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Generalstaatsanwalt über Funkzellenabfrage"Wir suchten die Nadel im Heuhaufen"

Sachsens Generalstaatsanwalt Fleischmann über Konflikte beim Dresdner Naziaufmarsch und die Frage, ob in Sachsen Linke stärker verfolgt werden als Rechte.

Keine "bösartigen Straftäter", nur "Überzeugungstäter". Bild: dapd
Michael Bartsch
Interview von Michael Bartsch

taz: Herr Fleischmann, das Bündnis "Dresden nazifrei" ruft bei den Demonstrationen gegen die Naziaufmärsche am 18. Februar zu einer "Funkzellenparty" auf. Jeder soll so viele Handys wie möglich mitbringen. Läuft damit nicht das Instrument der Funkzellenabfrage ins Leere?

Klaus Fleischmann: Das Mittel der Funkzellenabfrage (FZA) bei Großveranstaltungen hat sich erschöpft - insbesondere dann, wenn der Teilnehmerkreis intelligent genug ist, Gegenstrategien zu entwickeln. In den letzten Monaten ist diese Polizeistrategie, Straftätern auf die Spur zu kommen, so offen geworden, dass jeder weiß, wie er eine Funkzellenabfrage ins Leere laufen lassen kann. So, wie seinerzeit die Vermummung aufkam, um einer Fotografie zu entgehen. Eine andere Frage ist die der Auswertbarkeit der Massendaten. Wir wollten die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen suchen, mussten aber im Nachhinein feststellen, dass wir sozusagen in einer ganzen Scheune suchen.

Räumen Sie damit ein, dass der Einsatz der FZA 2011 in Dresden unverhältnismäßig war?

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Im Interview: 

60, ist seit 2007 Generalstaatsanwalt in Sachsen. Geboren im bayerischen Münchberg, war er zunächst Richter in Hof und wurde 1993 nach Sachsen versetzt. In seiner Jugend, sagt er, habe er nach links tendiert. In der sächsischen Funkzellenaffäre war Fleischmann jüngst mit harscher Kritik am Landesdatenschutzbeauftragten Schurig in den Schlagzeilen.

Nein. Ein Versuch war sicherlich in Ordnung. Auch mit dem jetzigen Kenntnisstand wäre der Einsatz verhältnismäßig. Fraglich ist allerdings, ob er Erfolg versprechend wäre. Grundsätzlich hat sich die Funkzellenabfrage als strafprozessuales Mittel sicher nicht überlebt. Es gibt genug Ermittlungserfolge, zum Beispiel bei Baumaschinendiebstählen. Bei Massenveranstaltungen sieht das anders aus, wenn sich potenzielle Täter darauf einstellen.

Erwarten Sie erneut Gewalt am 18. Februar, oder ändert die neue Konstellation einer Großdemo in Hör- und Sichtweite des Naziaufmarsches etwas?

Das kann ich ganz schlecht beurteilen. Ich hoffe sehr, dass das Demonstrationsrecht von den Behörden auf stationäre Kundgebungen reduziert werden kann, um schwer zu schützende Aufzüge zu vermeiden.

Funkzellenabfrage?

Im kommenden Februar sind wieder Neonaziaufmärsche in Dresden geplant - und Proteste dagegen. Der sächsische Justizminister Jürgen Martens (FDP) will nicht ausschließen, dass dabei erneute Handyüberwachungen zum Einsatz kommen. Martens sagte in einem Interview, Gewalttäter, die mit Molotowcocktails oder Steinen auf Menschen und Sachen werfen, bekämen "Probleme mit dem Staatsanwalt". "Wer gewalttätig ist, muss damit rechnen, dass gegen ihn mit allen zulässigen Mitteln vorgegangen wird, also auch nötigenfalls seine Daten von den Ermittlungsbehörden abgefragt werden". "So es geht, soll auf eine Funkzellenabfrage verzichtet werden. Wir wollen auf keinen Fall friedliche Demonstranten einschüchtern", sagte Martens. Der sächsische Bundestagsabgeordnete Michael Leutert (Linkspartei) bleibt trotzdem skeptisch: "Die Begründung, Gewalttäter feststellen zu wollen, diente schon 2011 als Legitimation zur Erfassung hunderttausender Handydaten". Es sei zu befürchten, dass sie nur als Vorwand für ein "neues Handygate" dienen soll.

Es gibt bereits Aufrufe zu Blockaden.

Blockaden sind eine eindeutige Straftat. Ich darf, unabhängig von der politischen Gesinnung, genehmigte Demonstrationen nicht grob stören.

Jena hätte das berüchtigte braune "Fest der Völker" nicht ohne Blockaden aus der Stadt vertrieben. Heiligt der gute Zweck nicht die Mittel?

Ich weiß nicht, ob das ein guter Zweck ist. Das kommt immer durcheinander. Das Demonstrationsrecht einem Bürger zu nehmen, ist kein guter Zweck. Gegen braune Lehren anzugehen, ist ein guter Zweck, aber bitte mit legitimen Mitteln.

Es entsteht der Eindruck einer gewissen Kulanz: Der Staat verfolgt Blockierer aus Prinzip, bietet aber gegen relativ geringe Geldbußen eine Einstellung des Verfahrens an.

Nein, die Blockierer oder Störer von Versammlungen sind ja keine bösartigen Straftäter, sondern letztlich Überzeugungstäter, die der Meinung sind, die Bekämpfung der braunen Gefahr würde dieses Mittel rechtfertigen. Aber das ist eine Fehleinschätzung, die, obwohl sie konträr zur Rechtsordnung steht, nicht mit harten Sanktionen verfolgt werden muss. Ganz anders als bei Steinewerfern, für die ich überhaupt kein Verständnis habe.

Können Sie sich erklären, wie auch außerhalb Sachsens der Eindruck entstehen konnte, dass die Dresdner Staatsanwaltschaft linke Gegendemonstranten ganz besonders emsig verfolgt?

Es wurde kein einziger Demonstrant verfolgt! In Teilen der veröffentlichten Meinung war von Demonstranten die Rede, aber in Wirklichkeit wurden Straftäter verfolgt. Ich zeige Ihnen hier einen Pflasterstein, wie er zu hunderten auf Polizisten geworfen wurde.

Sie haben Zweifel am NPD-Verbot geäußert. Ist dies in der gegenwärtigen Aufregung nur ein politisches Placebo?

Placebo wäre zu hart formuliert. Das NPD-Verbot ist für mich eine Möglichkeit - aber nur dann eine gute, wenn man sicher sein kann, dass es funktioniert. Noch einmal zu scheitern, wäre katastrophal. Ich weiß nicht sicher, ob die V-Männer bei den Spitzenleuten in der NPD wirklich abgeschaltet sind, wie in Thüringen behauptet wird. Ich traue dieser V-Leute-Problematik überhaupt nicht.

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13 Kommentare

 / 
  • KK
    Karl K

    Ja lüg ich denn?

     

    Ein ausgewachsener Generalstaatsanwalt, der noch dazu sogar vorher mal Richter war :

     

    "Ich hoffe sehr, dass das Demonstrationsrecht von den Behörden auf stationäre Kundgebungen reduziert werden kann, um schwer zu schützende Aufzüge zu vermeiden."

     

    Geht's noch?

     

    DAS ist die unverblümte Aufforderung zum Verfassungsbruch.

    Das unsere Demokratie konstituierende Grundrecht ohne Gesetzesvorbehalt - dienDemonstrstionsfreiheit -  möchte Herr Fleischmann eingehegt sehen.

     

    Kundgebungen statt Aufmärsche, bitteschön.

    Ja, wie?  Das entscheiden immer noch die Demonstranten bei Anmeldung und nicht die Behörde!

     

    Fleischmann unverblümt:

    "dass das Demonstrationsrecht von der Behörde ... reduziert werden kann,.."

     

    Er benutzt keinen rechtlich faßbaren Begriff. Sondern " reduziert" gehört vielmehr in die Kategorie " Mönchs- und Küchenlatein."

    "Reduziert" werde Gemüsebrühen und zu labberige Soßen.

    Vulgo die Flüssigkeit wird teilweise eingedampft.

     

    Herr Fleischmann möchte also das Demonstrationsrecht eingedampft sehen. Durch die Behörde! Was diese aber von  verfassungswegen gerade nicht darf! Sie hat  Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. 

    Aber keinen inhaltlichen Einfluß zu nehmen. Gar ihre Auffasung von Demo-Formen an die Stelle des Demonstrantenwillens zu setzen.

     

    Ehe sich Herr Fleischmann weiterhin in Ubermachtphantasien verliert, aus denen Ihn die doch recht gefügte Rechtsprechung unsanft rauskickt:

    Schwammerln gibt's nicht, dieLanglauflatten in der Garage lassen.

    UND - Bundesverfassungsgericht "Mühlheim-Kärlich " et al. lesen! 

    Und den guten alten Denninger

    " Polizeirecht" dabei! 

    Doch, doch. Dann müßt es schon noch 

    klappen. Man hört immer wieder von Erkenntnisschüben bei dem ein oder anderen Staatsanwalt. Warum nicht?

  • P
    pablo

    das blockieren einer demonstration ist keine straftat sondern eine ordnungswiedrigkeit. das sollte ein staatsanwalt wissen und keine unwahrheiten erzählen.

  • B
    Basti

    Und Baumaschinendiebstähle rechtfertigen eine FZA?

  • L
    Lenny

    Zitat: "Blockaden sind eine eindeutige Straftat."

     

    Dass Herr Fleischmann das Bundesverfassungsgerichtsurteil nicht kennt, nicht kennen will oder es verdrängt ist einfach zu erklären, warum aber Herr Bartsch hier nicht darauf eingegangen ist, da Blockaden laut diesem Urteil eben erstmal keine Straftat darstellen ist mir unverständlich.

     

    Eine derartige falsche Aussage ohne jeglichen Widerspruch hinzunehmen und zu verbreiten ist eine sehr schwache Leistung. Sry.....

  • J
    juhela

    Da werden tausende von Handydaten erfasst um was zu beweisen? Dass der Handybesitzer am Tatort war und der geworfene Pflasterstein ist vom Handy gespeichert worden? Hunderte von Pflastersteinen? Hat man die bereitgelegt, gab es in Dresden ein Lager davon oder hatten die Gegendemonstranten Brecheisen dabei? Hat man die Gegendemonstranten deshalb vorsorglich mit Wasserwerfern gejagt und mit Pfefferspray attackiert, damit die sich nicht nach diesen Pflastersteinen bücken konnten? Hat man die Busunnternehmen deshalb angeschrieben und nach den Namen ihrer Kunden gefragt und nach der Art ihrer Bezahlung, um herauszufinden, ob die Fahrgäste am Straßenrand standen oder auf der Fahrbahn saßen? Wie ist das eigentlich mit dem Angriff auf das Wohnprojekt in Löbtau? Schon alles aufgeklärt? Täter angeklagt? Blockaden sind grundsätzlich rechtswidrig? Herr Fleischmann sollte gelegentlich die Urteile des Bundesverfassungsgerichts lesen, dann wäre auch er informiert. Die Wahrnehmung und das Rechtsverständnis dieses Herrn Fleischman ist - gelinde gesagt - befremdlich. Kein Wunder, dass sich die braune Brut in Sachsen so ungehemmt ausdehnen kann.

  • M
    maoam

    Seine völlig sinnfreien Äußerungen erinnern mich an Pipi Langstrumpf: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!

     

    Was wäre denn ein legitimes Mittel einen Nazi-Aufmarsch zu blockieren?

    -Vielleicht die Nazis nett und höflich bitten, nicht zu marschieren?

     

    Wieso dürfen Neo-NAZIS überhaupt marschieren?

     

    -Vielleicht, weil sie es ihnen erlauben, werter Herr Oberstaatsanwalt?

     

    Haben sie die Vergangenheit in Deutschland ausgeblendet?

     

    Sie als "Oberstaatsanwalt" wollen doch nicht weismachen, sie wüssten nichts über Nazis und die Ziele genau dieser!?!

     

    Auch rein fachlich und Werteneutral:

     

    "Wir suchten die Nadel im Heuhaufen"

     

    Warum überwachen sie dann nicht rund um die Uhr jeden Mitbürger überall?!?!?

     

    Schon mal darüber nachgedacht? Sicher...sie wissen schon warum, ne?!?

     

    Mal eine Frage, die das ganze Offenlegt:

     

    Würden sie eine Demo von Menschen erlauben, die sie alle als höchst gewaltbereit wenn diese nach ihren Bezeichnungen "Linksetxremisten" wären? Na?!?

     

    Aber die von Rechtsextremisten, die erlauben sie...richtig. Rechtsextremisten sind ja nicht gewalttätig, und erst recht nicht gewaltbereit. Sie würden auch niemals Menschen industriell vernichten, wenn sie an der Macht wären.

  • H
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    @ von vic

     

    rotflmao

  • A
    Arne

    Es ist unglaublich, wie für die Fürsten des sächsischen Sumpfes willfährige Vasallen in der Justiz gefunden haben, die hier deutlich gegen Recht und politische Moral verstoßen! Dass hier Dresdens Welterbe mit einer unnötigen und abscheulichen Monster-Brücke vernichtet wurde, lässt mich nicht daran zweifeln, dass bei uns in absehbarer Zeit der Natur- und der Denkmalschutz als Wirtschaftshemmnis ganz abgeschafft werden. Wer bei diesem aktuellen Urteil des OVG Bautzen keinen schwerer Rechtsverstoß erkennt, ist wirklich auf beiden Augen blind! In diesem Bundesland, wo kritische Journalisten von der Justiz verurteilt werden, wo Nazis marschieren dürfen, herrschen geradezu orwellsche Zustände! Die Schande von Dresden wird auch weiterhin ihren Schatten über die Schönheit der Elbauen werfen. Als kulturbewusster Dresdner kann man sich nur schämen!

  • E
    ErnstErnst

    "Nein. Ein Versuch war sicherlich in Ordnung. Auch mit dem jetzigen Kenntnisstand wäre der Einsatz verhältnismäßig. Fraglich ist allerdings, ob er Erfolg versprechend wäre."

     

    Ich dachte immer Geegnetheit wäre eine Stufe der Verhältnismäßigkeit?!

  • J
    Jawoll
  • V
    vic

    Logisch, dass der Kopf nicht bemerkt, dass der Fisch stinkt.

  • RT
    Rech Tslastig

    Ja, da sind die Richtigen am Werk - die rechtsradikalen Nadeln im Strohkopfhaufen lassen sie pieksen, aber die demokratischen Nadeln im Heuhaufen suchen sie mit der Lupe. Meine Vorfahren stammen aus Sachsen, danke dass Ihr da weggezogen seid vor 300 Jahren. Das ist nämlich nicht mehr zum Aushalten.

  • M
    Mario

    Nicht freischolten