Geld an Gesellschaften, die juristisch nicht existieren: Scheinunternehmen subventioniert

Etliche Nachfolgebetriebe von DDR-Produktionsgenossenschaften sind nichtig. Mecklenburg-Vorpommerns SPD-Agrarminister weiß das seit 2002 – Geschädigte hat er nicht informiert.

Anfällig für Spekulation: Die Landwirtschaft in der früheren DDR ist sehr viel großräumiger strukturiert als die im Westen Bild: dpa

SCHWERIN taz | In Brandenburg schlägt das Thema hohe Wellen, und letztlich ist es in Mecklenburg-Vorpommern wohl noch brisanter: Seit mehr als 20 Jahren fließen dort Agrarsubventionen der EU an Gesellschaften, die juristisch nicht existieren.

Bei den 46 betroffenen Betrieben handelt es sich um landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG) der ehemaligen DDR. Die Subventionsempfänger sind deren vermeintliche Rechtsnachfolger – deren Gründung aber nach den Kriterien des Bundesgerichtshofs als unwirksam anzusehen ist. Mindestens seit 2002 ist der Schweriner Agrarminister Till Backhaus (SPD) darüber informiert – ohne dass er dem Treiben Einhalt geboten hätte. Die grüne Landtagsfraktion wird Ende der Woche eine Anfrage zum Thema einreichen.

Eine Studie des Juristen Walter Bayer identifizierte im Jahr 2002 insgesamt 189 solcher nichtigen Gründungen in der Ex-DDR. Und: „In diesen Fällen gibt es keine Verjährung“, so Bayer. Während die anderen vier betroffenen Agrarministerien lieber unwissend blieben, forderte Mecklenburg-Vorpommern Bayer zufolge die Liste der 46 Betriebe an.

Ende 1989 existierten in der DDR 3.844 landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG).

Sie waren das Resultat einer dreistufigen Kollektivierung und Industrialisierung der Landwirtschaft. Diese hatte faktisch eine Enteignung auch mittlerer und kleiner bäuerlicher Betriebe ab 1952 bedeutet.

Deren Eigentümer mussten Boden, Maschinen und meist die Gesamtheit ihrer Produktionsmittel in die Genossenschaften einbringen.

Ziel war es, den Agrarsektor arbeitsteilig neu zu organisieren. So gab es ab den 1970er-Jahren auch eine strikte Trennung von Pflanzen- und Tierproduktion.

Woher dieses besondere Interesse rührte, darüber lässt sich nur spekulieren. Ein Motiv könnte persönliche Anteilnahme sein: Vor der Wende war Backhaus selbst Führungskader einer LPG gewesen; ein Karriereweg, den er etwa mit Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU) teilt.

Altkader machen einen guten Schnitt

Fest steht indes, dass Backhaus nach Erhalt der Liste keinen der möglicherweise Geschädigten informierte. Das sind die Bauern, die bei der Gründung der LPGs Land und Betriebsmittel hatten einbringen müssen. Stattdessen seien „die 30 Betriebe, die wir ausfindig machen konnten, angeschrieben“ worden, sagt Ministeriumssprecher Constantin Marquardt. Womit aber genau denjenigen Zugang zu dieser wertvollen Information verschafft wurden, die für die Geschäfte der dubiosen Unternehmen verantwortlich zeichneten.

„Das waren vor allem die Altkader“, sagt Jörg Gerke, Sprecher für Ostdeutschland im Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Diese Leute hätten oft „durch Weiterverkäufe einen sehr guten Schnitt gemacht“.

Für diesen Befund spricht, dass es tatsächlich Altkader sind, die am schnellsten und am schärfsten gegen die Untersuchung des Themas protestieren. So hat Fritz Tack, einst SED-Parteisekretär der Sektion Landtechnik, heute agrarpolitischer Sprecher der - oppositionellen - Linksfraktion, die Initiative der Landtagsgrünen bereits am Mittwoch, also drei Tage bevor diese ihre Anfrage überhaupt beim Landtagspräsidium eingereicht haben, im besten Apparatschik-Deutsch bereits als „untaugliche Aktion“ gegeißtelt und einen Versuch „das Rad der Geschichte zurückzudrehen“.

Und ebenso passt zu Gerkes Befund, dass das Ministerium angibt, mittlerweile gar nicht mehr feststellen zu können, welche Unternehmen betroffen sind: „Es hat da zahlreiche Weiterverkäufe und neuerliche Umwandlungen gegeben“, sagt Sprecher Marquardt: Dass diese Veränderungen, waren schon die Ausgangsgesellschaften nicht existent, keinen Bestand haben können, versteht sich von selbst. Allerdings ist die Aufklärung nun - nicht zuletzt dank des ministeriellen Wirkens - schwieriger geworden.

Es geht dabei nicht um Peanuts: Im Mittel bewirtschaftete jede LPG mehr als 4.000 Hektar, rund das 100-fache eines westdeutschen Bauernhofs. Diese Großgrundstücke machen Mecklenburg-Vorpommern heute anfällig für Bodenspekulanten. Vielfach sind Investoren wie die Hamburger KTG-Agrar Aktiengesellschaft als Landaufkäufer aufgetreten, und als größter Grundbesitzer Mecklenburg-Vorpommerns gilt mittlerweile der Plöner Brillenfabrikant Günther Fielmann.

Subventionen können zurückgefordert werden

Insgesamt gab es 1.719 LPG-Transformationen im Jahr 1991, 305 davon in Mecklenburg-Vorpommern: Bayers Studie konstatierte 2002, „dass nahezu sämtliche Umwandlungen fehlerhaft waren“: Ein erschütternder Befund – aber „man hat sich darum nicht gekümmert“, erklärt der Rechtsprofessor. Er zeigt sich überrascht darüber, „dass dieses Thema jetzt noch einmal hochkommt“. Denn das Gros der Fälle ist nicht mehr anfechtbar, und etwaige Entschädigungsansprüche sind häufig verjährt.

Entschädigungen müssten dennoch möglich seint, findet die agrarpolitische Sprecherin der Grünen, Ursula Karlowski, die das Thema mit ihrer Anfrage auf die landespolitische Agenda setzen wird: „Da muss Geld fließen.“ Aber die Chancen dafür stehen schlecht.

Politisch interessant wird eher sein, wo tatsächlich Geld geflossen ist: als Agrarsubvention. Denn zu Unrecht ausgegebene Agrar-Subventionen hat die EU schon oft zurückgefordert. Und tatsächlich hat die Arbeit einer einschlägigen Enquête-Kommission im Land Brandenburg bereits die Institutionen der EU aufgeschreckt: Das Amt für Betrugsbekämpfung hat die Unterlagen geprüft - und ans Ressort von Agrar-Kommissar Dacian Ciolos weitergeleitet.

Auch in Mecklenburg-Vorpommern hätten die fraglichen Betriebe „mit Sicherheit Direktzahlungen erhalten“, bestätigt Ministeriumssprecher Marquardt eine Anfrage der taz. Deren Höhe ist abhängig von der Betriebs-Fläche, 300 Euro pro Hektar ist die Formel. Ob dieses Geld an juristisch nicht-existente Empfänger gezahlt werden durfte, ist mehr als zweifelhaft: „Dazu“, sagt die Grüne Karlowski, „muss sich das Ministerium verhalten“.

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