Generationswechsel im Radsport: Feiern zur Jugendweihe
Es sind vor allem junge Radprofis, die die großen Rundfahrten beherrschen. Der Trend setzt sich auch jetzt beim Giro d’Italia fort.

Almeida und Vanhoucke sind nur die neuesten Exponenten der Jugendwelle im Radsport. Vor ihnen hatten bereits Tadej Pogacar, 21 Jahre jung, und Egan Bernal, 22, die letzten beiden Tours de France gewonnen. Giro-Kapitän von Deceuninck Quick Step sollte eigentlich der 20-jährige Remco Evenepoel sein. Das belgische Top-Talent stürzte aber bei der Lombardei-Rundfahrt. „Mit ihm wären wir hier sicher noch stärker.
Aber auch so läuft es schon gut“, sagte Davide Bramati, sportlicher Leiter des Rennstalls, der taz. Als Kapitänsersatz für Evenepoel sprang Giro-Debütant Almeida perfekt ins Grand-Tour-Wasser. Der Bursche ist frech, nervenstark und hat auch die passenden Beine, seine Pläne umzusetzen. „Ja, wir müssen ihn als Rivalen ernst nehmen“, sagte Paoo Slongo, Trainer vom großen Favoriten Vincenzo Nibali. Dass die Jugend jetzt auf dem Vormarsch ist, hat vor allem mit einer Aufrüstung des Nachwuchssektors zu tun. „Die jungen Fahrer haben alle schon Coaches und Ernährungsberater. Sportwissenschaftliche Erkenntnisse werden in den Nachwuchsteams angewandt. Und die Jungs kommen bereits mit der Mentalität von Profis bei uns an“, konstatierte Bramati.
Slongo stimmt zu. „Früher kam einer wie Vincenzo Nibali noch, wie wir in Italien sagen, als einer, der Brot und Salami isst, zu uns, also eher als Amateur. Er wurde dann im Profiteam aufgebaut, sollte erst lernen und hatte mit Mitte 20 die erste Grand Tour. Jetzt geht alles viel schneller, weil die jungen Fahrer in ihrer Entwicklung viel weiter sind.“ Sie knüpfen nahtlos an ihre U23-Performances an.
Jung gegen die Uhr
Das Auftaktzeitfahren in Palermo gewann der 24-jährige Filippo Ganna, der frisch gekrönte Zeitfahrweltmeister bei den Erwachsenen. Zweiter wurde Almeida, 22, Dritter Mikkel Berg, 21, Fünfter Tobias Voss, 23. Nur Ex-Toursieger Geraint Thomas konnte sich als Vierter dazwischenschieben. Der 34-jährige Waliser allerdings spielt im Abwehrkampf der Alten gegen die Jungen zumindest bei diesem Giro keine Rolle mehr. Er stürzte über eine Trinkflasche und brach sich das Becken.
Der neue Giro-Stern Almeida und auch der Däne Berg kommen vom US-Team Axeon Hagens Berman. Das Team, angeführt vom Eddy-Merckx-Sohn Axel, ist eine Talentefabrik. Gesponsert wird sie von einer Anwaltsfirma, die unter anderem die Dieselklage gegen Daimler durchdrückte. Kanzleigründer Steve Berman eröffnete als Staatsanwalt auch Dopingverfahren. Das lässt hoffen, denn ursprünglich wurde das Team als Nachwuchsabteilung des nicht so toll beleumundeten Armstrong-Rennstalls Radioshack gegründet.
Entgegen kommt den Jungen aber auch ein Mentalitätswechsel im Radsport. „Früher mussten die jungen Profis erst lernen. Man hat ihnen kleinere Aufgaben gegeben, sie wachsen lassen. Vielleicht haben wir das damals falsch gemacht“, sagte nachdenklich Astanas sportlicher Leiter Giuseppe Martinelli der taz.
Früh in der Verantwortung
Die Teams heute setzen die Talente früh als Führungskräfte ein. Das beschleunigt den Generationenwechsel. Ein weiterer Faktor ist der dicht gedrängte Terminkalender in der Pandemiesaison. „Viele Teams hatten Probleme, den siebten und achten Mann für das Giro-Aufgebot zu bestimmen, weil die Tour erst vor Kurzem beendet wurde und auch die Terminüberlappung mit der Vuelta da ist“, erklärte Martinelli.
Die große Frage ist auch, wie nachhaltig dieser Jugendtrend ist. „Es kann sein, dass diese jungen Fahrer zu schnell wachsen und nicht die nötige Substanz aufbauen“, warnt Slongo. Und Martinelli, einst sportlicher Leiter von Marco Pantani, mutmaßt: „Vielleicht werden wir in zwei, drei Jahren merken, dass wir sie zu schnell ausgepresst haben.“ Altmeister Vincenzo Nibali ist sich jedenfalls über eines sicher: „Ich glaube nicht, dass diese jungen Rennfahrer so lange Karrieren wie ich haben werden und mit 35, 36 Jahren noch top sind.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Gerichtsentscheidung zu Birkenstock
Streit um die Sandale