piwik no script img

Gelbwesten-Proteste und TransmusicalesGehör finden, wenn es knallt

Soldaten mit Gewehren, vernagelte Banken: Die Proteste in Frankreich überschatten die 40. Ausgabe des Festivals Transmusicales im bretonischen Rennes.

Schaffen zu zweit mehr Atmosphäre als manches Quartett: Léonie Pernet (vorne) und Chloé Raunet Foto: Marc Loret

Der Bürgerkrieg in Rennes fällt am Samstag aus. Grüppchen von Gelbwesten, Männer zwischen 40 und 60, stehen herum und palavern. Soldaten mit Gewehren im Anschlag patrouillieren durch die Straßen. Die bretonische Stadt ist verbarrikadiert. Banken sind mit Bretterwänden vernagelt, im Hotel kündigt ein Schreiben an, die Eingangstür bliebe verschlossen. Das bewahrheitet sich zwar nicht, seinen Gästen rät das Haus aber, sie mögen „unter diesen Umständen“ vorsichtshalber auf den Zimmern bleiben.

Draußen findet am Nachmittag eine Demonstration statt, aus Sorge um die fortschreitende Klimaerwärmung gehen in Rennes an die 2.000 Menschen auf die Straße. Fahnen der Grünen sind zu sehen, auch Gelbwesten. Eintreten für mehr Umweltschutz verbindet sich mit allgemeinem Unmut über die soziale Lage. „The Sealevel is rising and so are we“ steht auf einem Plakat. Ein Hubschrauber kreist über der Menge.

Zwei Tage läuft die 40. Ausgabe des Musikfestivals Transmusicales zu diesem Zeitpunkt bereits, aber sie wird von der neuen Protestbewegung der Gilets jaunes überschattet. Auf den Flatscreens in den Restaurants wird pausenlos berichtet: Werden die Proteste friedlich bleiben?

In Rennes bleibt es friedlich. Die Wut der Menschen ist dennoch groß: Die Regierung müsse endlich „die Menschen ins Zentrum ihrer Politik rücken, nicht die Wirtschaft“, schimpft Amélie abends im Kongresszentrum Liberté, wo das Festival Transmusicales sein Medienzentrum aufgebaut hat. Die junge Frau, die als Promoterin für diverse Labels und Künstler tätig ist, möchte nicht, dass ihr richtiger Name in der Zeitung steht. Es gebe in Frankreich „ein Drama, die Politik habe den Kontakt zu Teilen der Bevölkerung verloren“. Man könne das etwa an den Schülerprotesten ablesen.

Amélie findet die Bildungspolitik der Regierung katastrophal. Eine „intransparente Vergabepraxis von Studienplätzen via Internet“ habe die SchülerInnen verärgert, nun werden Schulen bestreikt, erklärt die 24-Jährige. Sie äußert Verständnis für die anhaltenden Proteste und sagt, diese fänden nur Gehör, wenn es dabei knallt. Und nein, die Demonstranten seien mehrheitlich nicht rechts, erklärt die junge Frau. Aber wem helfen die Proteste, Marine Le Pen? Darauf weiß sie keine Antwort, soweit sie wisse, hätten sich in Dörfern neue Versammlungsformen gebildet, bei denen basisdemokratisch diskutiert werde.

Gewalttätige Bilder aus Paris erreichen das Festival

Und auch beim Festival Transmusicales, das seit Donnerstag läuft, machen sich Gilets jaunes bemerkbar. Junge Besucher streifen die gelben Sicherheitswesten bei den Konzerten über Jacken und Rucksäcke, wie Quasimodo aussehend, rempeln sie Umstehende an und tanzen betont spielerisch durch die Zuschauermassen. Sofort sind Medienvertreter zur Stelle und machen Fotos. Auf einem der großen Tore auf dem Messegelände hat jemand „Macron, te déteste“ (Macron, ich hasse dich) geschrieben, die Debatte wird emotional geführt. Die gewalttätigen Bilder aus Paris erreichen am Abend auch das Festival.

In den Clubs von Rennes bietet sich derweil ein anderes Bild. Junge Frauen als Künstlerinnen und Stagehands, als Mischerinnen und Ordnerinnen, gehen ohne viel Aufhebens ihrer Arbeit nach. Die Qualität der Bands hat sich im Vergleich zu den Vorjahren gesteigert. Künstlerinnen sind beim Festival Transmusicales überall sichtbar. Nehmen wir Léonie Pernet aus der Didier-Eribon-Stadt Reims. Die 28-Jährige kommt mit ihrer Mitmusikerin Chloé Raunet am Donnerstagabend auf die Bühne des Clubs Le1988 in Rennes.

Zu zweit entfachen sie mehr Budenzauber als manches Quartett. Beide Musikerinnen thematisieren das Thema Migration. Folksound aus Marokko spielt dabei eine Rolle. In ihren Songs verwendet Pernet Texte der Schriftstellerin Marguerite Duras. Raunet spielt Percussion, ein Tambourin, an dem Kugeln an Schnüren hängen, die zusammen mit dem Schellenkranz ein prasselndes Geräusch erzeugen, wenn sie diese mit der Hand berührt. Dazu betätigt sie den Synthesizer und singt.

Pernet spielt Drums im Stehen, die Bassdrum steht hinter ihr, sie tritt das Pedal mit der Ferse und singt umständlich in ein Mikrofon, dessen Ständer extra hoch eingestellt ist. Ihre Körper scheinen der Performance manchmal im Weg zu stehen, die Arme wirbeln umher, die lockigen Haare verdecken die Gesichter. Egal, es wirkt charmant, sogar sehr charmant. Genau wie bei den Songs ihres Debütalbums „Crave“ weiß man nicht genau, wohin die musikalische Reise geht: Mal klingt sie nach Doomwave mit viel Hall auf dem Synthesizer und Anleihen an Hooklines von The Cure, mal wird es drastisch mit verzerrten Gitarren und metallischem Wumms, so verabschiedet sich Pernet auch mit dem Metalgruß von ihrem Publikum. Dann wieder wird es folky mit kehligem Gesang und der traditionellen arabischen Percussion. Jedenfalls führt das musikalische Kuddelmuddel zu eingängigen Popsongs. In Frankreich wurde der Sound von Léonie Pernet seltsamerweise als „Coldwave“ gelabelt. Viel unterkühltes Sentiment und Posing war gar nicht, eher ein angenehme Unentschiedenheit.

Wie eine Boa constrictor um das Mikrofon

Um Mitternacht am Donnerstag folgt dann in dem Pub Penny Lane in der Altstadt ein weiterer Lichtblick. Das Pariser Trio Mauvais Œil hat sich angekündigt: Sängerin Sarah Benabdallah bewegt sich auf der Bühne wie eine Bauchtänzerin, windet ihren voluminösen Körper, nur mit einem Unterrock und langem Mantel bekleidet, wie eine Boa constrictor um das Mikrofon, wobei ihr kehliger Gesang verrucht klingt. Zu ihrer Rechten die Bassistin Myriam Stamoulis, die den kurvenreichen Sound mit satten Rhythmen und fetten Riffs zusammenhält, während links von Benabdallah Gitarrist Alexis Lebon solistisch ausbüxt, nachdem er dem Sequenzer wieder einen tuckernden Disco­groove entlockt hat.

Wenn Lebon Gitarre spielt oder die siebensaitige Oud in die Hand nimmt, verortet man ihn eher in Beirut. Wenn der orien­talische Discosound zu free wird, winkt Stamoulis kurz mit dem Hals ihres Basses, schaut streng, alle drei kehren zurück zum Song. Das Publikum ist sofort elektrisiert von dem Amalgam aus Ofra Haza, Yeh-Yeh-Freak­beat und dem lasziven Groove des legendären „Carwash“-Soundtracks. Wer wissen will, wann und wie die arabischen Einflüsse in der französischen Popmusik zum Tragen kommen, bei Mauvais Œil gibt es Anschauungsmaterial. Ihr Konzert: eine rauschende Feier.

Das lässt sich auch am Freitag gegen 22 Uhr vom Auftritt des US-Jazztrompeters und Sängers Ben LaMar Gay sagen. Zusammen mit seinem siebenköpfigen Ensemble kommt der Künstler aus Chicago auf die große Bühne in Halle 8 des Messegeländes und scattet munter drauflos. Sehr spirituell und getragen klingen die zehnminütigen Suiten, bei denen alle MusikerInnen neben der Melodie, die sie unisono spielen, auch Platz zum Improvisieren erhalten.

LaMar Gay steht in der Tradition des großen Chicagoer Jazzkollektivs Art Ensemble of Chicago, Anleihen bei Folkstilen verwendet er ganz selbstverständlich. Bei der Künstlervereinigung AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians) liegen LaMar Gays Anfänge als Musiker. Anfang der Zehnerjahre hat er in Brasilien gelebt und von dort jede Menge Ideen zurück in die USA gebracht. Dass ein großes Festival wie Transmusicales ihm, der im Frühling sein Debütalbum als Bandleader veröffentlicht hat, einen Slot einräumt, darf Schule machen.

Synchron tanzende Streichhölzer

Tiefer in der Nacht am Freitag bemühen sich dann afrikanische Künstler um die Kids in der riesigen Halle 9, die eher einem Hangar entspricht. Zunächst Ekiti Sound, ein Quartett aus dem nigerianischen Lagos, das 2019 sein Debütalbum beim Brüsseler Label Crammed Discs veröffentlichen wird. Der Steady Beat des Drummers, der vielfach die Snare einsetzt, reißt mit, die Raps des Sängers geraten etwas eintönig. Dafür laufen auf der Leinwand hinter der Band kuriose Tanzvideos, deren Dancesteps vom partywütigen Publikum gleich ausprobiert wurden. Ein tolles Bild.

Mit Vorschusslorbeeren bedacht war die kenianische Sängerin Muthoni Drummer Queen, die mit einem silberfarbenen Kleid im Metropolis-Stil die Bühne entert. Flankiert von drei Backgroundsängerinnen, die synchron wie Streichhölzer tanzen. Es shuffeln und wummern gewaltige Beats vom Band, aber die etwas dünne Stimme von Muthoni Drummer Queen hat dem wenig entgegenzusetzen.

In der Reihe „Créa de Trans“ führt eine Künstlerin an vier Tagen hintereinander einen eigens für das Festival komponierten Werkzyklus auf. Dieses Jahr fiel die Wahl auf die Schauspielerin und Tänzerin Aloïse Sauvage. Dass in Frankreich Schauspielerinnen als Sängerinnen reüssieren – auch das hat eine lange Tradition. Im Theater „L’Air libre“ findet denn auch mehr als nur ein Konzert statt: Die Bühne ist ganz in Schwarz getaucht, vier kleine Scheinwerfer werfen wechselnde Schatten auf den Boden, auf dem ein rechteckiger Flokatiteppich liegt. Das ist der Stomping Ground für die 25-jährige Sauvage, die wie ein Grashüpfer durch Lichtkegel und Schatten springt, Slalom läuft und locker tänzelt.

Die Künstlerin nimmt Traditionen des französischen Hiphop auf, fusioniert diese mit Chansons. Das ist schon reizvoll, besonders, weil Sauvage sich so drahtig und seltsam bewegt. Nur erschöpfen sich die Einsätze ihrer beiden Mitmusiker, einem Tastenmann, der alle Melodien, Bässe und Percussion-Effekte am Synthesizer einprogrammiert hat und einem Drummer, der etwas kraftlos Trapbeats auf ein Drumpad spielt.

Man macht sich trotzdem etwas Sorgen. Um Sauvage, die alleingelassen in diesem Setting über große Gefühlswelten Auskunft gibt. Und um das Land, dessen Bewohner noch nie so alleingelassen wirkten wie 2019.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!