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Genialer Schachzug

Russlands Präsident Putin hat es plötzlich mit einer Union mit Weißrussland ganz eilig, jedoch nur zu seinen Bedingungen. Minsk reagiert entrüstet

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Es war ein Thema für Sonntagsreden und feuchtfröhliche Toaste: Die russisch-weißrussische Union, die der ehemalige Kremlchef Boris Jelzin und Minsks wirrer Pantokrator Alexander Lukaschenko 1996 aus der Taufe hoben. Das Projekt eines Unionsvertrages hatte aus russischer Sicht von Anfang an eher utopisch-propagandistischen Charakter, das Jelzin-Gegner damals ruhig stimmen sollte.

In Minsk sah es anders aus. Für den Chef des letzten sozialistischen Freilichtmuseums in Europa war die Fusion mit dem wirtschaftlich gesünderen Nachbarn das einzige Thema, mit dem er in ländlichen Gebieten Zustimmung einholen konnte. Sechs Jahre tat sich Alexander Lukaschenko als Vordenker, Initiator und Antreiber hervor, der den integrationsskeptischen Russen ins Gewissen redete.

Diese Woche nahm ihm Kremlherr Wladimir Putin die Initiative aus der Hand. Putin wurde erstmals sehr konkret und schlug zwei Alternativen vor. „Ein einheitliches Staatswesen im vollen Wortsinne“ oder einen „Staat in Anlehnung an die Europäische Union“ mit einem Unionsparlament. Bis Mai nächsten Jahres sollten beide Länder in einem Referendum entscheiden, ob sie den neuen Staat befürworten. Im Dezember könnten Parlaments- und im Frühjahr 2004 Präsidentschaftswahlen folgen. Stimmten die Weißrussen zu, stünde der Gründung eines neuen Staates auf Grundlage der russischen Verfassung nichts mehr im Wege.

Zur Frage, warum ausgerechnet Russlands Verfassung Blaupause sein sollte, meinte Putin: Zwar sei die weißrussische Konstitution die eines demokratischen Staates, die anderen als Beispiel dienen könne, „Weißrussland ist aber ein Zentral- und nicht wie Russland ein föderaler Staat“. Zugleich schlug Moskau vor, die Einführung des Rubels als Einheitswährung in Weißrussland auf 2004 vorzuziehen.

Das war denn doch zu viel des Konkreten. Lukaschenko wies noch auf der Gangway einen Schulterschluss mit dem großen slawischen Bruder zu dessen Konditionen zurück: Wie würden die Weißrussen auf eine Referendumsfrage reagieren, die die sieben Regionen Belarus’ auf eine rechtliche Ebene mit allen anderen 89 Subjekten der Föderation stelle, fragte er. „Absolute Ablehnung, absolutes Nein“, fauchte der Staatschef, während die geknebelte Opposition erstmals anerkennende Worte fand. Eine EU-Lösung sei nur denkbar, so Lukaschenko, wenn beide gleichberechtigte Partner blieben.

Wie ernst die Offerte des Kreml gemeint ist, bleibt abzuwarten. Ein genialer Schachzug war sie allemal. Noch im Juni hatte Moskau Minsker Vorschläge mit dem Hinweis abgelehnt: „Der Versuch, die Sowjetunion auf Kosten russischer Wirtschaftsinteressen wieder zu errichten, würde Russland nur schwächen …“

Daran dürfte sich nichts geändert haben. Moskaus Kapital schaut schon lange begehrlich auf die nicht privatisierten Großbetriebe des Nachbarn. Bisher hat Lukaschenko die Russen ausgesperrt. Und das, obwohl Minsk beim Nachbarn allein für Gaslieferungen mit zweieinhalb Milliarden Dollar in der Kreide steht.

Putin hat bei dem Manöver nichts zu verlieren. Zunächst versetzt er dem Nörgler aus Minsk einen Dämpfer. Als Thema im Präsidentschaftswahlkampf wäre die „Union“ lohnend. Putin würde in der Tradition der Zaren diesmal zwar keine „russische Erde sammeln“, aber heimholen. Gelingt das Konstrukt, würde eine neue Verfassung auch die Möglichkeit eröffnen, ein drittes und viertes Mal in den Kreml gewählt zu werden. Ganz zu schweigen von der Chance, die unter Putin vollzogene Gleichschaltung der Regionen und ihrer Verfassungsorgane konstitutionell festzuschreiben.

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