Gentrifizierung: Latte Macchiato so oder so
Der Streit um das Bernhard-Nocht-Quartier steht vor der Entscheidung: Was passiert, wenn die Investoren Köhler & von Bargen bauen dürfen und was, wenn die Initiative No BNQ das Gelände kauft? Zwei Szenarien zur Stadt der Zukunft.
No BNQ
Seit zehn Jahren gehört das Bernhard-Nocht-Quartier einer Genossenschaft im bundesweiten Verbund des Mietshäuser-Syndikats. Noch nie hatte das Syndikat ein derart großes Projekt wie No BNQ mit seinen 23 Millionen Euro Investitionssumme betreut. Das Projekt, die Häusergruppe zu sanieren und als Gemeineigentum zu erhalten ist gelungen - so gut, dass es schon wieder zum Problem wird.
Alte und neue MieterInnen haben nach Abschluss der Grundsanierung die Wohnungen und Höfe liebevoll hergerichtet. Das Gebäudeensemble ist zum zivilgesellschaftlichen Zentrum St. Paulis geworden. Eine Volksküche versorgt die Punks aus dem Onkel Otto und auch die Bordsteinschwalben aus der Davidstraße lassen sich gerne vegan bekochen. In einem Büro werden Langzeitarbeitslose, Mieter und Eltern beraten und die neuesten Nachrichten aus dem Quartier ausgehängt.
Für Veranstaltungen steht ein Saal für Trommelworkshops, Familienaufstellungen und Aktionstheater zur Verfügung. Auf Stadtteilversammlungen wird regelmäßig über anstehende Projekte diskutiert. Einmal pro Woche gibt es einen Film zu sehen und auch mal ein Konzert. Auf dem Dach schnacken die Anwohner in Liegestühlen bei einem Latte Macchiato während in einem halböffentlichen Waschsalon nebenan ihre Socken und Unterhosen rotieren.
Um die Höfe gruppieren sich ein Lesesaal, Übungsräume für Musikgruppen, dazu Ateliers, Werkstätten und Läden für Künstler und Handwerker. Hinzu kommt eine Hausbrauerei mit Lehrbetrieb, die von Einheimischen wie Touristen wegen ihres guten Biers, der Fußballübertragungen und des freundlichen Ambientes geschätzt wird.
Überhaupt die Touristen: Mit seiner bunten und authentischen Mischung ist das No BNQ zusammen mit den Hafenstraßenhäusern zu einem festen Anlaufpunkt für Stadtführungen geworden - eine Art Mini-Christiania, um den Vergleich mit Kopenhagens Szeneviertel zu bemühen. Für die Künstler und Handwerker, die Kneipen- und Ladenbetreiber läuft es rund. Weniger gut finden das diejenigen, die hier nur wohnen. Auf den Quartiersversammlungen gibt es Streit darüber, ob der Zustrom eingedämmt werden darf. "Wir kommen uns vor wie die Zootiere", sagen die einen. "Wir müssen von was leben", sagen die andern. "Das ist ja wie im Schanzenviertel!", freuen sich die Touristen.
Köhler & von Bargen
Am Ende ist No BNQ doch noch am Geld gescheitert. Fünf der nötigen 23 Millionen Euro ließen sich einfach nicht auftreiben und Köhler & von Bargen ließen sich nicht erweichen. Die Investoren haben ihr Projekt durchgezogen und nach zehn Jahren erinnern sich nur noch die letzten Mieter in den Altbauten an die anfänglichen Proteste. Das heißt, sie werden erinnert: Köhler & von Bargen schicken nach Ablauf der Bindefrist pünktlich die erste Mieterhöhung. Und die Stadt ist mäßig erbaut darüber, wie sich das Bernhard-Nocht-Quartier (BNQ) entwickelt hat.
"Das ist aber schick geworden, sieht ja aus wie in Mitte", sagt der Besuch aus Berlin. Köhler & von Bargen haben gründlich saniert. Der ehemalige Kontrast zum neuen Brauereiquartier auf der anderen Seite der Davidstraße ist verschwunden - auch was die Anwohnerschaft betrifft. Die Kogge und die Washingtonbar konnten sich auf Dauer nicht dem Druck der schicken Umgebung und des solventen Publikums entziehen.
Ausgehend von dem Häuserblock wird im ganzen Stadtteil modernisiert oder ersetzt. "Deshalb sind wir nicht nach St. Pauli gezogen", sagen viele Leute, die im Brauereiquartier Eigentum bewohnen. Und die Leute vom Stadtmarketing müssen sich anhören: "Bei Euch ist alles so schön glattgebügelt; ihr seid ja gar keine richtige Großstadt."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Verzicht auf Pädagogen in Bremer Kitas
Der Gärtner und die Yogalehrerin sollen einspringen
Grüne Parteitagsbeschlüsse
Gerade noch mal abgeräumt