fratzscher

    Organisation: New Media Marketing & Vertriebs GmbH

    Adresse: Wallstraße 16

    PLZ: 10179

    Ort: Berlin

    Land: DE

     

    Euroweb kann diese Domain gar nicht mehr Versteigern...

  • M
    momentchen

    udo vetter berichtet in seinem lawblog:

     

    "Alles vom Erlös, das über die Schulden hinausgeht, steht normalerweise dem früheren Domain-Inhaber zu.

     

    Außerdem besteht für eine Verwertung der Domain ab dem Augenblick kein Grund mehr, in dem die Forderung und alle Vollstreckungskosten beglichen sind. Dann müsste die Domain zurückgegeben werden."

     

    da wird ein kuchen verteilt, der noch gar nicht gebacken ist. wie enttäuscht dieser widerliche preuss dann wohl sein wird, wenn er dies bemerkt?

  • D
    deviant

    Am Ende wird sich wohl nur ein Verein finden, der das Geld gern nimmt: "Ein Herz für Kinder" - und weil man dort ja niemandem Rechenschaft abgeben muss, wohin das Geld geht, wird damit eine schöne neue Kampagne für die Meinungsfreiheit (vielleicht: "Juden raus!- Weg mit der Judenpresse!") in BILD und BamS gestartet.

     

    Oder warum nicht einen noch gemeinnützigerem Zweck: In eine Image-Kampagne für euroweb, um deren Gewinne zu schützen, weil von den Steuern ja Kindergärten und Straßen gebaut werden.

  • R
    Rob

    Darf Euroweb überhaupt den gesamten Erlös spenden, oder nur den Wert für den die Domain gepfändet wurde?