Geosensitives Internet erobert den realen Raum: Das Netz liegt auf der Straße
Mit den Smartphones nimmt das Zeitalter des räumlich orientierten Internet an Fahrt auf. Der reale Raum wird vom Netz überlagert. Doch das ist nicht ohne Gefahr.
Einst hieß es, der Cyberspace löse den Raum auf. Er lasse Distanzen zusammenrücken und die physische Welt, in der man Strecken überwinden muss, um einander zu begegnen, verblassen. Doch es kam anders. Die Tendenz bis zur Selbstaufgabe in die Virtualität zu flüchten, findet ihre Grenzen in den Reizen der althergebrachten Realität. Kurz: Der Mensch geht immer noch ganz gerne auf die Straße. Deshalb kommt das Internet auf den Mensch zu und bindet den materiellen Raum ein.
Die Welt ist im Web mittlerweile recht konkret gemappt. Bilder, Videos, Audiodateien und Texte werden auf Karten organisiert, auf ihnen werden Orte mit Einkaufs- oder Freizeittipps verknüpft. Die Inhalte des Web lassen sich bereits nach geographischen Standorten und Bezugspunkten durchsuchen, Blogs beispielsweise per feedmap.net.
Auch die Orte selbst verweisen immer öfter ins Netz, zum Beispiel mittels QR-Codes, die auf Oberflächen wie Plakate, Schilder oder Hauswände angebracht werden. Diese schwarz-weißen Muster braucht man nur mit einem Handy mit entsprechender Software zu fotografieren. Und schon landet man auf einer Webseite, auf der mehr Informationen zu Thema oder Ort zu finden sind. Ein Projekt namens Semapedia ordnet beispielsweise mit aufklebbaren QR-Codes all den Gegenständen und Orten der Alltagswelt die passende Wikipedia-Seite zu. In Japan ist es alltäglich, Werbeplakate mit den Codes zu versehen, um die Nutzer mit weiteren Informationen zum Produkt zu versorgen. Aber die Möglichkeit das Web in die Welt zu holen, beschränkt sich nicht auf diese Codes. Mit Kooaba.com kann man zum Beispiel Kinoplakate abfotografieren, um sich Hintergrundinfos zum Film anzeigen zu lassen.
Neuerdings wird auch der Nutzer geomarkiert, bzw. ist er es sowieso die ganze Zeit - durch das Handy, das er in der Tasche trägt. GPS und Mobilfunkpeilung erlauben eine recht genaue Ortsbestimmung. Mit Smartphones wie dem G1 oder dem iPhone lässt sich somit die Überlagerung von „echter“ und „virtueller“ Welt noch viel weiter treiben. Die ersten Anwendungen kommen gerade in der Realität der Nutzer an.
„Geosensitiv“ ist zum Beispiel die iPhone-.Applikation „Qype-Radar“, die Nutzerbewertungen zu Adressen in der näheren Umgebung anzeigt. Auch die US-Band „Nine Inch Nails“ setzt auf den Trend Geoweb. Die Gruppe, die durch den Verkauf der „Plastikscheiben, die keiner mehr will“ (O-Ton des Bandleaders Trent Reznor im Interview mit Wired) reich und berühmt geworden ist, benutzt nun neue Medien und eine enge Fanbindung, um ihr Projekt zu promoten. Seit kurzem gibt es eine iPhone-Applikation, die einen direkten Austausch der Fans erlaubt, die einander räumlich nahe sind, zum Beispiel auf einem Konzert. Diese können sich untereinander mit Nachrichten bombardieren, und hin und wieder gibt es sogar Backstagefotos der Band direkt auf die Handys der interessierten Anwesenden. Die geschossenen Fotos werden mit Geotags bestimmten Auftritten zugeordnet, und zu dem jeweiligen Konzert werden auch immer nur die Nutzer in 100 Kilometer Umkreis persönlich eingeladen.
Das Konzept „augmented reality“ geht noch weiter. Der vorher abgegrenzte Cyberspace wird zur zusätzlichen Ebene der Realität, zumindest auf dem Bildschirm. Man kann sich damit theoretisch alle möglichen Informationen direkt in die reale Welt einblenden lassen, den Weg zur Toilette ebenso wie die mp3-Playlist der mitreisenden Bahnfahrer. Mittels Gesichtserkennungssoftware sind dann bald auch Menschen „anklickbar“, woraufhin sämtliche in Social Networks über sie erhältlichen Informationen aufgelistet werden. Wohin das führen kann, ist offensichtlich: Der Einzelne wird auf Schritt und Tritt überwachbar, kann sich dank des überall anwesenden Netzes nirgendwo mehr entziehen. Hallo schöne neue Welt.
Doch bis dahin dauert es wohl noch ein bisschen. Was bisher mit „augmented reality“ möglich ist, zeigt dieses Video von Blaire MacIntyre Privatdozent an der School of Interactive Computing des Georgia Institute of Technology.
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