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Generalstreik auf griechischen InselnProtest gegen überfüllte Lager

Behörden und Geschäfte auf Lesbos, Chios und Samos haben am Mittwoch die Arbeit niedergelegt, um sich gegen überfüllte Flüchtlingslager zu wehren.

„Wir wollen unsere Inseln zurück, wir wollen unser Leben zurück“, lautete der Slogan des Protests Foto: Elias Marcou/reuters

Lesbos dpa/afp | Aus Protest gegen die restlos überfüllten Migrantenlager sind am Mittwoch alle Regional- und Kommunalbehörden sowie die meisten Geschäfte auf den griechischen Inseln Lesbos, Chios und Samos geschlossen worden. Die Bürgermeister und Verbände fast aller Berufe dieser Eilande fordern mit diesem Streik die sofortige Entlastung der Inseln. Die Regierung in Athen solle dafür sorgen, dass die Migranten, die aus der Türkei täglich übersetzen, nach ihrer Registrierung auf den Inseln zum Festland gebracht werden, erklärten Regionalpolitiker und Händlerverbände.

Tausende Menschen auf Lesbos, Samos und Chios gingen zu Kundgebungen auf die Straße. „Wir wollen unsere Inseln zurück, wir wollen unser Leben zurück“, lautete der Slogan des Protests. Der Protest richtete sich auch gegen die Art und Weise, wie die Europäische Union mit dem Problem umgeht – viele Menschen auf den Inseln sehen sich alleingelassen.

In und um die Registrierlager auf den Inseln der Ostägäis harren knapp 42.000 Menschen aus. Täglich setzen neue Flüchtlinge aus der Türkei über. Noch im April 2019 lebten auf den Inseln nur 14.000 Migranten. Wegen Personalmangels konnte bislang die Rückführung von Migranten ohne Schutzrecht in die Türkei nicht richtig funktionieren. Die EU hatte 2016 vereinbart, dass die Türkei alle Migranten zurücknimmt, die auf diesen Inseln ankommen und kein Asyl in Griechenland bekommen.

Restlos überfrachtet

Die Lager sind hoffnungslos überfüllt: Das größte Lager Moria auf Lesbos etwa hat eine Kapazität für 2.840 Menschen – untergebracht sind dort aber derzeit mehr als 19.000 Menschen. Mittlerweile kommt es immer wieder zu Ausschreitungen in und um die restlos überfrachteten Lager, in denen auch unbegleitete Kinder und Jugendliche unter unmenschlichen Bedingungen leben. In diesem Jahr starben bereits zwei Menschen auf Lesbos einen gewaltsamen Tod – zuletzt ein 20-Jähriger aus dem Jemen, der vor wenigen Tagen nach einer tödlichen Messer­attacke gestorben war.

Eine Stellungnahme der EU zum aktuellen Generalstreik auf den Inseln war bis Redaktionsschluss nicht bekannt. Die griechische Regierung hatte im November 2019 als Reaktion auf die Lage bereits Pläne zum Bau größerer, geschlossener Flüchtlingslager auf Lesbos, Chios, Samos, Kos und Leros angekündigt. Örtliche Behördenvertreter kritisierten die Pläne scharf. Sie sprachen sich für kleinere Einrichtungen aus, nachdem zuletzt bereits Tausende Asylbewerber aufgenommen worden waren. Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen appellieren seit Langem an die EU, sich um die verheerende Situation zu kümmern.

Die dramatische Lage auf den Inseln dürfte am Freitag zwar am Rande auch Thema beim Treffen der EU-Innenminister in Zagreb sein. Da die Mitgliedsländer in der Flüchtlingsfrage aber seit Jahren keinen gemeinsamen Nenner finden, wird es so schnell wohl keine grund­legenden Konsequenzen geben.

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2 Kommentare

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  • Die Inseln müssen die Abschreckungspolitik der EU ausüben. Die Horrorbilder aus Lesbos, Samos oder Chios dienen als 'pädagogische Maßnahme', sie sollen Flüchtlingen klar machen, dass die EU sie nicht will und dort verrotten lässt. Dem dient die vermeintlich ineffiziente griechische Bürokratie. Auf Chios wurden die Flüchtlinge aus dem Stadtbild verdrängt, indem das Lager an der Altstadt in den Süden verlegt wurde. Nun plant man auf einer der kargen Anhöhen ein faktisches Straflager zu errichten. Für die Inselbewohner ist klar, egal wer die Regierung stellt - ob die vermeintlich radikale Linke oder die orthodox-Konservativen - an der Situation ändert das nichts. Und klammheimlich freuen sich diejenigen Inselbewohner, die mit der Versorgung der Flüchtlinge gut verdienen. Und was machen wir? Wir lehnen uns im TV-Sessel oder am PC zurück, schütteln den Kopf über unfähige Hellenen - keine neuen Flüchtlinge bei uns. Es ist absehbar, wann Frauke Petrys AfD-Vision - Boatpeople mit der Waffe abschrecken - zur europäischen Staatsraison wird....

  • "Migrantenlager" im Ernst? Die meisten Menschen in den sogenannten "Hotspots" die in Wahrheit Internierungslager für "Unerwünschte" sind, sind nach Genfer Konvention Flüchtlinge die vor Kriegen (z.B. Syrien, Jemen) flohen bzw. die Anspruch auf Asyl in der EU hätten. HÄTTEN. Denn mit der EU- Türkei Vereinbarung wurde die Türkei wider besseren Wissens und völkerrechtswidrig zum sicheren Drittstaat erklärt ein Staat der selbst Fluchtverursachend ist - in Syrien und in der Türkei. Wer "irregulär" z.B. über das Mittelmeer in die EU einreist wird ohne Prüfung von Flucht- und Asylgründe zurück in die Türkei geschoben ein anderer syrischer Geflüchteter soll dafür aus der Türkei aufgenommen werden soweit die Vereinbarung mit der Türkei. Geprüft werden muss aber immerhin noch ob einem Neuankömmling in der Türkei Verfolgung nach Genfer Konvention bzw. EU Asylrecht droht. Und ja, da spielt der Personalmangel eine Rolle. Bei den geplanten Abschiebungen in die Türkei ignoriert die EU in Gänze dass die Türkei mit illegalen Pushbacks Tausende Syrer:innen zurück nach Syrien ins Kriegsgebiet bei Idlib schiebt und ist damit selbst direkt verantwortlich für diesen weiteren Völkerrechtsbruch. (Sogenannte Kettenabschiebung wenn ich Menschen in ein Land abschiebe und diese von dort in ein Kriegsgebiet oder in Foltergefahr abgeschoben werden) - für Syrien trifft beides zu - breche ich die EU Recht, die UN-Antifolterkonvention und die Genfer Konvention (Refoulement Verbot).