Geld aus Katar? Kaili unter Verdacht: Schnelles Ende einer Karriere
Das EU-Parlament wird von einem Korruptionsfall erschüttert. Die Vizepräsidentin Eva Kaili wurde „auf frischer Tat ertappt“.
Und nun das: Eine Vizepräsidentin des Europaparlaments, die Griechin Eva Kaili, wird selbst der Korruption beschuldigt. Sie soll Geld von Katar angenommen haben und wurde zusammen mit vier anderen Verdächtigen von den belgischen Behörden in Brüssel festgenommen. Am Sonntag wurden vier Haftbefehle erlassen – nach Angaben der Zeitung Le Soir muss auch Kaili im Gefängnis bleiben.
Die vier Inhaftierten werden der „Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, der Geldwäsche und der Korruption beschuldigt“, teilte die Staatsanwaltschaft in Brüssel mit. Zudem sei am Samstagabend das Haus eines weiteren Europa-Abgeordneten durchsucht worden. Dabei gehe es um den Belgier Marc Tarabella, so Le Soir.
Es ist der größte Korruptionsskandal, in den das Europaparlament je verwickelt war. Und das zu einer Zeit, da sich die Abgeordneten als Vorkämpfer von Recht und Gesetz in Pose werfen. Nicht nur in Ungarn, auch in Katar wollen sie für Ordnung sorgen. In einer Resolution wurde das Emirat als Unrechtsstaat verurteilt. Der Fußball-Weltverband Fifa wurde der Korruption bezichtigt.
Bestechlichlichkeit und Geldgier
Und nun das: Mitten in ihren Reihen, sogar auf der Führungsebene, soll sich ein Abgrund von Bestechlichkeit und Geldgier auftun. Bei den Durchsuchungen wurden insgesamt 600.000 Euro in bar beschlagnahmt. In Kailis Wohnung fanden die Ermittler belgischen Medienberichten zufolge Taschen voller Bargeld. Le Soir schrieb, die 44-Jährige sei auf frischer Tat erwischt worden.
Nun steht die EU unter Schock. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hat es die Sprache verschlagen. Die konservative Politikerin wollte den Fall nicht kommentieren. Sie gab auch keine Antwort auf die Frage, warum ihre Stellvertreterin keine Immunität genieße. Stattdessen enthob sie Kaili ihrer Ämter. „Wir stehen entschieden gegen Korruption“, hieß es zur Begründung.
Auch die Sozialdemokraten ließen ihre prominente Genossin fallen – sie suspendierten die Mitarbeit in der S&D-Fraktion und setzten die Parteimitgliedschaft aus. „Das zeigt, wie ernst wir die Vorwürfe nehmen“, sagte Parlamentsvizepräsidentin Katharina Barley (SPD) der taz. „Korruption ist Gift für die Demokratie und muss ohne Wenn und Aber bekämpft werden.“
Sie hatte einen guten Ruf
Dabei genoss Kaili bisher einen guten Ruf. Sie war in der Parlamentsspitze für „Corporate social responsibility“ zuständig und engagierte sich für Gewerkschaften und Arbeitnehmerrechte. Aufgefallen ist sie erst am 21. November. Nach einem Besuch in Katar lobte sie den Golfstaat als Vorreiter bei den Arbeitsrechten.
Das Land habe sich der Welt geöffnet, so Kaili. „Dennoch rufen einige hier dazu auf, sie (= die Katarer) zu diskriminieren. Sie schikanieren sie und beschuldigen jeden, der mit ihnen spricht, der Korruption.“ Das fällt ihr nun auf die Füße. Allerdings ist unklar, ob den Worten auch Taten folgten. Kaili war kein Mitglied des Innenausschusses, der über eine Visa-Liberalisierung für Katar berät.
An den Beratungen beteiligt war dagegen Erik Marquardt. Der grüne Europaabgeordnete ist als Berichterstatter für das Thema zuständig. Kaili habe ihn in der Frage der Visaerleichterung mehrmals kontaktiert, so Marquardt zur taz. „Es ist erst mal nicht ungewöhnlich, dass sich die Vizepräsidentin und die Berichterstatter zu laufenden Themen austauschen.“
Kaili habe sich in den Gesprächen für eine schnelle Lockerung eingesetzt. Sie sei jedoch nicht direkt an den Verhandlungen zwischen den Fraktionen beteiligt gewesen. Nun müsse aber geprüft werden, ob möglicherweise andere Abgeordnete oder deren Mitarbeiter, die an dem Verfahren beteiligt waren, beeinflusst worden seien.
Das Thema wurde von der Tagesordnung genommen, das Parlament will die Verhandlungen mit Katar und Kuwait verschieben. „Ich halte es jedenfalls für nicht vorstellbar, dass Katar in absehbarer Zeit Visaerleichterungen bekommt“, so Marquardt. Falls das Emirat tatsächlich versucht haben sollte, Abgeordnete zu kaufen, so ist der Schuss nach hinten losgegangen.
Keine Details
In Doha versucht man den Fall herunterzuspielen. Ein Regierungsbeamter sagte der Nachrichtenagentur AFP, seinem Land seien „keine Details über eine Untersuchung bekannt“. Jegliche „Behauptung eines Fehlverhaltens des Staates Katar“ sei unzutreffend. Kurz vor dem Ende der Fußball-WM kommen die Vorwürfe für das Land zur Unzeit.
Auch für die EU ist die Affäre peinlich. Die EU-Spitzen haben den Worldcup zwar gemieden. Im Vorfeld haben sie jedoch eifrig um Katar geworben. Im Januar feierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sogar eine neue „Energiepartnerschaft“. Ihre Behörde hat auch die nun aufgeschobene Visaerleichterung vorgeschlagen.
Den größten Schaden hat jedoch das Parlament. Es muss um seinen Ruf bangen. Die Abgeordneten brüsteten sich gern, die schärfsten Antikorruptionsregeln zu haben. Nun räumen sie ein, dass diese für Drittländer wie Katar gar nicht gelten. „Hier muss die EU umgehend reagieren“, sagte der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund.
Für Michiel van Hulten von Transparency International ist der Fall Kaili nur die Spitze eines Eisbergs. „Über Jahrzehnte hat das Parlament geduldet, dass sich eine Kultur der Straflosigkeit entwickelt.“ Jeder Versuch, mehr Verantwortlichkeiten zu schaffen, sei abgeblockt worden. Es sei „Zeit für eine grundlegende Reform“.
Zunächst will sich das Parlament aber reinwaschen. Wenn die Abgeordneten am Montag in Straßburg eintreffen, wollen sie sofort über Kailis endgültige Absetzung beraten. So schnell ist eine EU-Karriere noch nie zu Ende gegangen – dabei sind die Ermittlungen noch ganz am Anfang. Das Geld wurde sichergestellt. Doch was genau passiert ist, liegt noch im Dunkeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Demokratieförderung nach Ende der Ampel
Die Lage ist dramatisch