Geiselnahme bei Caterpillar mit Folgen: Manager erstatten Anzeige
Erzürnte Mitarbeiter von Caterpillar France hatten vor drei Wochen vier Manager festgehalten. Nun erstatteten die Manager Anzeige gegen unbekannt.
PARIS taz | Erstmals seit Beginn der aktuellen Krise führt eine Freiheitsberaubung in einer französischen Chefetage zu einem Rechtsstreit: Spitzenmanager des Baufahrzeugherstellers Caterpillar in Grenoble, der 733 Arbeitsplätze streichen will, haben Anzeige gegen unbekannt erstattet.
Die Manager waren Ende März von Beschäftigten festgehalten worden. Parallel versucht das US-Unternehmen zwei weitere gerichtliche Schritte, um die Massenentlassungen zu beschleunigen: Es klagt gegen 22 Beschäftigte wegen "Arbeitsbehinderung" und es hat ein Gericht in Grenoble angerufen, damit es die Verhandlungen mit dem Betriebsrat in einem Eilverfahren abbricht.
Beifall zu dem Versuch, den betrieblichen Konflikt auf die Justiz zu übertragen, kommt von einem Sprecher des Unternehmerverbandes Medef. Geoffroy Roux de Bézieux erklärt: "Die Manager haben Recht. Man kann die Not der Beschäftigten verstehen, aber nichts rechtfertigt den Rückgriff auf Gewalt." Die Chefin der sozialdemokratischen PS, Martine Aubry, hingegen hält den Gerichtsweg für falsch.
In den vergangenen Wochen ist es in mehreren Unternehmen in Frankreich zu Freiheitsberaubungen gekommen. Unter anderem waren Spitzenmanager von Sony, 3M, Scapa, Molex und Caterpillar betroffen. Der Multimilliardär François-Henri Pinault wurde eine knappe Stunde lang in einem Taxi im Pariser Verkehr umzingelt. In Auxerre zwangen Beschäftigte der Firma Fulmen ihren Patron, in einer gewerkschaftlichen Demonstration mitzugehen.
Bei Continental bewarfen Beschäftigte ihren Chef mit Eiern und organisierten eine symbolische Puppenverbrennung. In allen Fällen planen die - profitablen - Unternehmen massive Stellenstreichungen. Oft auch die Schließung von Fabriken. Fast überall hat die Unternehmensleitung den Dialog mit den Betriebsräten abgebrochen. Die meisten Freiheitsberaubungen enden mit der Zusage, den Dialog wieder aufzunehmen.
Die Öffentlichkeit zeigt Verständnis für die radikalen Reaktionen. Nach Meinungsumfragen sind nur 7 Prozent der Franzosen grundsätzlich gegen Freiheitsberaubungen. PolitikerInnen schätzen die Lage als explosiv ein. Der sozialdemokratische Expremierminister Laurent Fabius hält "soziale Revolten" für möglich.
Der neogaullistische Expremierminister Dominique de Villepin spricht von einem "revolutionären Risiko". Die Mitglieder der aktuellen Regierung kritisieren die radikaler werdenden Proteste nur wenig. Und Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat mehrfach während laufender Freiheitsberaubungen seine Bereitschaft erklärt, in Konflikten zu vermitteln. Und Standorte "zu retten".
Am 31. März hatten Beschäftigte dort fünf Spitzenmanager festgehalten, die sich weigerten zu verhandeln. Den Personaldirektor, der sich unwohl fühlte, ließen sie noch am selben Abend frei. Die übrigen vier Manager mussten die Nacht im Büro verbringen. Sie durften telefonieren. Interviews geben. Und eine Polizeichefin zum Gespräch empfangen.
Den angebotenen Polizeieinsatz zu seiner Befreiung lehnte Caterpillar-France-Chef Nicolas Polutnik ab. Nachdem er am Mittwochmorgen in Anwesenheit eines Gerichtsdieners erklärte, dass er die Verhandlungen wieder aufnehmen und den Lohn für drei Streiktage fortzahlen werde, kamen er und seine Kollegen frei. Dass Polutnik jetzt Anzeige gegen unbekannt - und nicht gegen bestimmte Beschäftigte - erstattet, weist darauf hin, dass der angestrebte Prozess symbolischen Charakter haben soll.
In der konservativen Zeitschrift Le Point erklärt ein Anwalt, dass Freiheitsberaubung theoretisch zu einer Gefängnisstrafe von 20 Jahren führen kann. Wenn die festgehaltene Person vor Ablauf des siebten Tages freikomme, reduziere sich die Strafe auf fünf Jahre, sagt Anwalt Sylvain Niel. De facto führten Freiheitsberaubungen in zwei Unternehmen in den Jahren 2007 und 2008 zu keinen juristischen Verfolgungen.
In Grenoble reagiert am Freitag einer der Vertrauensleute der Caterpillar-Beschäftigten. Pierre Picaretta, der während der Freiheitsberaubung Anfang April mäßigend eingegriffen hat, sagt jetzt: "Für die drohende Radikalisierung sind die Patrons verantwortlich."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken