Geisel-Verhandlungen in Nahost: „Relativ nennenswerte“ Fortschritte
Israel, die USA und Katar verhandeln in Ägypten über eine Waffenruhe in Nahost. Israels Kriegsziel bleibt die Zerstörung der Hamas.
Die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen und die Freilassung israelischer Geiseln sind Geheimdienstsache. Am Dienstag kamen die Chefs der amerikanischen CIA, des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, des israelischen Inlandsgeheimdienstes Schin Bet und die Vermittler aus Katar in Kairo zusammen. Ihr Ziel ist es, bei den Verhandlungen über einen Waffenstillstand, die Freilassung der israelischen Geiseln und deren Austausch mit Palästinensern in israelischen Gefängnissen einen entscheidenden Schritt weiterzukommen.
Laut ägyptischen Regierungskreisen haben Unterhändler tatsächlich „relativ nennenswerte“ Fortschritte bei den Verhandlungen über eine Waffenruhe zwischen Israel und der militant-islamistischen Hamas erzielt. Näheres war bis Redaktionsschluss nicht bekannt.
Die Ausgangslage: Israel bietet einen sechswöchigen Waffenstillstand für die Freilassung aller Geiseln an, wie US-Präsident Joe Biden am Vorabend der Verhandlungen in Kairo bei einer Pressekonferenz in Washington nach einem Treffen mit dem jordanischen König Abdallah verkündet hatte. In Gaza befinden sich noch immer etwa 130 Entführte.
Die erste Reaktion der Hamas war deutlich: Osama Hamdan, der höchste Offizielle der Hamas im Libanon, ging in Beirut fast gleichzeitig an die Presse und erklärte, dass das weniger sei, als bei den Geheimdienstverhandlungen in Paris am 5. Februar als kleinster gemeinsamer Nenner vereinbart war. Die Hamas will die Geiseln in drei Phasen innerhalb jeweils 45 Tagen Waffenruhe freilassen. Erst wenn nach der ersten Phase garantiert sei, dass der Gazakrieg damit beendet ist, sollen auch die letzten Geiseln, israelische Militärangehörige, freigelassen werden. Die Hamas hat allerdings angedeutet, sie könne sich bezüglich Anzahl und Namen der auszutauschenden palästinensischen Gefangenen flexibel zeigen. Sowohl Ägypten als auch Katar haben die Hamas zu weiteren Zugeständnissen gedrängt.
Der Knackpunkt bleibt: Die Hamas will als Voraussetzung für die Freilassung aller Geiseln ein Ende des Kriegs. Israels Premier Benjamin Netanjahu hat indes deutlich gemacht, dass er das zum gegenwärtigen Zeitpunkt als eine Niederlage ansehen würde. Er postuliert immer noch die Zerstörung der Hamas als oberstes Kriegsziel.
Die Verhandlungen finden unter der israelischen Drohung einer Militäroffensive in Rafah statt. Damit will Israel bei den Verhandlungen mehr Druck auf die Hamas aufbauen. Die hat wiederum ihrerseits verkündet, dass die Verhandlungen über die Freilassung der Geiseln mit einer israelischen Militäroffensive in Rafah null und nichtig wären, um ihrerseits mehr Feuer unter dem Verhandlungskessel zu machen.
Ägypten fürchtet einen Massenexodus aus dem Gazastreifen in den Nordsinai, wenn die Rafah-Offensive stattfindet. Kairo sieht das nicht nur als Sicherheitsproblem. Die ägyptische Regierung fürchtet, Teil eines palästinensischen Vertreibungsszenarios zu werden. Es ist fraglich, ob nach dem Krieg noch etwas von Gaza übrig ist, wohin die Palästinenser zurückkehren könnten. Genauso fraglich ist, ob Israel die Palästinenser jemals wieder zurücklassen würde. Teile der rechten Regierungskoalition Netanjahus propagieren offen eine endgültige Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen.
Am Wochenende machten Berichte die Runde, Ägypten könnte bei einer Rafah-Offensive den Camp-David-Friedensvertrag mit Israel aussetzen. Ägypten hatte mit dem Camp-David-Abkommen als erster arabischer Staat Israel anerkannt und 1979 Frieden geschlossen. Dessen Aussetzung wäre ein schwerer Schlag für Israels Sicherheit. Ein Ende des Camp-David-Vertrags würde auch Jordanien unter Druck setzen, das zweite arabische Land, das 1994 einen Friedensvertrag mit Israel abgeschlossen hat.
Der ägyptische Außenminister Samih Schukri stritt die Gerüchte, die aus Diplomatenkreisen verlautet waren, inzwischen öffentlich ab. Allerdings weisen ägyptische Diplomaten darauf hin, dass eine israelische Rafah-Offensive den Camp-David-Vertrag verletzen könnte. Denn dort ist auch eine entmilitarisierte Pufferzone zwischen dem Gazastreifen und Ägypten festgelegt, die sogenannte Philadelphi-Passage. Dort ist zu beiden Seiten, also von Ägypten und Israel aus, nur eine begrenzte militärische Präsenz erlaubt. Schwere Waffen sind verboten.
Um einen Exodus nach Ägypten zu verhindern, machen die USA auf Netanjahu Druck, bei einer Rafah-Offensive den eingeschlossenen Palästinensern einen Ausweg durch einen Korridor Richtung Norden zu öffnen, also in Richtung der von dort kommenden israelischen Armee. Das Problem hier ist, dass breite Teile des nördlichen Gazastreifen vollkommen zerstört sind, es dort kein Wasser, keinen Strom und nicht ausreichend Nahrungsmittel gibt. Die Menschen stünden buchstäblich vor den Ruinen ihres früheren Lebens, ohne versorgt zu werden.
Als Alternative berichtet das Wall Street Journal von einem israelischen Vorschlag, dass Ägypten 15 Zeltlager mit 25.000 Zelten im südwestlichen Teil des Gazastreifens aufbauen könnte, finanziert von den USA und den Golfstaaten. Die Zeitung beruft sich dabei auf ägyptische Quellen. Selbst wenn sich dieser Plan bewahrheiten sollte, würde er eine enorme logistische Herausforderung darstellen und würde Zeit zur Umsetzung benötigen. Denn Rafah ist durch die Binnenflüchtlinge, die dort in der südlichen Ecke des Gazastreifens gehofft hatten, Sicherheit zu finden, auf das Fünffache seiner ursprünglichen Einwohnerzahl angeschwollen. Dort leben geschätzte 1,4 Millionen Menschen unter verzweifelten Bedingungen: Das entspricht der Einwohnerzahl von München.
Israels Regierung soll die in der Region tätigen UN-Organisationen aufgefordert haben, bei der Evakuierung von Zivilisten aus Rafah zu helfen. Sie sieht Rafah als letzte Bastion der islamistischen Hamas, die sie im Zuge des Gazakriegs zerstören will.
Doch die Vereinten Nationen wollen sich nach Angaben des UN-Nothilfebüros Ocha nicht an der Zwangsvertreibung von Palästinensern aus der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens beteiligen. „Die israelische Regierung hat mit uns über solche Pläne nicht gesprochen“, sagte Ocha-Sprecher Jens Laerke der Deutschen Presse-Agentur in Genf. „Unabhängig davon werden wir uns nicht an Plänen zur Zwangsumsiedlung von Menschen beteiligen“, sagte Laerke. „Wir würden auch keine Zeltstädte anderswo bereitstellen, damit israelische Kräfte Menschen zwangsumsiedeln können.“
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