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Genetiker über die PID-Debatte"Eine sehr deutsche Furcht"

Das designte Wunschbaby wird es auch in Zukunft nicht geben, aber die Kriterien für die Diagnostik werden sich verändern, glaubt zumindest der niederländische Genetiker Joep Geraedts.

"Alle genetischen Krankheiten, die man während der Schwangerschaft entdecken kann, kann man theoretisch auch bereits nach der Befruchtung entdecken." Bild: dpa
Heike Haarhoff
Interview von Heike Haarhoff

taz: Herr Geraedts, ist Deutschland jetzt auf europäischem Niveau angekommen?

Joep Geraedts: Ich bin froh, dass die Deutschen sich entwickelt haben. Sie sind noch nicht da angekommen, wo andere europäische Länder im Bereich der Reproduktionsmedizin längst sind. Aber sie haben begriffen, dass es nicht sein kann, dass man einerseits erlaubt, während der Schwangerschaft mehr oder weniger alle - selektierenden - Untersuchungen am Kind im Mutterleib zu erlauben, aber andererseits in der ersten Woche nach der Befruchtung jede Diagnostik am Embryo verbietet.

Viele fürchten, auch vor dem Hintergrund der NS-Diktatur, die PID sei nur der Anfang weiterer Selektion.

Bild: privat
Im Interview: 

JOEP GERAEDTS, 63, ist Professor für Humangenetik und Zellbiologie an der Universität Maastricht. Joep Geraedts gründete im Jahr 2002 das Zentrum für Präimplantationsdiagnostik in den Niederlanden. Es ist dort bislang das einzige Institut zu diesem umstrittenen Diagnoseverfahren.

Das ist eine sehr deutsche Furcht. Sie spielen auf die Frage nach dem Wunschbaby an. Das wird auch in Zukunft sehr schwierig sein. Aber natürlich muss man damit rechnen, dass sich die Kriterien für die Diagnostik verändern. Das ist Teil der Demokratie.

Ein Beispiel?

In den Niederlanden hatten wir 2008 eine Debatte, ob wir mit der PID auch genetisch bedingte Krebserkrankungen wie Brustkrebs diagnostizieren dürfen. 85 Prozent der Bevölkerung haben sich dafür ausgesprochen. Seither machen wir das, wenn die Paare es wünschen.

Was ließe sich noch diagnostizieren, vorausgesetzt, es wäre erlaubt?

Alle genetischen Krankheiten, die man während der Schwangerschaft entdecken kann, kann man theoretisch auch bereits nach der Befruchtung entdecken. Derzeit allerdings ist unser Problem: Wir haben nur eine Zelle, also sehr wenig Material, und nur sehr wenig Zeit, maximal einige Tage. Wenn wir künftig die Eizellen und die Embryonen einfrieren könnten, gewönnen wir Zeit. Daneben wird versucht, das DNA-Material später zu untersuchen - und dann von mehreren Zellen.

Geht es darum, die Diagnostik zu verbessern? Oder um ganz neue Erkenntnisse?

Bei der präimplantationsgenetischen Diagnostik geht es um den Ausschluss schwerer Gen- und Chromosomendefekte, die die Eltern nicht vererben möchten. Darüber hinaus gibt es das präimplantationsgenetische Screening. Hier untersuchen wir, ob alle Chromosomen zweifach anwesend, also normal sind, unabhängig von dem fraglichen Gendefekt. Die große Frage, die Wissenschaftler weltweit derzeit umtreibt, ist: Kann man die Diagnostik und das Screening zusammen machen?

Was wäre denn der Nutzen einer solchen kombinierten Untersuchung?

Grundsätzlich hat jede Frau Eizellen mit der normalen Gesamtzahl von 46 Chromosomen, aber auch solche mit einer abnormalen Gesamtzahl. Dies wiederum führt dazu, dass eine Schwangerschaft erst gar nicht entsteht. Oder dass es in einer sehr frühen Phase zu einem spontanen Abort kommt. Über das Screening könnten wir Eizellen mit abnormalen Chromosomen bei einer künstlichen Befruchtung erst gar nicht verwenden. Dadurch könnten wir die Schwangerschaftsraten bei künstlicher Befruchtung - derzeit liegen sie bei 15 bis 25 Prozent - verbessern. Und zugleich würden wir mit der PID Gendefekte ausschließen.

Was passiert denn mit den Embryonen, die Sie nicht einpflanzen?

Wir bitten die Paare in den Niederlanden um Zustimmung, ob wir diese Embryonen weiter untersuchen dürfen. Wir schauen, ob die eine Zelle, die wir bereits untersucht haben, repräsentativ ist für den restlichen Embryo. Darüber hinaus könnten wir diesen Embryo ein paar Tage weiter wachsen lassen und sodann embryonale Stammzellen gewinnen. Anhand derer könnten wir sonstige Krankheiten untersuchen. Technisch wäre das möglich.

Aber nicht erlaubt.

Wir würden wirklich ethische Probleme kriegen, wenn wir mehr Erbkrankheiten untersuchen würden als diejenigen, die in der Familie bekannt sind. Zumindest wenn es keine Therapie gibt. Stellen Sie sich vor, ich würde feststellen, dass Ihr Embryo zwar nicht den fraglichen Gendefekt hat, aber eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass er als Erwachsener die erbliche Form der Alzheimer-Krankheit entwickelt. Im Umkehrschluss hieße das: Sie oder Ihr Partner kriegen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Alzheimer. Und man kann nichts dagegen machen. So etwas darf man nicht untersuchen.

Wenn ich entgegnete, dass es in meiner Familie seit Generationen Alzheimer bereits ab dem 40. Lebensjahr gibt, könnte dann nicht die Ethikkommission den Test erlauben?

Möglicherweise ja. Die Ethikkommission darf das nicht pauschal beantworten. Was eine ernsthafte Krankheit ist, hängt immer auch vom Empfinden der Betroffenen ab.

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6 Kommentare

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  • S
    Stefan

    @Wolfgang Banse:

    In welcher Realität leben Sie? Gerade die "gehandicapten Menschen" die ich kenne, sind froh darüber.

    Endlich können Sie eine Familie planen und ihrem Kind einen möglichst guten Start ins Leben geben.

    Wer will ernsthaft, besonders wenn er die Auswirkungen seiner Krankheit kennt, diese seinem Kind mit auf den Weg geben?

    Außerdem ist die Durchführung der PID eine persönliche Angelegenheit! Der Staat sollte erwachsenen Menschen bei solch privaten Themen nicht alles vorschreiben.

    Designer-Babies sind mit PID übrigens nicht möglich. Informieren Sie sich zukünftig bitte anahnd unabhängiger Quellen, dann schreiben Sie auch nicht so einen Unsinn.

  • UK
    Uwe Korpat

    Menschen mit Behinderungen sind integrierter als je zuvor. Sie erreichen nicht selten Regelbildungsabschlüsse.Wer menschen mit down-syndrom kennt, weiß um ihre überwiegende Herzlichkeit und Emotionalität. Mit dem Vorwand ,den Eltern eine Erleichterung zu verschaffen, will man sich hier auch eines Kostenfaktors entledigen, anstatt Eltern noch mehr zu unterstützen.

    Wir sollten uns fragen, wie wir Eltern mit behinderten Kindern begegnen, dass sie sich nicht als genet. Abfall fühlen, denn es soll in Zukunft nach dem Willen der Eltern samt ihrer durch Verletzung entstandener Eitelkeiten entschieden werden.Besteht nicht damit auch die Gefahr, dass ein Elternteil mit dem schlechten Erbgut als "genet. unrein" abgestempelt und gemieden wird. Der Grad der Tolerierung der Schwäche zeigt den Zustand der Gesellschaft. Viele Menschen mit angeborener Behinderung hatten bis zu diesem Gesetz das Glück der frühen Geburt.Die aktuelle Entwicklung trägt faschistoide

    Züge. Die Deutschen sollten begreifen, das Niederlande nicht das Land der modernen Verheisung ist, sondern auch der schnellen Lösungen der überhitzten Leistungsgesellschaft ausgesetzt ist.Ich denke dabei an die Vorreiterschaft der Leiharbeiterausbeutung. Die jüngste Entwicklung der polit.Verhältnisse steht auch nicht mehr für Liberalität,eher für Ausgrenzung. Wenn jemand das" german Angst " verwendet, dann frage ich mich, was mehr Mut bedeutet, ein Down-syndrom-Kind das Leben zu ermöglichen oder es zu vermeiden. Wer hat hier Angst und will die Entscheidung den Eltern allein überlassen.Konservativ bedeutet in dem Fall nicht, sich gegen das Gesetz auszusprechen,sondern die ökon. Variante gewählt zu haben.

    Wir in Deutschland sollten auf die Fähigkeit der tiefen,kontroversen Betrachtungen stolz sein. Das gab uns die Geschichte auf. Dieses Gesetz steht gerade nicht dafür.

  • WB
    Wolfgang Banse

    Schallende Ohrfeige für alle gehandicapten Menschen

    Im Deutschen Bundestag hat ein großer Teil der Abgeordneten für die Freigabe der PID gestimmt.Damit wurde indirekt zugelassen,Wunschkinder in Form von Designern zu basteln.

    Selektion hat seinen Einzug erhalten.

    zu kritisieren ist die Haltung des derzeit amtierenden EKD Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider,der sich für die Freigabe der PID imganz begrenzten Umfang aussprach.Die Haltung der deutschen Bischofskonfrenz und der SELK(Selbstständig Evangelisch-lutherische Kirche) die ein eindeutiges NEIN zur Freigabe der PID plädierte.

    die mehrheitlich getroffene Entscheidung was die Freigabe der PID betrifft,ist als schallende Ohrfeige tzu verstehen,im Bezug auf gehandicapte Menschen.

  • VD
    Vulva@Praktische Dose

    Mit den Muschi Muschi Früchtchen aus der Trikotauschkolumne wäre das sicherlich so nicht nicht passiert.

     

    Endlich bricht eine neue Generation von Taz lesern durch die verkrustetn alten Strukturen durch und verändert die genetische Landschaft hier auf der Tazen Seite.

     

    Liebe Grüße auch noch an sie Frau Ines Pol:)

  • E
    erwachsener

    wie wäre es, wenn man mich einfach als erwachsenen behandeln würde? ich kann nämlich selber entscheiden, was ich vertretbar finde und was nicht. so lange ärzte nach bestem wissen und gewissen informieren müssen und sicher gestellt wird, dass sie nicht durch z.b. pharmafirmen manipuliert werden, wüsste ich nicht, wieso so ein bundestagsabgeordneter oder ein nach welchen kriterien auch immer in einer ethikkommission gelandeter solche entscheidungen besser treffen können sollte als ich.

  • L
    Limette

    Na,wenn das Bischof Zollitsch liest...dabei war er extra bei Herrn Voßkuhle(oberster B-Verfassungsrichter)zum führen von Fachgesprächen..auch sonst hat er nichts unversucht gelassen, dieses Teufelszeug zu bekämpfen..die Ärtzezeitung erlaubte ihm auf 3 Seiten die deutschen Ärzte einzuschwören....