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KOMMENTARGeier

■ Der Minister und die gelbe Presse

Ein Minister ist eine öffentliche Person. Fotografen dürfen sich notfalls einen ganzen Tag lang mit dicken Tele-Rohren vor ihn hinstellen, um ihn beim Nasebohren zu erwischen. Daran haben wir uns gewöhnt. Wenn derselbe Minister mit zertrümmertem Kiefer und halbgelähmt auf einer Intensivstation um sein Leben kämpft, sieht die Sache etwas anders aus. Ein Rest an menschlicher Intimität und Würde müßte dann auch dem Minister zugestanden werden. Wer die Journalisten- Heere von Freiburg beobachtet, weiß, wie klein dieser Rest geworden ist.

„Schäuble — halbes Gesicht weg“, donnerte es schon am Montag in faustgroßen Lettern von den Kiosken. Gut, über 'Bild‘ wundert sich niemand mehr, spätestens die wochenlange Leichenschändung an dem verstorbenen schwulen Münchner Schauspieler Walter Sedlmayr hat die rücksichtslose Ausbeutung von Leid, Tod und Schmerz durch die große Boulevardzeitung erneut deutlich gemacht. Die „Rückkehr zur alten Aggressivität“, die nach dem Wechsel der Chefredaktion vom Springer-Verlag gefordert worden war, ist voll geglückt. Herzlichen Glückwunsch!

Das schwer gezeichnete Gesicht Schäubles, von einem Teleobjektiv herangeholt, haben aber am Mittwoch neben 'Bild‘ auch andere Zeitungen gedruckt. Das Fernsehen hatte am Vorabend gezeigt, wie die Ärzte und Schwestern mit großen weißen Laken eine Sichtschutzwand um den Patienten aufbauen mußten, um ihn von einem Krankenzimmer in ein anderes fahren zu können. Offenbar vergeblich: Für Sekundenbruchteile muß der Blick auf das Gesicht Schäubles freigewesen sein.

Die Freiburger Klinik wird nicht nur ständig von den Geiern der Yellow- und Boulevard-Presse belagert. Die Intensivstation wird auch zum beliebten Ausflugsziel für bundesdeutsche Politiker. Alle wollen sie ihre tiefe Verbundenheit mit Wolfgang Schäuble vor Ort demonstrieren. Das ist wohl nicht nur aufrichtige Anteilnahme. Warum wirft der verantwortliche Arzt die ganze Bagage nicht hochkant hinaus?

Schon einmal ist in der Bundesrepublik ein Politiker gestorben, weil er ein berühmter Mann war: Franz-Josef Strauß. Der ungeheure Druck auf die Ärzte hatte sie damals zu einer schnellen Operation gedrängt, die sich im Nachhinein als falsch heraustellte. Es wäre Schäuble zu wünschen, daß er wie ein ganz normaler Mensch behandelt wird. Doch dazu gehört auch der Schutz vor der geifernden Meute. Manfred Kriener

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