Gentrifizierung in den USA: Verdrängt durch die Mittelklasse
Früher lebten in der US-Hauptstadt Washington, D.C., viele Arbeiterklassenfamilien und Schwarze. Zuzügler treiben sie aus ihren Stadtteilen.
D ie Menschen beschäftigt überall auf der Erde die Frage, wo sie leben wollen. Für viele Bewohner von Washington, D. C. ist diese Frage ziemlich real: Zwar klopfen die Taliban nicht an der Tür. Niemand muss in einem Haufen Schutt leben, der einmal ein Haus war, niemand muss hier nach einer Flut oder einem Hurrikan einen halben Meter hohe Schichten von Dreck und Schlamm aus seinem Haus wegräumen, das nur durch Glück stehen geblieben ist.
Und doch ist die Frage, wo wir uns niederlassen, auch in D. C. eine fundamentale Frage angesichts einer globalen Pandemie, der Kriege, der Zerstörung der Natur und perverser wirtschaftlicher Systeme, die in ihren Ausmaßen immer heftiger geworden sind – eine fundamentale Angelegenheit besonders für die, die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, wegzuziehen. Aber für Millionen von Menschen auf dem Planeten ist es am Ende der einzige Ausweg: wegziehen.
In Washington sind die Häuserpreise in den vergangenen Jahren rasant angestiegen. In einer Gegend, die ich sehr gut kenne, konnte ein Haus vor weniger als zwanzig Jahren für weniger als 300.000 Dollar gekauft werden. Jetzt werden Häuser an der Straße für 800.000 Dollar und mehr verkauft. In dieser Gegend lebten seit 100 Jahren weiße Arbeiterklassen-Familien mit italienischen, kroatischen und irischen Wurzeln.
Dazu kam eine beträchtliche Zahl von schwarzen Menschen: Afroamerikaner aus der Provinz, um Regierungsjobs anzunehmen, dazu Migranten aus der Karibik und Lateinamerika, die teilweise vor den Ergebnissen der US-amerikanischen Interventionspolitik in ihren Ländern geflohen waren. Eine Wohngegend, die ein guter Mix von Menschen verschiedener Facetten war, wird nun immer homogener. Aktuell ziehen junge, Kinderwagen schiebende Familien zu, die müde von den Suburbs sind und in die Städte zurückkehren, aus denen ihre Eltern einst wegzogen. Jetzt beanspruchen sie hier das droit de seigneur.
ist freie Journalistin aus Washington, D. C. Sie hat mehr als 25 Jahre für das gemeinnützige National Public Radio (NPR) gearbeitet. Ihre Themenschwerpunkte waren das Weiße Haus und Sozial- und Gesundheitspolitik.
Jedes freie Stück Erde ist zu einer Hundeauslaufzone geworden; allein spielende Kinder sieht man nicht mehr; jedes Haus ist nicht mehr nur mit einem Guckloch ausgestattet, sondern mit Kameras, so, als ob sie die Ankunft des dunklen Fremden verkünden. Es gibt Websites, die den Zuzug von Schwarzen in bestimmte Gebiete verfolgen.
Der demografische Wandel, der in der Hauptstadt der USA stattfindet, hat eine historische Bedeutung in einer Stadt, die einst zwischen den zwei Sklavenhalter-Staaten Maryland und Virginia gegründet wurde. Die ersten schwarzen Ankömmlinge hatten sich zweifellos gewünscht, fort zu sein in dem Moment, als sie am Sklavenauktions-Haus in der 7th Street unten am Kapitolshügel standen oder mit weißen Familien von oft politischer Prominenz in die Stadt kamen.
Diese zwangsweisen Zuzüge bildeten die Basis für die wichtige Rolle, die schwarze Menschen in der Geschichte der Stadt spielen sollten. Im Jahr 1800 bildeten Schwarze ein Drittel der Bevölkerung von D. C. – jetzt sinkt der Anteil wieder in diese Richtung. 1970 noch waren zwei Drittel Afroamerikaner, und die Stadt bekam den Spitznamen Chocolate City. Schon damals sprachen die Leute von „The Plan“, teils im Scherz, um das aufkommende Gefühl eines Unbehagens zu lindern – das Gefühl, unerwünscht zu sein.
In dieser dunklen Erzählung gab es einen Pakt, nach dem in einem undefinierten, aber für manche erhofften Moment alle Schwarzen verschwinden oder herausgebracht würden und die Tür zur Rückkehr wie immer geschlossen sein würde. „The Plan“ ist dabei, auf eine gewisse Weise Realität zu werden.
Aus dem Englischen: Gunnar Hinck
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