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Gentrifizierung in Berlin-NeuköllnStarbucks statt Mokka

Skandalinvestor René Benko hat große Pläne für den Karstadt am Hermannplatz. An­woh­ne­r:innen fürchten steigende Mieten und Verdrängung.

Wird es am Hermannplatz bald so aussehen wie auf dem Ku'damm? Foto: Jens Gyarmaty

Von außen betrachtet sieht die Welt auf den letzten Metern der Sonnenallee, bevor die Straße in die Nordseite des Hermannplatzes mündet, noch in Ordnung aus. In einem Restposteladen findet man Hausschuhe für 3 Euro, in einem Afroshop Yam-Wurzeln, die sonst in keinem Supermarkt zu finden sind, und in arabischen Konditoreien gibt es das beste Baklava der Stadt.

Sonnenallee vor der Wahl

Berlin wählt. Schon wieder. Die vergangene Wahl war ungültig. Niemand wundert sich darüber. Berlin gilt als kaputt. Geht überhaupt was in der Stadt?

Seit dem Jahreswechsel ist die Sonnenallee im Bezirk Neukölln in aller Munde. Für die einen ist sie Ausdruck einer virilen Großstadt, andere haben Angst, wenn sie nur an den vielen arabischen Läden vorbeigehen. Wer die oft arg aufgeregte Debatte um Clans und Paschas verfolgt, muss glauben, an der Sonnenallee entscheide sich das Wohl und Wehe aller Integrationsbemühungen.

Und sonst? Die Straße hat noch mehr Berlin zu bieten. Sie beginnt am Hermannplatz, wo ein gigantisches Kaufhausprojekt geplant wird. Das Gentrifizierungsgespenst geht um. Und sie endet da, wo früher Ostberlin war. Also: Schaut auf diese Straße!

Die taz widmet deeer Sonnenallee ein Dossier zur Berlin-Wahl.

Alle Texte finden Sie hier taz.de/sonnenallee

Doch die Idylle ist bedroht: Steigende Mieten setzen schon jetzt viele Gewerbetreibenden auf der Sonnenallee unter Druck. Nun will ausgerechnet auf dem benachbarten Hermannplatz ein österreichischer Investor mit dem Umbau des Karstadt-Gebäudes ein Pres­tige­projekt realisieren. Das droht die Mieten in der Gegend noch weiter in die Höhe zu treiben.

„Es wird nur noch schlimmer“, berichtet Ahmet Yilmaz, Betreiber eines Shisha-Geschäfts, resigniert. Eigentlich heißt er anders, aber seinen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen. Seit sieben Jahren betreibe er den Laden, regelmäßig bekomme er Mieterhöhungen. Bei den benachbarten Läden sei die Situation ähnlich. „In den nächsten Jahren werden hier viele Läden Pleite machen“, vermutet Yilmaz.

Der unerbittliche Kreislauf der Gentrifizierung hat in den letzten Jahrzehnten den Charakter vieler Kieze in Berlin grundlegend verändert. Bislang konnte die Sonnenallee und der anliegende Hermannplatz dieser Dynamik widerstehen. Statt Edelcafés und hochpreisiger Modeketten bestimmen hier immer noch günstige Gastronomie und migrantisches Kleingewerbe das Straßenbild.

Auch der Hermannplatz, der zwischen zwei Hauptverkehrsstraßen nur wie eine etwas größere Verkehrsinsel wirkt, besitzt noch vieles von dem, was den Neuköllner Charme ausmacht: In einem Stimmengewirr aus Arabisch, Türkisch und Deutsch wuseln U-Bahn-Passagiere und Markt­be­su­che­r:in­nen über den Platz, kaufen zu günstigen Preisen Gözleme, Gemüse, Currywurst und China-Importwaren.

Monumental-Architektur am Hermannplatz

Genau hier will der österreichische Investor Signa mit dem Umbau des Karstadt-Gebäudes, der die gesamte Westseite des Hermannplatz einnimmt, sein Prestigeprojekt verwirklichen. Der derzeit eher schmucklose Funktionsbau aus den 50er Jahren soll radikal umgebaut und erweitert werden. Die Fassade des monumentalen, in den letzten Kriegstagen zerstörten Art-déco-Baus von 1929 soll rekonstruiert werden, mitsamt zweier bis zu 60 Meter hoher Türme.

Geg­ne­r:in­nen des Projekts fürchten, dass Signa mit dem Umbau die Spekulationsspirale in der Umgebung weiter anheizen wird: „Wir gehen davon aus, dass die Gewerbemieten auf jeden Fall steigen werden“, sagt Susanna Kahlefeld. Die grüne Politikerin sitzt mit einem Direktmandat für den Kiez im Abgeordnetenhaus.

Über 500 Millionen Euro will Signa investieren und damit dem Hermannplatz ein „identitätsstiftendes Wahrzeichen“ spendieren, wie es in den Präsentationen des Konzerns heißt. Ein Projekt dieser Größenordnung hat Auswirkungen auf die gesamte Umgebung. Steht auf dem Platz, der bisher in den überregionalen Medien vor allem als kriminalitätsgeplagte No-go-Area dargestellt wird, nun ein architektonisches Juwel, steigert das automatisch den Wert der umliegenden Immobilien.

Doch Mietsteigerungen sind nicht die einzige Gefahr, die das Projekt mit sich bringt. Nach dem Umbau soll die Karstadtfi­lia­le deutlich verkleinert werden. Dafür sollen fast 50.000 Quadratmeter Bürofläche entstehen. Bei vergleichbaren Großprojekten in Berlin, wie beim Zalando-Campus oder beim Amazon-Tower, ziehen voraussichtlich zahlungskräftige Unternehmen ein. Die gutverdienende, oft internationale Belegschaft hat andere Bedürfnisse als die lokale Bevölkerung.

„Die Leute, die da reinkommen, sind eine komplett neue Klientel“, sagt die Architektin Niloufar Tajeri, die sich seit Jahren in der „Initiative Hermannplatz“ gegen den Karstadt-Umbau engagiert. „Signa ist interessiert daran, dass sich die Läden in der Umgebung verändern.“ Also Zara statt Brautmode und Starbucks statt Mokka. Umstritten ist auch, welche Identität Signa mit dem Projekt stiften will. „Es ist eine Art von Geschichtsrevisionismus, bei dem getan wird, als wäre es wieder 1929“, kritisiert Tajeri. Der Stil des Nachkriegsbau sei bewusst zurückhaltend, um sich vom vergangenen Monumentalismus abzugrenzen.

Korrupter Investor mit rechten Tendenzen

Der österreichische Milliardär René Benko, der hinter Signa steht, ist politisch kein unbeschriebenes Blatt. Immer wieder wird gegen ihn in Korruptionsfällen ermittelt. Im Oktober 2022 gab es eine Hausdurchsuchung, weil er versucht haben soll, einen Finanzbeamten zu bestechen. Auch besteht der Verdacht, Benko habe der rechtsextremen FPÖ illegale Parteispenden zukommen lassen.

Doch der Karstadt-Umbau am Hermannplatz wäre keine typische Berliner Verdrängungsstory, wenn nicht die Politik trotz aller Warnungen zweifelhaften In­ves­to­r:in­nen den roten Teppich ausrollen würde. Besonders die in Neukölln regierende SPD zeigt sich begeistert von dem Projekt.

Nachdem Signa seine Pläne Anfang 2019 vorstellte, bezeichnete SPD-Bezirksbürgermeister Martin Hikel den Umbau als eine „Chance für den Bezirk“. Der für die Planung verantwortliche Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg teilte allerdings die Bedenken und legte zunächst ein Veto ein. Eigentlich wäre das Projekt damit gescheitert, doch Signa schaffte es durch geschicktes Taktieren das Baurecht in greifbare Nähe zu rücken.

Als 2020 der Kaufhauskonzern Galeria-Karstadt-Kaufhof, dessen Eigentümer ebenfalls Sig­na ist, das erste Mal Insolvenz anmeldete, handelte das Unternehmen mit dem damaligen Senat einen Deal aus: Mehrjährige Bestandsgarantien für vier Berliner Galeria-Filialen, dafür Baurecht für den Umbau am Hermannplatz und zwei weitere umstrittene Großprojekte.

Infolgedessen zog der Senat die Planung an sich und treibt seitdem das Projekt engagiert voran. Obwohl es nicht Teil des Deals war, versprach Bausenator Andreas Geisel (SPD) sogar, den Bebauungsplan innerhalb von 100 Tagen aufzustellen. Was – ansonsten eher untypisch für Berlin – auch passierte. Trotz eines weiteren Insolvenzverfahrens, erheblicher Bedenken wegen des Denkmalsschutzes und der Statik der darunterliegenden U-Bahn-Tunnel rechnet Signa selbstbewusst mit einem Baubeginn noch in diesem Jahr.

Auch Shishaladen-Betreiber Yilmaz hat wenig Zweifel, dass sich der Immobilienkonzern am Ende durchsetzen kann: „Wenn die Leute genügend Geld haben, können sie sich alles erlauben.“

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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Es ist ökonomisch gesehen kontrafaktisch, dass Bauen die Preise nach oben treibt, eher ist das Gegenteil der Fall. Es wird mehr Gewerbefläche und Wohnraum zur Verfügung stehen.

    • @Ansgar Reb:

      Wie kommst du darauf dass da mehr Wohnraum entsteht, das ist nicht geplant. Und teure Büros treiben in der Tat die Mieten in der Umgebung nach oben, das würde in der Vergangenheit schon oft festgestellt.

      • @WasistnurlosindiesemLand:

        Grundsätzlich senkt ein erhöhtes mengenmässiges Angebot den Preis und erhöht eine erhöhte Nachfrage den Preis.

        Am besten wäre es also Luxusimmobilien zu bauen, weil dann mittelständische Wohnungen sonstwo nicht mehr in Luxusimmobilien umgewandelt werden.

        Es ist vorgesehen am Hermannplatz mehr Gewerbeflächen und Appartments auf dem bestehenden Gelände zu realisieren. Dagegen ist doch nichts einzuwenden, es gibt einfach mengenmässig mehr Quadratmeter, Gewerbefläche und Wohnraum. Also werden auch die Preise in der Umgebung langsamer steigen.

  • Benko hat laut dem aktuellen Spiegel fast keine seiner Versprechungen gegenüber Karstadt gehalten. Benko geht es nicht um das Geschäft von Karstadt, sondern nur um die Immobilien, deren Wert er durch Umbau steigern will.



    Die SPD in Neukölln ist blind gegenüber dem nach dem Umbau einsetzenden Gentrifizierungsprozess, der zu Spekulation und massenhafter Vertreibung der Bevölkerung, Gewerbetreibenden im ganzen Stadtviertel führen wird.

    Die Senatsverwaltung informierte Bürger nicht über das „partizipative Online-Verfahren zur Grundlagenermittlung für das Masterplanverfahren Hermannplatz“. Das übernahm die Presse. Derartige Bürgerbeteiligungen bei Berliner Großbauprojekten sind reine Placebos für die Öffentlichkeit. Wichtige Entscheidungen werden hier oftmals zwischen Politik, Investoren und Bauverwaltung in Hinterzimmern besprochen, nachdem die entsprechenden politischen Kontakte "gepflegt" wurden.



    Zurzeit hat Benko die Nase wieder oben, da er in Österreich gerade wegen möglicher Korruption freigesprochen wurde. Der Staat in Österreich geht in Revision, während der Staat in Hamburg und Berlin unverdrossen Megadeals mit Benko und seinen Firmen macht.

    berlinerinnen-gege...rlin-hermannplatz/

  • Gentrifizierung ist der Begriff dafür, dass Berlin wirtschaftlich boomt. Der Senat schafft beste Vorraussetzungen für die Wirtschaft mit entsprechenden Gewerbegebieten, garantiert aber nicht gleichzeitig die nötigen Wohnungen und Wohngebiete für all die Neu-Berliner in best-bezahlten neuen Arbeitsplätzen.

    Das kann nicht funktionieren! Gut bezahlte Angestellte verdrängen schlecht bezahlte Angestellte aus ihren Wohnungen.

    "Doch konnte sich die Berliner Wirtschaft 2021 von den Folgen der Pandemie erholen. Sank das Bruttoinlandsprodukt 2020 noch auf -3,3% (Deutschland -4,9%), verzeichnet Berlin 2021 einen BIP-Wachstum von 3,3% und liegt damit wieder über dem deutschen Durchschnitt von +2,9%. Auch die Zahl der Erwerbstätigen erhöhte sich im Vorjahresvergleich um 1,1%, während 2020 ein Minus von 0,3 % verzeichnet wurde." ( www.berlin.de/wirt...liche-entwicklung/ )