Generationsfrage Alkoholkonsum: Auf dem Weg zum Olymp
Nicht die Jugend, nein, die Generation der Babyboomer ist es, die sich einer „Guardian“-Recherche zufolge zunehmend hemmungslos die Kante gibt.
Der alte Herr ließ schon mittags Wein kredenzen, seine Haushaltsbücher sprechen von zwei Litern, die er als täglichen persönlichen Grundbedarf kalkulierte. Andächtig sich nähernde Besucher kamen nicht umhin, eine bedenkliche Vernachlässigung der Leibwäsche des sonst durchaus eindrucksvollen Mannes zu konstatieren. Manche sahen den weltberühmten Dichter sogar, wenn nicht verwahrlost, so doch stark vereinsamt in seinem stattlichen Anwesen dahinvegetieren. Andererseits: Mit wem hätte der greise Goethe sich schon auf Augenhöhe unterhalten sollen, wenn nicht mit einer Flasche Rheinwein?
Wer noch glaubte, der Missbrauch von Alkohol sei ein Problem der jungen Generation, sieht sich nun durch eine Guardian-Recherche widerlegt. Die Suchtsituation bei den sogenannten Babyboomern sei allgemein sehr ernst, zitiert die Zeitung diverse Experten. Die Menschen in der zweiten Lebenshälfte kämen schlecht zurecht mit dem Ruhestand, litten unter Traurigkeit und seien vor allem einsam.
Dass unter solchen Umständen Rotwein für alte Knaben nicht zu den besten Gaben gehört, sieht man in London auch wissenschaftlich belegt. Bis 2020 werde sich die Zahl der über 50-Jährigen, die wegen der durch ihren Drogenkonsum bedingten Gesundheitsprobleme medizinischer Behandlung bedürften in Europa verdoppeln und in den USA sogar verdreifachen.
Bereits im Zeitraum 2015/2016 sei mehr als eine halbe Million Erwachsener zwischen 55 und 74 Jahren in englischen Krankenhäusern wegen Verletzungen und Krankheiten in Zusammenhang mit ihrem Alkoholkonsum behandelt worden – mehr als aus jeder anderen Altersgruppe. Und in Australien würden die Ü50-People viel öfter zu Cannabis greifen als ihre jüngeren Landsleute, die sogenannten Millennials.
Dass der Drogenmissbrauch im Alter verantwortlich sei für die Zunahme von Herz- und Krebserkrankungen sowie von Demenz rundet das Bouquet der Guardian-Berichterstattung fein ab; wobei man doch mit einer gewissen Überraschung liest, dass die Babyboomer mehr tränken als ihre Eltern – seien sie doch die erste Generation von „Zu-Hause-Trinkern“, die eher billigen Supermarktstoff konsumierten als regelmäßig aus der kleinen Kneipe am Ende der Straße nach Hause zu wanken, um Frau und Kinder zu verprügeln.
Goethe, West-östlicher Divan
Diesen polemischen Schwenk als trotzige Abwehrreaktion eines Ertappten zu interpretieren, werden psychologisch geschulte LeserInnen nun kein Problem haben – soweit sie ihr Gehirn nicht ebenfalls schon in Alkohol eingelegt haben: Der Guardian beschreibt schließlich recht genau die werte Klientel der Print-taz und der taz-Genossenschaft, mit einem Altersdurchschnitt jenseits der 50 (die langweiligen Millennials lesen die taz im Internet, wodurch sie eigentlich mehr Geld für Drogen übrig hätten, aber wir wollen nicht ablenken).
Der Autor selbst, der im Jahr 2020 mit 52 Jahren die Reihen der Alterssuffkis aufstocken wird, erinnert sich noch gut an seinen letzten Hausarztbesuch, bei dem ihm, schon in der Tür stehend, noch angenehm moralfrei nachgerufen wurde: „Sie trinken gern mal einen – das sieht man an ihrem Blutbild.“ Darauf fiel mir nichts ein als ein bedröppeltes „Ja“, was wohl schon auf beginnende Demenz hinweist.
Wenn einen die nassen Tatsachen verstummen lassen, tut man gut daran, zu einem zurückzukehren, dem ein Gott – möglicherweise der des Weines – zu sagen gab, wie er litt. Als der Olympier einmal vergeblich auf Geburtstagsgratulanten wartete und sich dabei zunehmend ärgerlich mit Rotwein bezwitscherte, konnte erst sein herbeigerufener Diener samt Kalender die Datumsverwechslung auflösen: Der vermeintliche 28. August entpuppte sich als erst der 27. August. Daraufhin Goethe: „Donnerwetter, da habe ich mich ja umsonst besoffen!“
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