Geht’s noch?: Words don’t come easy
Welche Wörter kommen im Grün-schwarzen Koalitionsvertrag ja wohl auf jeden Fall vor? Genau: die beiden nicht
Zu blöd, dass sich per Strg+F selbst 140-seitige Dokumente sekundenschnell nach Reizwörtern durchsuchen lassen. Und so machte gleich Montagnachmittag die entscheidende Info die Runde: Der grünschwarze Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg enthält genau null Mal die Wörter „schwul“ und „lesbisch“.
Wohlgemerkt geht es hier um Baden-Württemberg, nicht Utopia-Narnia. Baden-Württemberg ist das Bundesland, wo vor zwei Jahren achtzigtausend BürgerInnen eine Petition unterschrieben, dass „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ als Bildungsziel einfach zu viel des Guten sei.
Die „Demo für alle“-Bewegung aus Konservativen, christlichen Fundamentalistinnen und Rechtspopulisten erreichte damals, dass Grün-Rot das „sexuelle“ vor der „Vielfalt“ aus dem fraglichen Bildungsplan strich.
Seitdem herrscht trügerische Ruhe. Beide Lager hoffen, dass sich die politischen Verhältnisse zu ihren Gunsten wandeln. Die EheschützerInnen sind allzeit bereit, zungenbrecherische Schilder wie „Gender verschwendet Steuergelder“ vom Dachboden zu holen, falls der Homowahnsinn doch wieder losgehen sollte. Queere AktivistInnen harren indes freilich der nächsten Gelegenheit, allen Kindern einen Frühsexualisierungs-Chip zu implantieren.
Grün-Schwarz verhält sich zu alledem – gar nicht. Der Koalitionsvertrag tut vielmehr so, als wäre das alles nie passiert. Treudoof wird da verkündet, es sei wichtig „dass jeder Mensch, ungeachtet seiner sexuellen und geschlechtlichen Identität, gesellschaftliche Achtung erfährt und sein Leben ohne Benachteiligungen und Diskriminierungen leben kann“. Das ist weniger ein politisches Programm als ein Sich-Bekennen zum geltenden Recht. Weiterhin heißt es, bestehende Maßnahmen gegen Diskriminierung wolle man „auf ihre Eignung und Wirksamkeit hin prüfen und gegebenenfalls weiterentwickeln“. Auch das mag für die Gleichstellung von LGBT ein Vor, ein Zurück oder ein Garnichts heißen.
Die neue Koalition spielt „Du siehst mich nicht“ mit den zivilgesellschaftlichen Kräften und hofft, damit eine allzu schnelle Spaltung der Koalition zu vermeiden. Das bedeutet aber auch, dass die Debatte für und wider radikale Gleichstellung weiterhin Mittagsschlaf hält. Das kann nicht lange gut gehen. Peter Weissenburger
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